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Die Kraft des unternehmerischen Innehaltens

Die Corona-Krise ist hart für viele Unternehmer*innen und Selbstständige in der Kreativwirtschaft. Doch sie ist zugleich auch eine Chance für einen Neustart, eine Möglichkeit innezuhalten und zu definieren: was möchte ich künftig anders machen? Ein Kommentar von Martin Kaelble, Digital-Chef bei CAPITAL.

Man kennt sie als Unternehmer*in, diese Ratschläge: Man solle die Krise positiv sehen, nach dem Hinfallen einfach wieder aufstehen, sich nicht unterkriegen lassen… So und ähnlich klingen die gutgemeinten Worte. Doch wenn man als Unternehmer*in derzeit am Monatsende nicht weiß, wie man die Rechnungen bezahlt, Mitarbeiter*innen entlassen musste, die verbliebenen Angestellten einfach nur versucht, irgendwie beschäftigt zu halten – dann ist es schwer, sich für diese wohlgemeinten Ratschläge zu öffnen.

Der Schriftsteller Max Frisch hat einmal gesagt: „Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“ Und so wenig das auf gesellschaftlicher Ebene derzeit möglich ist, so sehr sollte man es auf wirtschaftlicher Ebene versuchen. Als Unternehmer*in ist der Umgang mit solchen Krisen ein Prozess. Er muss bewusst angegangen werden – und zwar in der Phase, wenn es besonders hart ist. Erst dann kann daraus eine große Chance entstehen. Unternehmer zu sein, ohne Krisenmomente zu erleben, ist nicht möglich. Blickt man auf die Wirtschaftsgeschichte, so sind Rezessionen und Einbrüche eher die Regel als die Ausnahme. Und jedes Mal erwächst daraus etwas Neues.

Manche der größten Veränderungen in der Wirtschaftswelt sind aus solchen Krisen entstanden. Neue Unternehmen, neue Produkte, ganz neue Geschäftszweige, oft weil ohnehin nötige Veränderungen durch Krisen letztlich befeuert werden. Nur ein Beispiel von vielen: Die 70er-Jahre waren ein schwieriges Jahrzehnt. Ölkrise, Stagflation, Niedergang der Industrie. Doch darauf folgte in der 80ern Aufbruch, Innovation an vielen Ecken, Boom. Viele Grundlagen der heutigen Digitalwirtschaft und der Dienstleistungsindustrie entstanden in den 80ern und 90ern. Im Krisenjahrzehnt der 70er hätte das wohl kaum jemand zu glauben gewagt.

Als Unternehmer*in ist der Umgang mit solchen Krisen ein Prozess. Er muss bewusst angegangen werden – und zwar in der Phase, wenn es besonders hart ist. Erst dann kann daraus eine große Chance entstehen.

Martin Kaelble

Auch die Covid-Rezession beschleunigt jetzt längst vorhandene Themen der Digitalisierung, vielleicht sogar des Klimaschutzes und wird in einer Post-Pandemie-Welt ganze neue Trends kreieren. Remote Work, Home Office, digitale Services in vielen Bereichen unseres Arbeits- und Alltagslebens. Wieviel Zeit beim Warten an Flughafen-Gates oder im Stau beim Pendeln ins Büro vernichtet wurde – von der Umweltverschmutzung ganz zu schweigen – wird jetzt schlagartig bewusst. Eine Essenz der Corona-Pandemie: Wo es lange immer hieß, es geht nicht – geht es plötzlich doch. Das wird nach Corona ein New Normal bei Digitalthemen schaffen. Und hoffentlich auch beim Klimaschutz.

Die große Chance für jeden Unternehmer*in besteht jetzt darin, das krisenbedingte Innehalten als Chance zu nutzen. Es sind diese Momente des Hinterfragens, die so wertvoll sind. Dabei geht es oft um kleine Dinge des Alltags. War jede Reise zu einem Meeting wirklich notwendig oder hätte man es auch per Video-Call machen können? Muss jedes Teammitglied wirklich am gleichen Ort wohnen? Andersherum gilt aber auch: Wir merken nun sehr deutlich welches Meeting eben doch in Person sein muss. Welche Teile der Arbeit doch ein Büro brauchen, weil manche Ideen oft in der Kaffeeküche, im Türrahmen lehnend entstehen, weil sich eine Firmenkultur eben nicht per Zoom entwickelt. Hinter all dem steckt ein Prozess der Veränderung – den man nur wirklich gestalten kann, wenn man die Chance in der Krise erkennt.

Im Kern sind es drei Fragen, die man sich als Unternehmer*in jetzt stellen muss: Wo geht etwas doch, was bisher nicht zu gehen schien? Was wollte man vielleicht ohnehin die ganze Zeit ablegen? Und wo andererseits sollte auch künftig gelten: weiter so? Diese Krise ist für jede*n Unternehmer*in der Moment, in dem man sieht, was wirklich wichtig ist, was man sogar noch verstärken sollte. Und auf der anderen Seite erkennt man eben auch, was man gehen lassen kann, aber im Hamsterrad des Alltags vor Corona irgendwie nicht angetastet hat.

Ziehen wir die nötigen Schlussfolgerungen aus der Krise? Nehmen wir bewusst gute neue Habits und Strukturen aus der Pandemie-Zeit mit in die neue Welt danach? Oder werden wir wieder bald schon genau so viel unnötige Meetings machen, Menschen zur Anwesenheit im Büro zwingen, Remote-Work für nicht praktikabel erklären?

Martin Kaelble

Natürlich wird es die Versuchung geben, bald wieder zum bekannten Alten zurückzukehren. Die Post-Corona-Phase wird in dieser Hinsicht eine Feuerprobe für die deutsche Wirtschaft. Ziehen wir die nötigen Schlussfolgerungen aus der Krise? Nehmen wir bewusst gute neue Habits und Strukturen aus der Pandemie-Zeit mit in die neue Welt danach? Oder werden wir wieder bald schon genau so viel unnötige Meetings machen, Menschen zur Anwesenheit im Büro zwingen, Remote-Work für nicht praktikabel erklären? Es liegt in der Hand von Deutschlands Unternehmer*innen, wie das New Normal nach Corona gestalten wollen.

Und deswegen ist so wichtig schon jetzt sich dieser Themen bewusst zu werden. Genau dieses Innehalten und Überdenken, dieses Neuausrichten und Neuaufrichten ist jetzt die Aufgabe für jede*n Unternehmer*in in dieser tragischen Pandemie. Wenn es eine Branche gibt, die den dafür notwendigen Mut, die Kreativität und die Anpassungsfähigkeit quasi in ihrer DNA trägt, dann ist es die Kultur- und Kreativwirtschaft.


 

Über Martin Kaelble

Martin Kaelble hat mehrere Jahre als Redakteur bei der Financial Times Deutschland im Berliner Politik-Büro/ Ressort Weltwirtschaft, sowie Freelance für die Deutsche Welle gearbeitet – bevor er 2013 Teil des Relaunch-Teams von Capital wurde und mitgeholfen hat, das Magazin neu zu konzipieren. Seitdem war er zunächst Redakteur und Ressortleiter Leben bei Capital und ist heute Digitalchef und Redaktionsleiter von capital.de.

Credits

Text: Martin Kaelble

Fotos: Unsplash / Joshua Hoehne

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Text: Martin Kaelble

Fotos: Unsplash / Joshua Hoehne

Cross Innovation mit der Kultur- und Kreativwirtschaft

Die aktuellen Herausforderungen sind so komplex und vielfältig, dass sie nicht von einzelnen Branchen oder Disziplinen allein gelöst werden können. Indem über Branchengrenzen hinweg zusammengearbeitet wird, können neue Ideen entwickelt, Wissen effektiv geteilt und Lösungen geschaffen werden, die nachhaltiger, umfassender und wirkungsvoller sind.

Cross Innovation wird dieser Ansatz bezeichnet, bei dem Innovationen durch den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Branchen und Disziplinen vorangebracht wird. Dazu kommen Akteur*innen aus unterschiedlichen Bereichen, die auf den ersten Blick wenig gemeinsam haben können, zusammen. Sie teilen Wissen, Methoden und Perspektiven miteinander und entwickeln daran anknüpfend neue Lösungen. Durch die Vielfalt an Denkweisen und Kompetenzen werden neue Ideen und innovative Ansätze geschaffen, die in einzelnen Branchen alleine oft nicht entstehen würden und den komplexen Herausforderungen gerechter werden. Zum Beispiel können Methoden aus dem Design oder dem Storytelling auf technische Fragestellungen angewendet werden, um unkonventionelle Lösungen zu entwickeln, oder es werden in kultur- und kreativwirtschaftlichen Kontexten neue Anwendungen für technologische Innovationen aus der Industrie gefunden. Insgesamt hilft Cross Innovation dabei, das Potenzial von Branchen, Unternehmen und Projekten voll auszuschöpfen, indem sie neue Kooperations- und Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet.

Im Magazin beschäftigen wir uns mit der Frage, was Cross Innovation für Vorteile bringt, wo Hindernisse bestehen und wie diese überwunden werden könnten. Für unsere Kurzreportage haben wir daher sowohl Akteur*innen der Branche als auch Michael Kellner, Ansprechpartner der Bundesregierung für die Kultur- und Kreativwirtschaft & Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz zu ihren Gedanken zu Cross Innovation befragt.