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Neudenken für die Zukunft

„Welcome to the Age of the Fearless“ – unter diesem Motto trafen sich im Juni rund 200 interessierte Unternehmer*innen, Mitarbeiter*innen der öffentlichen Hand und Akteur*innen der Kultur- und Kreativwirtschaft zur Konferenz „craftakt 2019“. Im Fokus: die Rolle kreativen Unternehmertums als Impulsgeber für eine neue Wirtschaft zwischen Makern, Manufakturen und Mittelstand. Welche Chancen bietet Dezentralisierung? Was bedeutet die Verbindung von verschiedenen Disziplinen, Technik und Design, physischen und digitalen Produkten für Wirtschaft und Gesellschaft? Das wurde in Talkrunden, Vorträgen und Workshops beleuchtet.

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Frankfurt am Main, eine 1800 qm große Industriehalle mit Hightech-Maschinenpark. Aber auch: zwei Bühnen, eine Zuschauertribüne, am Eingang Schilder mit dem Programm. Ein physischer Ort, persönliche Begegnungen und feste Zeiten bildeten also den Rahmen für eine Veranstaltung, bei der sich alles um Dezentralität, Digitalisierung und neues Arbeiten drehen sollte. Doch es waren auch keine gewöhnlichen Tagungsräume: Die Halle ist Standort von Tatcraft, einer Mischung aus Makerspace, Netzwerk, Accelerator, Konzeptions- und Markenagentur, Veranstalter. Und am 19. Juni 2019 gemeinsam mit dem Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes Gastgeber der ersten „craftakt“-Konferenz, in Kooperation mit der Stadt Frankfurt am Main.

Ziel war es auszuloten, wie durch dezentrale Arbeitsorte, Produktionsmethoden, Organisationsarten und Kommunikationsformen, neue Geschäftsmodelle entstehen, die Einfluss auf die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft haben. Dazu sprachen mehr als zwanzig Macher*innen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft über ihre Ideen, innovative Produktion, neue Arbeitsprozesse und kreative Orte.

 

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Die Macher*innen.

Das Motto der Veranstaltung implizierte: In Sachen Furchtlosigkeit ist die Branche oft einen Schritt voraus. Mutige Pionier*innen gaben Einblicke in ihre Communities und diskutierten über ideale Experimentierräume, ungewöhnliche Kooperationen und das Zusammenspiel von analog und digital. Alle hatten eines gemeinsam: die Lust am Blick über den Tellerrand.

Beispiel Marketing. Kaddie Rothe aus Berlin will mit der Kreativagentur goalgirls/co-creagency den üblichen Strukturen der Branche etwas entgegensetzen. Sie schwört auf rein weibliche Kreativteams. Auf Arbeiten ohne Hierarchien. Auf weniger Ellenbogen und mehr Herz. „Das Konzept ‚Zielgruppe’ gibt es für uns nicht mehr“, erklärte Kaddie Rothe. „Das sind wir selbst.“ Krystian Bandzimiera,  Social Media Kreativdirektor aus Frankfurt, stellte ebenfalls ein beliebtes Marketingkonzept infrage – er plädierte für Storyliving statt Storytelling. Durch empathische Kommunikation könne man Menschen zusammenbringen und gemeinsame Werte schaffen: „Man muss die Leute involvieren und ihnen eine Bühne bieten, denn sie wollen echte Erlebnisse“, so Bandzimiera.

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Empathie ist auch das große Thema in der Generation Z – zum Beispiel wenn es ums Arbeiten geht. So schilderten es Jonathan Funke und Nora Wunderwald, beide Anfang 20. Er hat mit tip-me.org ein Projekt für globales Trinkgeld gegründet, sie ist YouTuberin und Herausgeberin eines Jugendmagazins. Beide wollen, dass ihre Arbeit die Welt ein bisschen besser macht. Und sie erwarten, dass das Arbeiten von morgen ruhig weniger Profit, aber dafür mehr Nachhaltigkeit, Menschlichkeit und Gleichberechtigung für alle bedeutet. Jonathan Funke brachte es so auf den Punkt: „Es soll eine Welt sein, in der man sich auf Montag freut.“

Im Rahmenprogramm stellten fünf Start-ups sich selbst und ihre Projekte vor, präsentierten die Produkte, die sie kollaborativ und in geteilten Infrastrukturen entwickeln. Und beim Innovation Game „Moonshot“ wurden 16 Konferenzgäste selbst zu Macher*innen: Was auf den ersten Blick wie ein harmloses Brettspiel wirkte, entpuppte sich schnell als echte Herausforderung, bei der ein hoher Grad an Furchtlosigkeit gefragt war – wie im richtigen Innovationsleben.

Produktion und Prozesse.

Beim Talk zu diesem Thema tauschten Gründer*innen aus dem Netzwerk der Kultur- und Kreativpiloten Deutschland  ihre Erfahrungen aus. Da war Lukas Bosch von HOLYCRAB!, einem Foodtrailer mit Delikatessen aus invasiven Arten. In Berlin hat das Unternehmen mit Sumpfkrebsen begonnen: Die Krustentiere sind dort zur Plage geworden, doch das Start-up konnte schon viele Berliner erfolgreich zu natürlichen Fressfeinden machen. Ana Montes und Daniel Deboys produzieren mit DELTA Soundworks immersive 3D-Sounds für Augmented und Virtual Reality sowie für Games und 360°-Projektionen. Dafür gestalten sie Klanginstallationen mit bis zu 45 Lautsprechern. Eher analog arbeitet der Designer Felix Nolze von der Kreativagentur Rotes Pferd. Seine Spezialität: Kugelbahnen, die sich auch als interaktive Informations- oder Spendentools nutzen lassen. Sie werden in Wartebereichen installiert, wo sie ein magisches analoges Erlebnis im digitalen Zeitalter schaffen.

So verschieden die drei Start-ups auch sind, zum Thema Arbeitsprozesse äußerten sich die Gründer*innen ähnlich: Bei finanziellen Risiken solle man, wie Felix Nolze meinte, „den Mythos der furchtlosen Kreativen nicht überhöhen – schließlich müssen auch wir wirtschaftlich arbeiten.“ Was, da waren sich alle einig, ihre Haltung gegen den Strich zu denken und immer wieder neue Wege zu gehen keineswegs relativiert.

In zwei Vorträgen wurden Beispiele für dezentrale Arbeitsprozesse vorgestellt: Karsten Lehmann von ubisoft Blue Bite erläuterte, wie bei der Entwicklung für ein einziges Game multinationale Teams an zahlreichen Standorten weltweit arbeiten. Und Kristof Sarnes von General Interfaces stellte den humanoiden Roboter Roboy vor, der in agiler Arbeitsweise mit einem interdisziplinären Team entwickelt wird.

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Kreative Orte.

Digitalisierung hin, Dezentralisierung her: Immer wieder wurde bei „craftakt 2019“ betont, wie wichtig physische Orte und persönliche Begegnungen seien, um Innovatives entstehen zu lassen. Welche Rolle spielen Raumkonzepte und Communities für den Erfolg? Im Slot zum Thema ging es zunächst um kreative Orte der Gegenwart. Bei Jonas Lindemann, Fellow des Kompetenzzentrum, aus Hannover ist es hafven, bei Daniel Mabrouk aus Graz GRAND GARAGE, bei Fabian Winopal Tatcraft. Alle drei Orte fördern technisch-kreatives Potenzial, sind Makerspaces, Co-Working-Places, Accelerator, Community und mehr. Daniel Mabrouk erklärte, er wolle vor allem einen niedrigschwelligen Zugang zu Technik ermöglichen. Jonas Lindemann hat ähnliche Ziele: „Die Leute können ja nichts mehr bauen! Wir zeigen ihnen: Doch, du kannst es.“

Die Vierte in der Runde war Yasha Young als Teil des Fellow-Netzwerks des Kompetenzzentrum. Ihr kreativer Ort ist URBAN NATION in Berlin, das weltweit einzige Museum für Urban Contemporary Art. Als künstlerische Leiterin hat sie ein weltweites Netzwerk aus Künstler*innen, Sammler*innen, Galerien, Museen und Besucher*innen geschaffen. Für sie hat URBAN NATION „ein virtuelles Zuhause und einen menschlichen Ansatz.“ Bei der Frage, wie denn der kreative Wunschort der Zukunft aussehen müsse, war für alle klar: Er muss real sein und darf weltweit auch mehrfach existieren. Um sich persönlich auszutauschen und voneinander zu lernen. Um ein Umfeld zu haben, in dem man auch ruhig mal scheitern kann. Um durch echte Begegnungen seine Community zu finden. Yasha Young und Fabian Winopal waren zudem überzeugt: Der kreative Wunschort braucht auch Menschen, die Ideen kanalisieren – nicht im Sinne einer Hierarchie, sondern als Treiber und Motivatoren.

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Für die VR-Künstlerin Sara Lisa Vogl dagegen sind auch virtuelle Welten wichtige kreative Orte der Zukunft. Sie konzipiert virtuelle Ausflüge ins All, in Fantasie-Umgebungen oder in die eigene Persönlichkeit. Ihre Keynote nutzte sie für einen Ausblick und einen Appell: „VR wird in Zukunft einen immer größeren Einfluss auf uns alle haben, doch es gibt nur wenige große Player in diesem Bereich. Deshalb muss jetzt ein gesellschaftlicher Diskurs stattfinden, damit die Entwicklung nicht in der Hand Weniger bleibt.“ Ein Plädoyer für eine Art der Dezentralisierung, die mit Sicherheit nicht nur die Kultur- und Kreativwirtschaft betrifft.

Mit „craftakt 2019“ hat das Kompetenzzentrum einmal mehr die Potenziale der Kultur- und Kreativwirtschaft sichtbar gemacht. Die Veranstaltung hat gezeigt, wie man den Herausforderungen der Dezentralisierung mit ungewöhnlichen Ideen begegnen und die Chancen optimal nutzen kann. Und sie brachte die Erkenntnis, dass dabei nach wie vor zentrale Orte, persönliche Begegnungen und feste Uhrzeiten eine wichtige Rolle spielen.

Anstehende Veranstaltungen

Es gibt derzeit keine bevorstehenden Veranstaltungen.

Credits

Text: Ulli Zahn

Fotos: Looking Friday

Wie trägt Kultur- und Kreativwirtschaft zu mehr Kreislaufwirtschaft bei?

Prinzipien aus der Natur abzuschauen hat schon viele Erfindungen hervorgebracht. Insbesondere Kreislaufsysteme der Natur sind Vorbilder für ein nachhaltigeres Leben. Die Umgestaltung unserer Wirtschaft zu einem kreislaufwirtschaftlichen System stellt jedoch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar, die nur branchenübergreifend und ganzheitlich gelöst werden kann. Im Unterschied zum deutschen Begriff „Kreislaufwirtschaft“, der sich auf den Umgang mit Abfall fokussiert, ist der englische Begriff „Circular Economy“ (also „zirkuläres Wirtschaften“) bereits viel weiter gefasst und betrachtet das gesamte Produktsystem. Hier geht es um durchdachte Kreisläufe von Anfang an, die bereits beim Design von Produkten beginnt.

Innovative Ideen und praktische Ansätze für zirkuläres Wirtschaften finden sich schon seit Jahren in der Kultur- und Kreativwirtschaft, zum Beispiel in der Architektur, im Produkt- und Materialdesign, der Film- und Veranstaltungsindustrie sowie dem Modemarkt. Viele Beispiele werden Sie in diesem Magazinschwerpunkt kennenlernen können

In unserer Kurzreportage zur Kreislaufwirtschaft haben wir diesmal mit Architekt*innen Sandra Düsterhus (Point.Architektur) und Martin Haas (haascookzemmrich) über die Ansätze bei ihren Projekten in der Außen- und Innenarchitektur gesprochen und was der Fokus auf Kreislaufwirtschaft auch für die Gestaltung bedeutet.