Foto: Hartmut Schneider

And so I ran away with the circus

Julia Köhn ist Transfermanagerin des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes. Wir stellen sie und ihren Themenschwerpunkt Internationales und Export vor.

Elektra. Foto: Klaus Fröhlich

Julia Köhn in "Elektra".

23,5 Prozent der deutschen Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft sind im Ausland aktiv: Sie verkaufen ihre Produkte oder Dienstleistungen an Kunden in andere Länder oder haben auch Niederlassungen oder Tochterunternehmen außerhalb Deutschlands. 11,6 Prozent der Unternehmen kooperieren mit ausländischen Partnern. Durch die große Anzahl an Soloselbstständigen, Klein- und Kleinstunternehmen steht die Branche bei ihren Internationalisierungsbemühungen jedoch vor besonderen Herausforderungen. Welche das sind, damit beschäftigt sich Julia Köhn, Transfermanagerin für Internationales und Export.  Beim Kompetenzzentrum hat sie  zuvor als Regionale Ansprechpartnerin für Nordrhein-Westfalen gearbeitet. Neben der Kultur- und Kreativwirtschaft sind Internationales und Wasser ständige Begleiter in ihrem bisherigen Berufsleben.

Julia, wie wird man Unterwassertechnikerin bei einem Zirkus in China?

Ein langes kompliziertes Studium…. Nein Quatsch, ich komme ursprünglich vom Theater, bin aber auch immer viel gereist und habe einen Tauchlehrerschein. Anscheinend hat sich die Kombination herumgesprochen, so dass irgendwann der Anruf kam: „Du kannst tauchen und kennst Theater, hast du Lust nach Macau zu kommen und bei der größten Artistic-Watershow der Welt als Tauchtechniker zu arbeiten?“

Wenn ich mich im Supermarkt für eine Butter- oder Zahnbürstenmarke entscheiden soll, kriege ich Schweißausbrüche. Aber es fällt mir leicht, schnell und intuitiv große Entscheidungen zu treffen, so dass ich nicht lange überlegt habe, sondern mir ein Ticket nach Macau gekauft habe, um mir den Wahnsinn dort anzugucken. Ich war sofort begeistert: eine Riesen-Show – mit den besten Artisten, High-Divern, Motorradstuntmen, mit Kollegen aus über 80 Ländern in einem Theater mit 2000 Plätzen eigens für diese Show gebaut, in subtropischem Klima, zwei bis vier Flugstunden von den aufregendsten Tauchgebieten der Welt… And so I ran away with the circus – und bin sechs Wochen später nach Macau gezogen.

Ursprünglich hast du Schauspiel in Hamburg studiert und anschließend einige Jahre fest und frei als Schauspielerin gearbeitet. Welche Rolle war deine liebste?

Ich kann das nicht an einer Rolle festmachen. Einige meiner liebsten Produktionen waren anfangs ohne zugeteilte Rollen. Mich hat am Theater immer am meisten begeistert, dass es ein Mannschaftssport ist. Ich finde es faszinierend, dass eine Produktion so wie sie letztlich zur Premiere kommt nur durch genau die eine Kombination von genau diesen Personen an genau dem Ort entstehen kann. Tauscht man während der Probenzeit einen Menschen in dem Gefüge aus, verändert sich die ganze Sache.

Besonders wichtig für mich waren aber zwei Produktionen: „Elektra“ von Hugo von Hofmannsthal und „zu jung zu alt zu deutsch“ vom wunderbaren Dirk Laucke. Zwei völlig unterschiedliche Arbeiten, die aber ein paar Dinge gemeinsam hatten: eine sehr enge Zusammenarbeit im Team, eine wirklich gemeinsame Entwicklung der Produktion und vor allem eine Probenzeit, die echt gut verbrachte Lebenszeit war.

Elektra. Foto: Klaus Fröhlich

Julia Köhn in "Elektra".

jahreskonferenz_julia

Bei der Jahreskonferenz der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft.

Wieso hast du irgendwann das Fach gewechselt?

Ich konnte mir nie vorstellen, mein ganzes Leben das Gleiche zu machen. Ich probiere gern aus und mag das Auf-der-Suche-sein. Ich finde nach wie vor, dass Schauspielerei der schönste Beruf der Welt ist, aber gleichzeitig auch einer der schrecklichsten. Für mich war irgendwann die Perspektive, die nächsten 40 Jahre auf Probebühnen ohne Tageslicht zu verbringen, beklemmend. Ich wollte immer international arbeiten und neue Bereiche ausprobieren – als Spieler hat man vieles nur sehr bedingt in der Hand. Ich hatte das Gefühl, ich kann in dem Beruf meinen Weg nicht in dem Maße selbst bestimmen, wie ich es wollte. Außerdem haben mich die hierarchischen Strukturen am deutschen Stadttheater immer gestört.

Mit meiner Entscheidung, die Schauspielerei sein zu lassen und Möglichkeiten, die sich auftun ohne Scheu zu greifen, bin ich sehr glücklich. Ich habe noch mal berufsbegleitend studiert, seit 2010 in vier Ländern gelebt und gearbeitet und bin jetzt an einem Ort mit einer Aufgabe, die mich erfüllt und froh macht.

Zwischendurch hab ich auch mal gedacht: Oh Gott, jetzt machst du schon wieder etwas völlig anderes. Aber wenn ich jetzt drauf gucke, macht irgendwie alles Sinn. Ich kann jetzt das tun, was ich tue, weil ich auf dem Weg so viele unterschiedliche Erfahrungen gemacht habe – die Kombination schafft Mehrwert für meine derzeitige Arbeit beim Kompetenzzentrum. Aber Theater ist und wird immer ein Teil meiner Heimat sein.

Beim Kompetenzzentrum warst du auch Regionale Ansprechpartnerin in Nordrhein-Westfalen. Was waren die drängendsten Fragen der Akteure vor Ort?

Natürlich gab es in den Orientierungsgesprächen auch sehr konkrete BWL-Fragen, bei denen es um Rechtsform, Buchhaltung oder Unternehmensstruktur ging. Aber der Hauptfokus der Gespräche war in der Regel die unternehmerische Entwicklung der Ideen und Visionen der Akteure. Natürlich ist betriebswirtschaftliches Know-how ein wichtiges Werkzeug, aber nicht das entscheidende Element einer unternehmerischen Entwicklung. Es geht um die unternehmerische Persönlichkeit. Ökonomische Zusammenhänge müssen angebunden sein an die Inhalte, Projekte und das Kunst- und Kulturverständnis des jeweiligen Akteurs.

In den Gesprächen haben wir gemeinsam versucht, von der Person und der Idee her denkend einen Zugang zum eigenen Unternehmen zu finden. Kreativunternehmer sind hoch qualifizierte Experten und Spezialisten, deswegen kann ein One-size-fits-all-Ansatz nicht funktionieren. Es muss darum gehen, den Akteur am jeweiligen Punkt seiner unternehmerischen Entwicklung abzuholen. Wir haben in den Gesprächen auch viel über das Grundmissverständnis gesprochen, man sei erst mit einem präzisen langfristigen Plan handlungsfähig. Das Gefühl und die Befürchtung, man „huddele“ sich ja nur so durch. Das hat dann viel mit der Einschätzung des eigenen Wertes, der Relevanz des eigenen Schaffens zu tun.

jahreskonferenz_julia

Bei der Jahreskonferenz der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft.

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Übergabe der ersten Fellows-Urkunden.

Dein Schwerpunkt als Transfermanagerin ist Internationales und Export. Du bist dafür auch im Austausch mit Experten und Akteuren aus anderen Ländern. Im vergangenen Jahr warst du im Rahmen des Projekts „Unternehmerinnen und Start-ups in Ägypten“ in Kairo. Vermutlich sind die Herausforderungen für die Akteure Kultur- und Kreativwirtschaft dort ganz andere als in Deutschland?

 Klar sind vor allem die Grundbedingungen andere. Es gibt dort so gut wie keine unterstützende Infrastruktur oder öffentliche Förderungen für Kultur- und Kreativschaffende. Auch gibt es praktisch keinen Binnenmarkt für die Güter und Dienstleistungen. Das führt zu sehr grundsätzlichen Hürden. Auch die politische Situation vor Ort macht das Handeln sicher nicht leichter. Das heißt aber nicht, dass dort weniger interessante Dinge entstehen als bei uns.

Die Akteure der Kultur- und Kreativwirtschaft zeichnet aus – und zwar egal wo – dass sie das, was sie tun wollen einfach tun, gegen Widerstände und Unwägbarkeiten. Auch die Themen sind meiner Erfahrung nach oft ähnliche. Die Fähigkeit, die eigenen kreativen und künstlerischen Kernkompetenzen in andere Zusammenhänge zu setzen und dadurch innovative Ansätze für gesellschaftliche und wirtschaftliche Herausforderungen zu entwickeln, ist das unermessliche Potenzial, das aus dieser Branche kommt– unabhängig von der nationalen Zugehörigkeit.

 Am 20. Juni wird es im Workshop „Zukunft ist grenzenlos“ um neue Zugänge und Kooperationen zu internationalen Märkten gehen. Kannst du noch mehr darüber erzählen?

Die Akteure sind mit ihren ganz eigenen Strategien und Ansätzen international unterwegs. Durch die vielen Klein- und Kleinstunternehmer steht die Branche bei der Internationalisierung aber vor besonderen Herausforderungen. Es geht also darum, dafür eine Sensibilität zu schaffen und zu versuchen, neue Konzepte und innovative Ideen für traditionelle Maßnahmen zu entwickeln.

Zusammen mit Akteuren und Multiplikatoren aus unterschiedlichen Institutionen, Unternehmen und Organisationen, die im Feld der Internationalisierung unterwegs sind, wollen wir konkrete und branchenspezifische Ideen und Formate entwickeln, wie die grenzüberschreitenden Aktivitäten der Branche befördert werden können. Im Anschluss an den Workshop werden dann die Ergebnisse Interessierten öffentlich vorgestellt und gemeinsam weiterdiskutiert.

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Übergabe der ersten Fellows-Urkunden.

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Ist in Zeiten der Globalisierung für Kreativschaffende die Zusammenarbeit über Grenzen hinweg eine Selbstverständlichkeit?

Kreativschaffende denken erst mal ohne Schere im Kopf. Das heißt auch, dass bei Kooperationen und Aktivitäten vornehmlich nach inhaltlichen und nicht geographischen Kriterien entschieden wird. Es gibt viele Unternehmen, deren Produkte digital sind, das bietet natürlich Chancen für internationale Absatzmärkte. Ein vernetztes und über Grenzen gehendes Denken steckt in der DNA der Akteure, das heißt aber nicht, dass alle auch international aktiv sind oder exportieren.

Es gibt auch sehr viele Akteure, die ihre Produkte und vor allem natürlich die vielen Dienstleistungen ganz bewusst lokal oder regional denken und anbieten. Dazu kommt, dass besonders für die vielen Solo-Selbstständigen und Klein- und Kleinstunternehmer Internationalisierung oder Export mit besonderen Hürden einhergeht. Das ist häufig eine Ressourcenfrage, besonders in Bezug auf Zeit (z.B. für Zielmarktrecherche und Beziehungsaufbau) und natürlich Finanzen. Hinzu kommt, dass beispielsweise der landläufige Gemeinschaftsauftritt-Messestand wirklich wenig sexy ist – vor allem für eine Branche, deren Produkte und Dienstleistungen emotional sind und bei denen es um Erlebbarkeit geht. Es braucht neue Ansätze und Ideen. Darüber muss man sprechen.

Können andere Branchen in punkto Erschließung neuer Märkte etwas von der Kultur- und Kreativwirtschaft lernen?

Ich finde, es geht nicht darum zu sagen wer am tollsten ist und wer von wem lernen muss, sondern darum, sich gegenseitig weiter zu bringen und Ideen aufzunehmen, auf die man vielleicht aus dem eigenen immer sehr subjektiven Blick nicht kommt. Made in Germany ist weltweit sicher die wertvollste Marke, wenn es um Qualität geht, aber für Innovation, Flexibilität und Emotionalität sind wir nicht gerade bekannt.

Dabei sind das Kernkompetenzen der Kultur- und Kreativwirtschaft: Imagination, Kommunikation, Dramaturgie, Experience-Design, Einfühlungsvermögen, Prototyping und Agile Methoden. Da gibt es für andere Branchen eine Menge zum genau Hingucken, um die eigene Attraktivität für neue Märkte durch die Ansätze, Tools und Herangehensweisen der Kultur- und Kreativwirtschaft zu steigern.

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Fellows-Forum 2017

Fellows-Forum in Goslar.

In welches Land reist du beruflich als nächstes?

Es ist jetzt nicht so, dass ich ständig durch die Weltgeschichte tingele. Aber ich bin Teil einer OMC-Group der Europäischen Kommission zum Thema „Innovation and Entrepreneurship in CCS“, und da findet das nächste Meeting in Helsinki statt. Darauf bin ich sehr gespannt. Ich bin noch nie da gewesen.

Im Rahmen derselben Gruppe war ich im letzten Jahr eineinhalb Tage in Schweden und habe es geliebt. Ich mag das Designbewusstsein in den Skandinavischen Ländern und die dortigen Ansätze zur Kultur- und Kreativwirtschaft. Das weit verbreitete Bewusstsein für die Potenziale der Branche ist beeindruckend. Ich hoffe, dass ich in Helsinki mit Akteuren und Orten der Kultur- und Kreativwirtschaft in Berührung komme. Das ist immer wie Akku-Aufladen – egal ob im Ausland oder zu Hause. Privat zieht es mich allerdings immer eher ins Warme, wegen des Tauchens und weil ich es wirklich nicht leiden kann, wenn mir kalt ist.

Das Transferteam

Die Transfermanager unterstützen die Unternehmer der Kultur- und Kreativwirtschaft durch spezifische Maßnahmen, Vernetzungsangebote und neue Impulse: Sie machen ihre Potenziale sichtbarer und sensibilisieren neue Partner für innovative Lösungen und Kooperationen mit der Branche. Über ganz Deutschland verteilt bieten die Transfermanager in diesem Jahr spannende Foren, Workshops und Kooperationsveranstaltungen an, bei denen sie ihre Expertise einbringen.

von Julia Köhn mit organisierte Veranstaltungen:
(eine Auswahl)

04.05. Dortmund
Design meets IT

30.05. Bochum
Format:Innensichten

20.06. Berlin
Zukunft ist grenzenlos – neue Zugänge und Kooperationen für neue Märkte!

Weitere Informationen:
https://kreativ-bund.de/veranstaltungen

Kontakt:
koehn@kreativ-bund.de
T 030 – 2088891-21

Fellows-Forum 2017

Fellows-Forum in Goslar.

Credits

Text: Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Fotos: Klaus Fröhlich, Hartmut Schneider, William Veder, Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Anstehende Veranstaltungen

Es gibt derzeit keine bevorstehenden Veranstaltungen.

Credits

Text: Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Fotos: Klaus Fröhlich, Hartmut Schneider, William Veder, Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Wie trägt Kultur- und Kreativwirtschaft zu mehr Kreislaufwirtschaft bei?

Prinzipien aus der Natur abzuschauen hat schon viele Erfindungen hervorgebracht. Insbesondere Kreislaufsysteme der Natur sind Vorbilder für ein nachhaltigeres Leben. Die Umgestaltung unserer Wirtschaft zu einem kreislaufwirtschaftlichen System stellt jedoch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar, die nur branchenübergreifend und ganzheitlich gelöst werden kann. Im Unterschied zum deutschen Begriff „Kreislaufwirtschaft“, der sich auf den Umgang mit Abfall fokussiert, ist der englische Begriff „Circular Economy“ (also „zirkuläres Wirtschaften“) bereits viel weiter gefasst und betrachtet das gesamte Produktsystem. Hier geht es um durchdachte Kreisläufe von Anfang an, die bereits beim Design von Produkten beginnt.

Innovative Ideen und praktische Ansätze für zirkuläres Wirtschaften finden sich schon seit Jahren in der Kultur- und Kreativwirtschaft, zum Beispiel in der Architektur, im Produkt- und Materialdesign, der Film- und Veranstaltungsindustrie sowie dem Modemarkt. Viele Beispiele werden Sie in diesem Magazinschwerpunkt kennenlernen können

In unserer Kurzreportage zur Kreislaufwirtschaft haben wir diesmal mit Architekt*innen Sandra Düsterhus (Point.Architektur) und Martin Haas (haascookzemmrich) über die Ansätze bei ihren Projekten in der Außen- und Innenarchitektur gesprochen und was der Fokus auf Kreislaufwirtschaft auch für die Gestaltung bedeutet.