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Auf dem Weg zum ’neuen normal‘

Das unhinterfragte 'alte normal' sei kein Weg nach vorn und keine Option für eine aktive und bewusste Gestaltung von Zukunft, sagte Julia Köhn, Projektleitung des Kompetenzzentrums, zum Auftakt des Kongresses Wirtschaft & Werte. Ein Kommentar zu einem möglichen 'neuen normal'.

„Resilienz“ und „Transformation“ gehören neben „Fallzahlen“, „Lockdown“, „Home Office“, Systemrelevanz und Kontaktminimierung zu den wahrscheinlich derzeit am häufigsten genannten Begriffen. Vielleicht etwas überstrapaziert und verbuzzwordet zeigt dies jedoch eins auf: Es scheint sich übergreifend zumindest ein Gedanke in den Köpfen einzunisten: Das „wie bisher“ ist vorbei, das unhinterfragte „alte normal“ oder „weiter so“ ist kein Weg nach vorn, keine Option für eine aktive und bewusste Gestaltung von Zukunft.

Vielleicht war aufgrund vieler Jahre kontinuierlich stabilen Wohlstands und Wachstums trotz aller bestehenden Herausforderungen der Veränderungsdruck noch nicht groß genug, um daran zu glauben, dass es tatsächlich auch anders geht. Schlimm, dass es die Covid-19 Pandemie brauchte, um zu realisieren und zu zeigen, dass ganz viel, ganz schnell verändert werden kann. Aber wenn man dieser furchtbaren Pandemie irgendetwas Gutes abringen möchte, dann vielleicht die Ahnung, dass Veränderung und das Aufbrechen alter Strukturen, Muster und Verhaltensweisen möglich ist.

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Erfolgreich Veränderungen anzustoßen setzt voraus, dass wir anerkennen, dass lineares Denken über die Welt zu kurz greift.

Julia Köhn

Entsprechend wird derzeit weithin der Ruf nach Wandel lauter – hin zu einer größeren Ausrichtung von Wirtschaft am Menschen, an Werten und an positiver nachhaltiger Wirkung. Erfolgreich Veränderungen anzustoßen setzt voraus, dass wir anerkennen, dass lineares Denken über die Welt zu kurz greift. Dass penible Risikoaversion und Incentivierung von Fehlervermeidung eben nicht zur vielzitierten Transformation und auch nicht zu Resilienz führt. Für Wandel bedarf es Mut, der Belohnung von Mut, Integrität, Chancenorientierung und der Überprüfung unseres Verständnisses von Wertschöpfung.

Werte schöpfen gleich wirtschaftliche Leistung erbringen? Die Kultur- und Kreativwirtschaft als eine Branche, die in großem Maße neue Ideen in die Welt bringt und in diesem Sinne originär schöpferisch wirkt, zeigt beispielhaft, dass die Gleichung nicht aufgeht. Nicht jede disruptive Idee lässt sich unmittelbar finanziell aufwiegen, nicht jedes Geschäftsmodell mit hohem Wirkungsgrad durch die Decke skalieren. Die Bedeutung der Kreativwirtschaft lässt sich zwar auch monetär ermitteln, doch das wird der Gesamtheit an Werten nicht gerecht, die tatsächlich geschöpft werden. Wertschöpfung als Differenz zwischen Output und Input ist – insbesondere in der aktuellen Situation – unzureichend. Leistung hat nicht nur eine betriebswirtschaftliche Dimension, sondern bedarf auch einer Berücksichtigung von nachhaltiger Wirkung in der Welt.

Unternehmer*innen sind eben nicht nur Gestalter*innen von Industrieprodukten und Ingenieurskunst, sondern auch von Gesellschaft und Zukunft. Und eine große Chance besteht darin, diese Kraft und Fähigkeit zu nutzen, um diese Krise als Momentum für Veränderung zu nutzen. Und auch wenn da noch reichlich Luft nach oben ist, so haben wir in den vergangenen Monaten gesehen, dass Mindsets sich zumindest zum Teil zu verändern scheinen.

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Nicht jede disruptive Idee lässt sich unmittelbar finanziell aufwiegen, nicht jedes Geschäftsmodell mit hohem Wirkungsgrad durch die Decke skalieren.

Die KKW „kann“ Krise, ist es gewohnt, kontinuierlich mit außergewöhnlichen Situationen umzugehen. Es zeichnet sie aus, dass sie trotz und gerade aufgrund ihrer so schwierigen aktuellen Lage nach vorne guckt und Lösungen erdenkt und erprobt, wie wir nach der akuten Krise zu einer besseren Wirtschaft und Gesellschaft kommen.

Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist eine der Branchen, in der wertegetriebenes Handeln nicht nur gefordert wird, sondern weithin Motor für unternehmerische Tätigkeit ist. Es ist eine Branche, deren Unternehmer*innen weit überdurchschnittlich intrinsisch motiviert agieren und zumeist nicht Gewinnmaximierung, sondern Impact, positive Wirkung und Veränderung ins Zentrum ihres Schaffens gestellt haben. Diese Branche mit rd. 259.000 Unternehmen, von denen nahezu 97% Klein- und Kleinstunternehmen sind; darunter 20% selbständige Kernerwerbstätige (rd. 1,236 Millionen), ist ein Sektor, dessen Innovationskraft, Impact und Transformationskraft maßgeblich von den vielen Kleinen getrieben wird.

Und auch deshalb ist es wichtig, dass den Soloselbstständigen und Kleinststrukturen gleichberechtige Aufmerksamkeit und Hilfe zukommt. Nur so können die besonderen Fähigkeiten der Branche, ihre Ideen und die entworfenen Möglichkeitsräume branchenübergreifend nutzbar gemacht werden. Und wenn man es ernst meint mit dem Willen zu Transformation und Resilienz, dann ist es gerade jetzt wichtig, den vielen Solo-Selbstständigen und Unternehmen, die werteorientiert Wertschöpfung betreiben, auch eine Wertschätzung entgegenzubringen, die Sorge trägt, dass die innovativen Strukturen erhalten bleiben und nicht als Kollateralschaden unwiederbringlich verloren gehen.

Die Unternehmer*innen und Selbständigen der KKW zeigen mit ihren Produkten, Dienstleistungen und Projekten Alternativen zum „das war schon immer so“ auf, machen aus dieser fatalen Situation Chancen und bringen mit ihrer intrinsischen Motivation Geschäftsmodelle in die Welt, die zeigen, dass die Dimensionen People, Planet und Profit in Einklang gebracht werden können, und dass wertegetriebenes Handeln und ökonomischer Erfolg nicht im Widerspruch stehen.

Die Unternehmenswelt ist voller mutiger Pionier*innen, die zeigen, dass eine werteorientierte Ökonomie das „neue normal“ sein kann.

Anstehende Veranstaltungen

  1. Sommerpavillon der Kultur- und Kreativwirtschaft

    21. Juni - 4. Oktober

Credits

Text: Julia Köhn

Fotos: Mina Gerngross

Künstliche Intelligenz als Werkzeug von Kreativen

Die fortschreitende Digitalisierung verändert tiefgreifend, wie wir leben, arbeiten und auch politisch partizipieren. Eine der großen Herausforderungen unserer Zeit ist, sowohl die politische Teilhabe zu stärken als auch die Demokratie vor digitalen Bedrohungen zu schützen.

Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz wird beispielsweise kreative Teilhabe für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich, indem komplexe Werkzeuge und Techniken auch ohne tiefe Fachkenntnisse genutzt werden können. KI ermöglicht es Menschen aus verschiedenen Hintergründen, ihre kreativen Ideen zu verwirklichen und neue Formen der künstlerischen Zusammenarbeit zu erkunden. Das fördert die Vielfalt und Innovation in der kreativen Landschaft. Gleichzeitig stellt diese Entwicklung die traditionellen Vorstellungen von Urheberschaft und Originalität infrage, da KI-gestützte Kreativität zunehmend die Grenze zwischen menschlicher und maschineller Schöpfung verwischt.

Auch die Fragen, was Kreativität bedeutet und wo die Kernkompetenzen der Kreativschaffenden liegen, werden an Wichtigkeit gewinnen und ihre Antworten sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich bringen. KI ist auf dem heutigen Stand eher nicht „kreativ“ – aber sie verändert kreative Prozesse. Sie kann Kreativschaffende in ihrer Kreativleistung unterstützen, sie erweitern und als Inspirationsquelle dienen.

In unserer Kurzreportage sprechen wir mit den Künstlern Julian van Dieken und Roman Lipski über das Potenzial von KI als künstlerische Muse und Werkzeug, das neue Zugänge und Innovationsprozesse ermöglicht.