Innovationcamp Schrittmacher

Ohne Heilbronn ist Heilbronn kreativer

Bei dem zweieinhalbtägigen Innovationcamp: SCHRITTMACHER im Heilbronner Insel-Hotel kamen Akteure aus dem Gesundheitswesen und der Kultur- und Kreativwirtschaft zusammen - mit erstaunlichen Erfolgen. Ein Gastbeitrag von HANIX (aus dem Hanix Magazin Nr. 53, Februar/März 2018).

Innovation Camp Schrittmacher

Ja, mit der Kultur- und Kreativwirtschaft ist es so eine Sache. Zwar ist sie es, die maßgeblich zum Flair, der Dynamik und Entwicklung einer Stadt beiträgt, doch sie kostet eben auch ab und an ein wenig Geld und vor allem die Bereitschaft, Neues, Ungewöhnliches zuzulassen und zu fördern. Und eben darin sind die Köpfe in Verwaltung und zuständigen Gremien leider meist wenig kreativ. Da werden oft schon die ersten ungewöhnlichen Ansätze im Keim erstickt und nach dem Motto: »wo kommen wir denn da hin / das haben wir noch nie so gemacht / das gab’s noch nie / wir machen das wie immer« verfahren. Das soll sich in Heilbronn nun allerdings ändern, wenn man Heilbronns erstem Bürgermeister Martin Diepgen Glauben schenken möchte, der als Leiter des  Dezernats II unter anderem für Wirtschaft und Finanzen sowie die Stabsstelle Wirtschaftsförderung zuständig ist.

Beim »Schrittmacher Innovationcamp« der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung, des daran angeschlossenen Kompetenzzentrums und Hanix als Organisator, ließ er zur Begrüßung, nach einer Lobeshymne auf die dynamische Entwicklung der Stadt Heilbronn, jedenfalls verlauten, dass die Stadt Heilbronn 2018 beginnen werde, eben jene Kultur- und Kreativwirtschaft verstärkt zu fördern. Schön wäre das – denn an wirklich großen Taten kann sich die Stadt in diesem Bereich bisher wirklich nicht rühmen.

 

Innovation Camp Schrittmacher

Gesundheitswesen trifft Kreative

So haben diesmal andere die Initiative ergriffen. Umso erstaunlicher, als dass es sich dabei um Verwaltungen innoch viel größerem Stil – nämlich auf Bundesebene – handelt. Diese sind, anders als die Kommunalpolitik vor Ort, scheinbar bereit, einen Sprung zu wagen. Ein Sprung, der wichtig, nötig und auch wirtschaftlich sinnvoll ist. So hat sich auf Bundesebene die Erkenntnis durchgesetzt, dass – sofern man die Kultur- und Kreativwirtschaft mal auf klassische Branchen loslässt – Synergien und wirtschaftlich positive Entwicklungen entstehen. Und beim Innovationcamp in Heilbronn war das Gesundheitswesen im Visier. Zweieinhalb Tage intensiver Austausch zwischen Künstlern, Managern, IT-lern, Architekten, Fotografen, Designern, Ärzten und Pflegern aus Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, um nur einige Branchen zu nennen, die hier »aufeinanderprallten« und die normalerweise keine oder nur wenig Berührungspunkte haben.

Matthias Leitner

Es sollte keiner mit vorgefertigten Erwartungshaltungen herkommen. Ich erwarte mir Offenheit, Nachsicht und Flughöhe. Die Teilnehmer sollen sich trauen, groß zu denken.

Matthias Leitner, Projekt- und Ideenmanager BR Next und Creative Producer, Digital Storyteller und Analogstratege

Entsprechend vorsichtig und teilweise noch mit klassischen Vorurteilen und daraus resultierenden Vorbehalten, ob ein derartiges Projekt Früchte tragen könne, gingen die Akteure in vier Workshops an die Arbeit. »Simulation in der Medizin«, »Raumdesign in der Kinderklinik«, »Nachwuchskräfterecruiting für die Alten- und Krankenpflege« sowie »Changeprozesse für das Be- und Entlohnungssystem im Gesundheitswesen« waren die Themen, die in den mit je 15 Teilnehmern, einem Mentor sowie einem Fallgeber besetzten Teams behandelt wurden. Susan Barth, Mentorin für die »Changeprozesse«, brachte die Erwartungshaltung nahezu aller Teilnehmer auf den Punkt: »Ich wünsche mir, dass die Menschen, die sich hier versammelt haben und zusammenkommen, offen sind und gemeinsam denken, sodass etwas Neues entstehen kann. Was das sein wird, ist noch unklar.« Ganz ähnlich sah es auch Matthias Leitner, Mentor des Workshops »Fach- und Nachwuchskräfte-Recruiting für die Alten- und Krankenpflege«: »Es sollte keiner mit vorgefertigten Erwartungshaltungen herkommen. Ich erwarte mir Offenheit, Nachsicht und ›Flughöhe‹. Die Teilnehmer sollen sich trauen, groß zu denken.«

 

Neue Ideen und konkrete Lösungsvorschläge 

Nach zweieinhalb intensiv genutzten Tagen mit faszinierenden Impulsvorträgen ging es dann an die Vorstellung der Ergebnisse. Und was die Teams da präsentierten, konnte sich wahrlich sehen lassen.

Innovationcamp Schrittmacher
Innovationcamp Schrittmacher
Innovationcamp Schrittmacher
Innovationcamp Schrittmacher
Innovationcamp Schrittmacher

So wählte das Team des Workshops  »Changeprozesse für das Be- und Entlohnungssystem im Gesundheitswesen« beispielsweise einen konkreten Fall, der aus dem Umbau der SLK-Kliniken entstand (die Gruppe wählte exemplarisch den HNO-Bereich): Da wurden mehrere Stationen zu einer großen zusammengelegt und neben weiteren Umstrukturierungsmaßnahmen unter anderem ein rotierendes Personalsystem eingeführt. Ständig wechselnde Patienten und Teams waren dabei die Folge. Dies führte zu Unzufriedenheit beim Personal, das keinen Bezug mehr zum einzelnen Patienten herstellen und individuell auf ihn eingehen kann und zur daraus resultierenden Unzufriedenheit der Patienten und der Angehörigen. So sinkt die Motivation des Personals, Krankenstände steigen, was wiederum zur Überlastung des Personals führt. Mangelnde Wertschätzung macht sich breit, die Klinik wird so mittel- und langfristig neben finanziellen Einbußen vor allem auch ein Imageproblem und Schwierigkeiten in der Fachkräftegewinnung bekommen.

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Grund genug, sich diesem Problem konkret zu nähern. So war das Ziel, die Vorschläge zur Verbesserung der Situation soweit herunterzubrechen und zu konkretisieren, dass am Ende das Gerüst für einen Förderantrag beim Bundesgesundheitsministerium, das immerhin bis 2019 jährlich 300 Millionen Euro für derartige Projekte bereitstellt, stehen würde. Und das Team war erfolgreich: Das Pilotprojekt »Team-Insel« auf der HNO-Station der SLK-Klinik Heilbronn wurde erarbeitet.

Dieses sieht zwei zuständige Personen (davon mindestens eine Fachkraft) für sechs Zweibettzimmer, das heißt zwölf statt bisher 16 Patienten und damit eine Reduktion des Betreuungsschlüssels von 1/16 pro Fachkraft auf 1/12 vor. Des Weiteren die Errichtung einer »Insel« an der Rezeption mit »Schichtführern«, die als kompetente Ansprechpartner für Ärzte, Patienten und Angehörige zur Verfügung stehen. Außerdem sollte einmal wöchentlich ein 30-minütiger »Jour fixe« mit Oberärzten als Koordinatoren, Stationsärzten, Pflegekräften, Sozialarbeitern, Beratungsdiensten bis hin zur Reinigungskraft stattfinden, sodass sich jeder zuständig fühlen, Verantwortung übernehmen und als erster Ansprechpartner fungieren könne.

Um die Maßnahme zu evaluieren, sei ein Vergleich mit anderen Stationen, die Entwicklung des Krankenstandes, der Springerzeiten sowie das Abfragen der Zufriedenheit von Mitarbeitern, Patienten und Angehörigen angedacht. Durch diese Maßnahmen sei eine Steigerung der Zufriedenheit aller Beteiligten – sogar in der Klinikverwaltung – möglich, da diese nachhaltige Lösung unter dem Strich ein wesentlich günstigeres und effizienteres Arbeiten ermögliche.

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Für mich persönlich habe ich mitgenommen, die Dinge auch einmal im Gesamten zu betrachten, sich von Konflikten zu entfernen und von außen zu beurteilen.

Ulrike Landes, 50 Jahre, Kinderklinik Klinikum am Weissenhof

Und dies ist nur ein Beispiel dafür, was die Kreativen mit den Vertretern aus der Gesundheitswirtschaft binnen kürzester, aber intensiv genutzter Zeit auf die Beine stellten. Jedes Team konnte mit konkreten und realisierbaren Lösungsansätzen in ihren jeweils gewählten Themenbereichen aufwarten. Aber nicht nur inhaltlich, auch für die Teilnehmer selbst war das Innovationcamp ein erfolgreiches Projekt. Teilnehmerin Ulrike Landes, 50 Jahre an der Klinik am Klinikum am Weissenhof tätig: »Für mich persönlich habe ich mitgenommen, die Dinge auch einmal im Gesamten zu betrachten, sich von Konflikten zu entfernen und von außen zu beurteilen.« So zeigte das Projekt deutlich, wie wertvoll die Kultur- und Kreativwirtschaft in scheinbar ganz gegensätzlichen Wirtschaftszweigen wirken kann, sofern man sie ernst nimmt und machen lässt.

Einer, der dies längst begriffen hat, ist Ralf Klenk, Bechtle-Gründer, Stifter »Große Hilfe für kleine Helden« und Fallgeber beim Innovationcamp: »Für jemanden, der wie ich aus einer naturwissenschaftlich sehr klar reglementierten Industrie kommt, ist es eine unheimliche Bereicherung, wenn er mit Akteuren der Kultur- und Kreativwirtschaft arbeitet, denn dort gelten andere Gesetzmäßigkeiten.« Bleibt zu hoffen, dass sich diese Erkenntnis auch in manch anderen verkrusteten Strukturen durchsetzt und weitere Projekte wie das Innovationcamp ermöglicht.

 

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Vielen Dank unseren Kooperationspartnern: Zukunftsfonds Heilbronn, Medienwerk Baden-Württemberg, Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg (MFG), abmsoft, Creative Commission Mannheim, Sisyfox, Start-up Mannheim, Ziegler Crossmedia Experts und die Stiftung Große Hilfe für kleine Helden. Und ein ganz besonderer Dank unseren ideenreichen und unermüdlichen Organisatoren vor Ort von Hanix – das Magazin aus Heilbronn.

 

Hier können Sie die Dokumentation zum Innovationcamp: SCHRITTMACHER downloaden. Gerne senden wir Ihnen bei Interesse auch ein Printexemplar der Dokumentation zu, schreiben Sie uns einfach: kontakt@kreativ-bund.de.

 

Credits

Text: Matthias Marquart, Hanix Magazin - Das Magazin aus Heilbronn

Fotos: Ulla Kühnle

Anstehende Veranstaltungen

Es gibt derzeit keine bevorstehenden Veranstaltungen.

Credits

Text: Matthias Marquart, Hanix Magazin - Das Magazin aus Heilbronn

Fotos: Ulla Kühnle

Wie trägt Kultur- und Kreativwirtschaft zu mehr Kreislaufwirtschaft bei?

Prinzipien aus der Natur abzuschauen hat schon viele Erfindungen hervorgebracht. Insbesondere Kreislaufsysteme der Natur sind Vorbilder für ein nachhaltigeres Leben. Die Umgestaltung unserer Wirtschaft zu einem kreislaufwirtschaftlichen System stellt jedoch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar, die nur branchenübergreifend und ganzheitlich gelöst werden kann. Im Unterschied zum deutschen Begriff „Kreislaufwirtschaft“, der sich auf den Umgang mit Abfall fokussiert, ist der englische Begriff „Circular Economy“ (also „zirkuläres Wirtschaften“) bereits viel weiter gefasst und betrachtet das gesamte Produktsystem. Hier geht es um durchdachte Kreisläufe von Anfang an, die bereits beim Design von Produkten beginnt.

Innovative Ideen und praktische Ansätze für zirkuläres Wirtschaften finden sich schon seit Jahren in der Kultur- und Kreativwirtschaft, zum Beispiel in der Architektur, im Produkt- und Materialdesign, der Film- und Veranstaltungsindustrie sowie dem Modemarkt. Viele Beispiele werden Sie in diesem Magazinschwerpunkt kennenlernen können

In unserer Kurzreportage zur Kreislaufwirtschaft haben wir diesmal mit Architekt*innen Sandra Düsterhus (Point.Architektur) und Martin Haas (haascookzemmrich) über die Ansätze bei ihren Projekten in der Außen- und Innenarchitektur gesprochen und was der Fokus auf Kreislaufwirtschaft auch für die Gestaltung bedeutet.