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Kopf machen, Welt verbessern

Sie entstehen außerhalb klassischer Forschungslabore, sind die Basis für die Erfolge von Unternehmen wie Facebook und Airbnb und Kernmerkmal der Kultur- und Kreativwirtschaft: nichttechnische Innovationen. Doch wie helfen diese Innovationen einer großen Kinderhilfsorganisation? Ein Gespräch mit Christian Schneider, Geschäftsführer von UNICEF Deutschland, über Technik, Tempo und tolle Ideen.

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Foto: William Veder

Wie kam es dazu, dass Sie sich als Organisation auf einen gemeinsamen Innovationsprozess mit Unternehmern der Kultur- und Kreativwirtschaft begeben haben?

UNICEF ist in diesem Jahr bereits 70 Jahre alt geworden. Wir sind also einerseits so etwas wie eine ältere Dame. Aber mit der Gründung von UNICEF war uns auf den Weg mitgegeben, die Organisation immer wieder neu zu erfinden, um auf Krisensituationen von Kindern, auf die Folgen von Naturkatastrophen und schlimme Kinderrechtsverletzungen mit immer neuen erwartungsvollen Antworten zu reagieren.

Dafür gibt es eine Reihe von Beispielen. Wir haben immer versucht, mit vergleichsweise wenig Geld Dinge zu erfinden, die für viele Kinder mitunter lebensrettend sein können. So haben wir vor vielen Jahren eine einfache Zucker-Salz-Lösung mitentwickelt, die Kinder effektiv vor Durchfall schützt. Außerdem ist eine angereicherte Erdnusspaste entstanden, die schwerst mangelernährte Kinder wiederaufbaut und sie vor Infektionen bewahrt. In den vergangenen Jahren ist UNICEF auch über eine Reihe von Innovation-Labs in mittlerweile über 20 Ländern dazu übergegangen, moderne Technologien zu nutzen. Mit dem SMS-System U-Report können wir zum Beispiel in Afrika zigtausende Jugendliche sehr rasch über ihre Mobiltelefone mit Informationen zum Beispiel über HIV und Aids versorgen.

Diese drei Beispiele zeigen, dass wir als Organisation, die in der humanitären Hilfe, aber auch in der längerfristigen Entwicklungsarbeit für Kinder tätig ist, in diesen schwierigen Zusammenhängen, in Krisengebieten, in einigen der ärmsten Länder per se auf sehr viel Kreativität und Innovationsgeist angewiesen sind. Ich sehe also eigentlich bei UNICEF die Themen Innovation und Kreativität im Finden neuer Ideen schon in der DNA.

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Foto: William Veder

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Das heißt: UNICEF kennt sich eigentlich schon gut aus mit Innovationsprozessen, um auf unterschiedliche Entwicklungen reagieren zu können.

Ja, aber natürlich ist auch der Bedarf an finanzieller Unterstützung immens. Allein im letzten Jahr hatte UNICEF über 300 kleinere und größere Kriseneinsätze für Kinder aufgrund der Vielzahl von Katastrophen und Kriegen. In Deutschland ist UNICEF zwar über die langjährige Arbeit und das Engagement vieler Ehrenamtlicher sehr bekannt, aber während der Bedarf an Spenden immer weiter wächst, steigt die Zahl der Spender unter den Menschen in Deutschland nicht. Deshalb haben wir eine ganz große Anforderung, neue Unterstützer zu gewinnen und Menschen langfristig für unsere Arbeit zu begeistern.

Zudem sehen wir, dass wir oft nicht schnell genug sind, eine gute Idee auszuprobieren und umzusetzen. Und manchmal fehlt es uns auch an neuen Ansätzen. Die sind aber dringend nötig.

Und diese neuen Ansätze sollten gemeinsam mit Unternehmern der Kultur- und Kreativwirtschaft erarbeitet werden. Worin sehen Sie deren besondere Potenziale?

Nach dem Innovation Camp mit dem Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes sehe ich vor allem drei Potenziale: Technik, Tempo und tolle Ideen. Mit Technik meine ich die Techniken zur Projektentwicklung und Umsetzung, die wir in der Zusammenarbeit mit den Kreativen und dem Kompetenzzentrum erarbeitet haben. Als größere Organisation denken wir oft in größeren Projekten. Durch das Innovation Camp haben wir sehr schnell gelernt, konzentriert an einer guten Idee zu arbeiten und dann aber auch sehr schnell auszuprobieren: Testen, Prototypen, Schritt-für-Schritt- vorgehen, anstatt erst einmal eine große Projektgruppe aufzusetzen.

Tempo ist das zweite Stichwort. Christoph Backes hat in dem Zusammenhang immer wieder vom Schnellboot gesprochen. In einer Zeit, in der „Disruptive Change“ das Buzzword ist, sehen wir in unglaublich schneller Folge wirklich umwälzende Veränderungen, und viele warten erst noch auf uns. Hier können wir von den Kreativen lernen, wie man tolle Ideen entwickelt, aber auch schnell in die Umsetzung geht und die Veränderungen produktiv für das Anliegen von UNICEF nutzen.

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Seit dem Innovation Camp mit dem Kompetenzzentrum für Kultur- und Kreativwirtschaft sind einige Monate vergangen. Was ist Ihnen davon besonders in Erinnerung geblieben?

Unmittelbar zum Innovation Camp bin ich von einer Reise nach Malawi zurückgekehrt – voller Eindrücke aus einem Dürregebiet, wo ich Familien getroffen habe, die durch die El- Niño-Krise bis an den Rand der Existenz getrieben wurden und sehr verzweifelt waren. Mit dieser Krise, dem Syrien-Konflikt und vielen anderen Themen, die uns inhaltlich bei UNICEF bewegen, im Kopf, tat es für mich sehr gut, in einen Raum zu kommen, in dem die Kreativen, das Team vom Kompetenzzentrum und unsere Kolleginnen und Kollegen völlig frei und mit immenser Begeisterung für die gemeinsame Sache an Ideen gearbeitet haben. Völlig unbelastet von dem, was uns normalerweise im Büro einfängt und von den Krisensituationen, die uns in den Programmländern beschäftigen. Das hat mir sehr gut getan. Und das wirkt bis heute nach.

Beim Innovation Camp ging es vor allem darum, wie UNICEF neue Unterstützer und Paten gewinnen kann. Welche Ideen konnten bereits umgesetzt werden?

Wir hatten ganz klar das Ziel, mindestens eine Idee zu finden, die schon im Jahr 2017 in die Umsetzung gehen kann. Dafür wollen wir auch die Ressourcen bereitstellen. Wichtig war also, dass es nicht einfach eine Ideenschmiede sein sollte.

Wir sind gerade dabei, neue Möglichkeiten zu finden, wie unsere engagierten Menschen in den Städten in Deutschland auf Passanten zugehen können, um sie als Unterstützer zu gewinnen. Und zwar indem man den Leuten nicht gleich etwas abverlangt und sie um etwas bittet, sondern indem wir Ihnen erst einmal etwas geben. Was das sein kann, ist gerade in der Entwicklung. Bei der zweiten Idee wollen wir uns als Organisation sehr öffnen, eine große Kampagne mal ganz anders zu denken, in der Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen und Kreativen.

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Welchen Nutzen hatte das Camp darüber hinaus?

Abgesehen vom Finden kreativer Ideen wollten wir auch viel über die Hürden lernen, die die Ideenfindung und -umsetzung behindern. Das begleitet uns auch jetzt, wenn es für die Kolleginnen und Kollegen darum geht, Ressourcen und Freiräume für ihre Arbeit zu schaffen. Und wir sehen, an welchen Stellen wir Unterstützung im Hinblick auf die Technik benötigen, um tatsächlich wie die Akteure der Kultur- und Kreativwirtschaft eine solche Idee zu realisieren.

Wie haben Ihre Mitarbeiter reagiert – vor dem Innovation Camp und danach?

Von allen Teams haben wir die Rückmeldung erhalten, selbst wenn ihre Idee nicht ganz weit vorn war und damit für die Umsetzung ausgewählt wurde, dass sie an ihrer Idee weiterarbeiten und den Ehrgeiz haben, etwas daraus zu machen.

Vielen Mitarbeitern haben wir mit dem Innovation Camp erstmals die Möglichkeit gegeben, ihr eigenes Kreativ- und Innovationspotenzial zu entdecken. Hängen geblieben ist mir die Begegnung mit einem Kollegen aus der IT, der mir noch Wochen später erzählte, dass er es nie für möglich gehalten hätte, dass man so mit Kollegen aus anderen Abteilungen und Externen einfach mal tolle Ideen entwickeln kann. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen.

Nach Ihren Erfahrungen mit dem Innovation Camp: Was würden Sie Entscheidern aus anderen Organisationen oder Unternehmen bei der Zusammenarbeit mit Akteuren der Kultur- und Kreativwirtschaft empfehlen?

Lassen Sie sich auf den externen Blick der Kreativen ein. Ich finde es extrem hilfreich und heilsam, dass die meisten der eher jüngeren Menschen aus dem Netzwerk des Kompetenzzentrums überhaupt kein Interesse daran haben, dem Management zu gefallen und einfach UNICEF zu bescheinigen, wie toll wir als Organisation sind. Wir haben sehr offen darüber geredet, was sie an UNICEF begeistert und an welchen Stellen sie nicht verstehen, warum wir nicht schon mehr daraus machen.

Für mich und uns ist es natürlich fantastisch, wenn 30 Menschen mit wirklich enormen Begabungen und Fähigkeiten am Ende des Tages alle sehr gerne das blaue UNICEF-T-Shirt tragen möchten. Das zeigt mir, dass die Relevanz der Organisation nach 70 Jahren ungebrochen ist und es sehr wohl ganz neue Wege gibt, Menschen zu erreichen und für unsere Sache zu begeistern.

Credits

Text: Interview: Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Fotos: Hartmut Schneider (UNICEF Deutschland)

Anstehende Veranstaltungen

  1. Schulterblick des Creative Labs #7 Kreislaufwirtschaft mit der Kreislaufwirtschaftsexpertin Eveline Lemke

    5. April, 16:00 - 21:00

Credits

Text: Interview: Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Fotos: Hartmut Schneider (UNICEF Deutschland)

Wie trägt Kultur- und Kreativwirtschaft zu mehr Kreislaufwirtschaft bei?

Prinzipien aus der Natur abzuschauen hat schon viele Erfindungen hervorgebracht. Insbesondere Kreislaufsysteme der Natur sind Vorbilder für ein nachhaltigeres Leben. Die Umgestaltung unserer Wirtschaft zu einem kreislaufwirtschaftlichen System stellt jedoch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar, die nur branchenübergreifend und ganzheitlich gelöst werden kann. Im Unterschied zum deutschen Begriff „Kreislaufwirtschaft“, der sich auf den Umgang mit Abfall fokussiert, ist der englische Begriff „Circular Economy“ (also „zirkuläres Wirtschaften“) bereits viel weiter gefasst und betrachtet das gesamte Produktsystem. Hier geht es um durchdachte Kreisläufe von Anfang an, die bereits beim Design von Produkten beginnt.

Innovative Ideen und praktische Ansätze für zirkuläres Wirtschaften finden sich schon seit Jahren in der Kultur- und Kreativwirtschaft, zum Beispiel in der Architektur, im Produkt- und Materialdesign, der Film- und Veranstaltungsindustrie sowie dem Modemarkt. Viele Beispiele werden Sie in diesem Magazinschwerpunkt kennenlernen können

In unserer Kurzreportage zur Kreislaufwirtschaft haben wir diesmal mit Architekt*innen Sandra Düsterhus (Point.Architektur) und Martin Haas (haascookzemmrich) über die Ansätze bei ihren Projekten in der Außen- und Innenarchitektur gesprochen und was der Fokus auf Kreislaufwirtschaft auch für die Gestaltung bedeutet.