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Stuhlkreis mit Wettbewerbsvorteil

Mit den Gesprächsformaten „Impuls“, „Dialog“ und „Innensichten“ gibt das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft neue Anstöße für Geschäftsideen, Projekte und Netzwerke - und fördert den Erfahrungsaustausch zwischen neuen und etablierten Kreativunternehmern.

Als Michael Bleks diesen Saal in der IHK Köln betrat, war sein erster Gedanke: „Den kriegen wir nie voll.“ Hohe Bühne, viele Stuhlreihen, alles wirkte sehr offiziell – ein ganz ungewöhnliches Setting für eine Veranstaltung die eigentlich vom unmittelbaren Kontakt lebt, einer fast schon Wohnzimmer-artigen Atmosphäre. Innensichten heißt das Format, bei dem drei Kreativunternehmer auf der Bühne miteinander ins Gespräch kommen über ihre Erfahrungen, ohne Moderator und Stichwortliste – und irgendwann wird das Publikum Teil dieses Gesprächs. Typischerweise sitzen 20 bis 30 Leute im Saal. An diesem Abend in Köln sollten es fast 100 werden.

Bleks ist Berater und Experte für Verhandlungs- und Konfliktmanagement am Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes. Und die „Kunst des Verhandelns und Verkaufens“ war auch das Thema dieses Abends, über das er mit Kai Krieger vom Street-Art-Studio 3Steps aus Gießen und Stefanie Weidner vom Kölner Coworking-Startup Solution Space sprach. „Wenn ich von diesen Runden nach Hause fahre, ist mein Kopf immer am Arbeiten“, sagt Krieger. „Man bekommt Impulse dadurch, dass man sich mit Leuten aus anderen Branche unterhält. Wen man seine Benchmarks nur im eigene Sektor sucht, macht man irgendwann nur noch die Konkurrenz nach.“

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Du bekommst ehrliche Antworten, das ist zwar nicht immer schmerzfrei, aber immer lehrreich.

Jørn Alraun
urbn pockets

Das ist das simple aber stimmige Konzept der Reihe Innensichten: Drei Unternehmer aus der Kultur- und Kreativwirtschaft erzählen ihre ganz eigene Erfolgsgeschichte. Die oft über weite Strecken auch eine Misserfolgsgeschichte ist – die zahlreichen Fehler und Umwege kommen ebenso zur Sprache wie die Lösungen, die sich als Volltreffer erwiesen haben. Wer zu einem Innensichten-Abend geht, kommt nicht mit Patentrezepten oder Anleitungen nach Hause – es geht um den ganz persönlichen Erfahrungsaustausch.

Und natürlich, um Mut machen. „Ich habe den Eindruck, dass es die Leute schon motiviert, wenn sie von uns hören, dass es bei uns auch nicht immer einfach ist“, sagt Oliver Storz vom Architektur-Startup Bureau Baubotanik.

Es ist diese Mischung von externen Gästen und Lokalmatadoren, die auch Kai Krieger als sehr produktiv empfindet: „Da entstehen ganz neue Vernetzungen. Ich weiß vielleicht, dass es in meiner Stadt 20 Grafikdesigner gibt, aber nach so einem Abend habe ich für fünf davon ein Gesicht und weiß, dass das eben nicht nur Konkurrenten sind, sondern wir an derselben Front kämpfen.“

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Mir ist es wichtig, Mut zu machen, eine neue Herzlichkeit zu verbreiten und die positive Energie weiterzugeben.

Philomena Höltkemeier
Philomena Höltkemeier Story Consulting

Und oft die gleichen Probleme haben, was sich zum Beispiel beim Innensichten-Abend zum Thema Verhandeln sehr gut beobachten ließ: „Ich konnte das Interesse an den Gesichtern den Augen des Publikums erkennen“, sagt Bleks. „Die Kölner waren regelrecht wissbegierig.“ Fragen kamen unter anderem zu stockenden Verhandlungen, zur richtigen Preisfindung – und wie man an die wirklichen Entscheidungsträger herankommt.

„Zum Thema Preisfindung habe ich meinen Klassiker erzählt“, sagt Bleks „Ein damaliger Kultur- und Kreativpilot war sich unsicher, welchen Tagessatz er nehmen sollte und wollte sein Angebot per Mail zunächst vorsichtig ansetzen. Er vertippte sich, die Kommastelle verrutschte, im Angebot stand der zehnfache Tagessatz. Noch während er hektisch eine Entschuldigungsmail tippte, kam schon die Antwort: Dann legen Sie mal los!“ Die Moral von der Geschichte: Die Kultur- und Kreativwirtschaft unterschätzt sich in der Regel maßlos im eigenen Wert. „Ich sage grundsätzlich: verdoppeln, verdreifachen, besser vervierfachen.“

Oft geht es bei diesen Abenden auch an die Substanz: Da werden Geschichten vom Scheitern ausgepackt, oft ganz persönliche, die sehr nahegehen. Nach wie vor, sagt Bleks, beeindruckt ihn die die Atmosphäre: „Es ist schon toll, mit welchem Respekt das Publikum mit der Offenheit der Sprecher umgeht. Da gibt es keine Typen, die noch mal den Finger in die Wunde legen müssen à la ‚hättest du auch eigentlich vorher wissen können‘, um besonders schlau zu wirken. Das spricht sehr für die Branche.“

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Man bekommt Impulse dadurch, dass man sich mit Leuten aus anderen Branchen unterhält. Wenn man seine Benchmarks nur im eigenen Sektor sucht, macht man irgendwann nur noch die Konkurrenz nach.

Kai Krieger
3Steps

Das kann auch die Storytelling-Beraterin Philomena Höltkemeier bestätigen. Genau diese Atmosphäre brachte sie nämlich vor drei Jahren dazu, sich für den Wettbewerb Kultur- und Kreativpiloten Deutschland zu bewerben – viele der Referenten haben dieses Programm durchlaufen und sind es dank dem intensiven Coaching gewohnt, offen über ihr Unternehmerdasein zu sprechen. „Ich kannte einige Leute, die den Abend mitorganisiert haben und war einfach neugierig“, sagt sie heute. „Als ich dann die Menschen gesehen habe, die mit dem Titel ausgezeichnet waren dachte ich nur: Die musst du kennenlernen!“ Da sie sich aber an diesem Abend nicht traute, die Piloten anzusprechen sei ihr ja gar nichts anderes übrig geblieben, als sich selbst zu bewerben. „Ich lag mit meinem Bauchgefühl jedenfalls genau richtig.“

Heute sitzt sie selbst auf dem Podium und erzählt als Kreativpilotin von ihren Erfahrungen. „Mir ist es wichtig, Mut zu machen, eine neue Herzlichkeit zu verbreiten und die positive Energie weiterzugeben.“ Im Publikum der Veranstaltungen hat sie grundsätzlich zwei verschiedene Gruppen beobachtet. Zum einen die, die interessant finden, was der eine oder andere Erzähler auf der Bühne macht, zum anderen die Enttäuschten, die zweifeln, „ob man damit denn wirklich Geld verdienen kann“. Ihre Antwort ist immer die gleiche: „Ihr müsst versuchen, mit dem, was ihr liebt, Geld zu verdienen. Alles andere ist Verschwendung von Lebenszeit.“ Toll findet Höltkemeier auch, dass bei den Abenden auch immer wieder Wahrheiten auf den Tisch kommen, die den Erzählern selbst nicht präsent waren. „Auch ich lerne bei den Begegnungen mit dem Publikum jedes Mal dazu.“

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Es ist schon toll, mit welchem Respekt das Publikum mit der Offenheit der Sprecher umgeht.

Michael Bleks
Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Robert Thomalla, der das Mini-Mischpult Pocketmixxer entwickelt hat und heute rund um die Welt verkauft, ist vom Charakter der Format-Reihen angetan: „Die Informationen, die du da bekommst, kannst du schwierig irgendwo nachlesen.“ Das Besondere sei, „dass in der offenen Atmosphäre jeder seine zu seiner Situation passende Frage stellen kann. Und in der Regel auch eine passende Antwort bekommt.“ Wobei Thomalla sich eher als Exoten sieht: „Ich verkaufe Hardware. Das läuft etwas anders als bei Dienstleistungen und Apps und so einem Zeug.“

Jørn Alraun, Mitgründer des Startups urbn pockets, das Lern-Apps für Kinder anbietet, überzeugt auch die „sehr entspannte, lockere Atmosphäre“. Bei seinem letzten Termin als Gastredner sei das Unternehmertrio gar nicht erst über die Vorstellungsrunde hinausgekommen: „Das Publikum ist sofort mit seinen Fragen reingegrätscht. Der Dialog war unmittelbar da.“ Das sei eine ganz besondere Qualität, die diese Reihe habe: „Du bekommst ehrliche Antworten, das ist zwar nicht immer schmerzfrei, aber immer lehrreich.“

Credits

Text: Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Fotos: Karolina Sobel, U-Institut, Urbn Pockets, Philomena Höltkemeier, 3Steps

Anstehende Veranstaltungen

  1. Schulterblick des Creative Labs #7 Kreislaufwirtschaft mit der Kreislaufwirtschaftsexpertin Eveline Lemke

    5. April, 16:00 - 21:00

Credits

Text: Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Fotos: Karolina Sobel, U-Institut, Urbn Pockets, Philomena Höltkemeier, 3Steps

Wie trägt Kultur- und Kreativwirtschaft zu mehr Kreislaufwirtschaft bei?

Prinzipien aus der Natur abzuschauen hat schon viele Erfindungen hervorgebracht. Insbesondere Kreislaufsysteme der Natur sind Vorbilder für ein nachhaltigeres Leben. Die Umgestaltung unserer Wirtschaft zu einem kreislaufwirtschaftlichen System stellt jedoch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar, die nur branchenübergreifend und ganzheitlich gelöst werden kann. Im Unterschied zum deutschen Begriff „Kreislaufwirtschaft“, der sich auf den Umgang mit Abfall fokussiert, ist der englische Begriff „Circular Economy“ (also „zirkuläres Wirtschaften“) bereits viel weiter gefasst und betrachtet das gesamte Produktsystem. Hier geht es um durchdachte Kreisläufe von Anfang an, die bereits beim Design von Produkten beginnt.

Innovative Ideen und praktische Ansätze für zirkuläres Wirtschaften finden sich schon seit Jahren in der Kultur- und Kreativwirtschaft, zum Beispiel in der Architektur, im Produkt- und Materialdesign, der Film- und Veranstaltungsindustrie sowie dem Modemarkt. Viele Beispiele werden Sie in diesem Magazinschwerpunkt kennenlernen können

In unserer Kurzreportage zur Kreislaufwirtschaft haben wir diesmal mit Architekt*innen Sandra Düsterhus (Point.Architektur) und Martin Haas (haascookzemmrich) über die Ansätze bei ihren Projekten in der Außen- und Innenarchitektur gesprochen und was der Fokus auf Kreislaufwirtschaft auch für die Gestaltung bedeutet.