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Prisma und Kompass – die Kultur- und Kreativwirtschaft in Zeiten sich überlagernder Krisen

Was tun in einer Lage der Verunsicherung? Wenn es um den Umgang mit neuen Situationen geht, schauen viele auf die Kultur- und Kreativwirtschaft, die als Early Adopter von Ideen und Tools gilt. Dieser These wollten wir wissenschaftlich auf den Grund gehen und stellten dem beratenden Wissenschaftsnetzwerk des Kompetenzzentrums bei einem zweitägigen Workshop die Frage: Inwiefern kann die Kultur- und Kreativwirtschaft in Zeiten überlagernder Krise die Rolle einer Krisennavigatorin einnehmen?

Das Wissenschaftsnetzwerk besteht aktuell aus 16 Wissenschaftler*innen, die sich in ihrer Forschung mit Themen der Kultur- und Kreativwirtschaft auseinandersetzen. Die Aufgabe des Netzwerkes ist es, Impulse aus der Wissenschaft in das Kompetenzzentrum und in die Kultur- und Kreativwirtschaft hineinzutragen und gleichzeitig Anregungen aus dem Kompetenzzentrum in die Wissenschaftslandschaft aufzunehmen. Die Expert*innen des Netzwerkes unterstützen das Kompetenzzentrum bei der Beantwortung von komplexen Fragestellungen wie die der Krisennavigation und wirken bei Veranstaltungen und an Publikationen mit. Damit stellt das Wissenschaftsnetzwerk des Kompetenzzentrums ein wichtiges Bindeglied zwischen Wissenschaft und den Akteur*innen der Kultur- und Kreativwirtschaft dar.

An der Diskussion zur „Krisennavigation“ wirkten Gesa Birnkraut, Pelin Celik, Jana Hoffmann, Jens Badura, Timothee Ingen-Housz und Bernd Ankenbrand im Rahmen eines zweitägigen Workshops im Juni 2022 mit. Christoph Brosius unterstütze und das Kompetenzzentrum bei der Konzeption und Moderation des Workshops.

Die Qualität von überlagernden Krisen

Viele Krisen, viele Krisendefinitionen. Die Definitionen von „Krise“ sind in der wissenschaftlichen Literatur vielfältig. Eine Krise kann als Höhepunkt oder Wendepunkt in einem Konflikt gesehen werden (Schmidt 2010) aber auch als schleichender Prozess, der über einen längeren Zeitpunkt anhält und keinen richtigen Anfang oder Ende hat (Boin et al. 2020). In unserem Workshop interessierte uns besonders der Aspekt der Überlagerung. Wir stellten uns vor, dass Krisen wie bei einem Leporello übereinander liegen und dadurch komplexe Schichten ergeben. Wir wollten ergründen, wie durch die überlagernden Schichten durchnavigiert werden kann. Welche Krisen konkret übereinander lagen, war für unsere Betrachtung zweitrangig.

Krisennavigation – mehr Fragen als Antworten

Ergründung der Krisennavigation – was liegt dabei näher als die Arbeit mit einer leeren Landkarte? Um nicht nur gedanklich, sondern auch haptisch in die Frage der Krisennavigation einzutauchen, nutzten wir für den Workshop eine leere Landkarte, auf der wir unsere Diskussion und die Routen unserer gedanklichen Reise festhielten. In der Diskussion stellten wir gemeinsam mit den Wissenschaftler*innen schnell fest, dass der Begriff Navigation, genauso wie die Landkarte vor uns, dazu einlädt, zweidimensional zu denken, z.B. an ein Navigationsgerät, das von A nach B führt. Aber reicht Zweidimensionalität wirklich aus, um durch multiple Krisen mit vielen Schichten zu navigieren? Woher sollen die Akteur*innen bei so viel Komplexität wissen, wo sie hin navigieren und wen sie navigieren? Sind es alle Akteur*innen der Branche, die für die Navigation anderer in Frage kommen oder nur ein bestimmter Teil?

Wertegetriebene Unternehmer*innen als Hauptakteur*innen

Wer aus Krisen herausnavigieren möchte, braucht eine Orientierung, wohin es gehen könnte, braucht eine Vorstellung von wünschenswerten Zukünften. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellten zwei Thesen auf:

  • Besonders wertegetriebene Unternehmer*innen können Vorbilder*innen in Krisen sein, da sie ökonomischen Erfolg mit gesellschaftlichen Werten als Einheit denken und Zukunftsbilder vor Augen haben, wie eine Wirtschaft aussieht, die komplett nachhaltig ist.
  • Der Anteil an wertegetriebenen Unternehmer*innen ist in der Kultur- und Kreativwirtschaft besonders hoch.

Impulspapier für einen Perspektivwechsel

Wir reflektierten gemeinsam mit den Wissenschaftler*innen über die besonderen Eigenschaften der Kultur- und Kreativwirtschaft, die sie dazu befähigen, mit großer Komplexität und Krisen umzugehen. Um im Bilde der Karte zu bleiben stellten wir uns vor, dass Kreativschaffende explorativ an die Wegfindung herangehen würden. Sie würden z. B. mit ihrem explorativen Spirit eine Tiefenbohrung durchführen und könnten etwas über die Zusammensetzung des Geländes aussagen. Sie würden mit Pragmatismus & Kontingenzvertrauen neue Wege durch unbekanntes Gelände suchen.

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Die Wissenschaftler*innen bündelten diese und weitere Eigenschaften, Erkenntnisse und ungelöste Fragen in einem Impulspapier. Das Impulspapier lädt dazu ein, die Kultur- und Kreativwirtschaft aus Perspektiven von Wertehaltungen, Fähigkeiten und Kompetenzen zu betrachten, die im KKW-Milieu typischerweise zusammenwirken.

Fazit: Der Beitrag der KKW in der Krisennavigation: Prisma und Kompass

Die dreidimensionale Ergründung der Krisenlandschaften hat gezeigt, dass Kultur- und Kreativwirtschaft keine Krisennavigatorin im Sinne einer Reiseführerin oder eines Navigationsgerätes ist. Die Branche kann jedoch in Zeiten überlagernder Krisen auf andere Weise Impulse in die Gesellschaft hineingeben: Mit ihrem Wagemut, einem starken (Werte-)Kompass und der Fähigkeit, wie ein Prisma unterschiedliche Perspektiven gleichzeitig sichtbar zu machen, haben wertegetriebene Unternehmerinnen und Unternehmer stets Zielbilder vor Augen, die in wünschenswerte Zukünfte navigieren. Damit können sie auch andere inspirieren. Auf der Internationale Fachkonferenz am 10.11.2022 zum Thema „Creative Ways into Desirable Futures” setzen wir die Diskussion fort.


Quellen:

Boin, A., Ekengren, M. and Rhinard, M. (2020), Hiding in Plain Sight: Conceptualizing the Creeping Crisis. Risks, Hazards & Crisis in Public Policy, 11: 116-138. https://doi.org/10.1002/rhc3.12193

Schmidt, M.G. (2010), Wörterbuch zur Politik, Kröner Verlag, Stuttgart.

Credits

Text: Bianca Creutz, Mitarbeiterin im Team Trends & Analyse und Schnittstelle zum Wissenschaftsnetzwerk

Fotos: Max Bachmeier

Anstehende Veranstaltungen

  1. Sommerpavillon der Kultur- und Kreativwirtschaft

    21. Juni - 4. Oktober

Credits

Text: Bianca Creutz, Mitarbeiterin im Team Trends & Analyse und Schnittstelle zum Wissenschaftsnetzwerk

Fotos: Max Bachmeier

Künstliche Intelligenz als Werkzeug von Kreativen

Die fortschreitende Digitalisierung verändert tiefgreifend, wie wir leben, arbeiten und auch politisch partizipieren. Eine der großen Herausforderungen unserer Zeit ist, sowohl die politische Teilhabe zu stärken als auch die Demokratie vor digitalen Bedrohungen zu schützen.

Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz wird beispielsweise kreative Teilhabe für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich, indem komplexe Werkzeuge und Techniken auch ohne tiefe Fachkenntnisse genutzt werden können. KI ermöglicht es Menschen aus verschiedenen Hintergründen, ihre kreativen Ideen zu verwirklichen und neue Formen der künstlerischen Zusammenarbeit zu erkunden. Das fördert die Vielfalt und Innovation in der kreativen Landschaft. Gleichzeitig stellt diese Entwicklung die traditionellen Vorstellungen von Urheberschaft und Originalität infrage, da KI-gestützte Kreativität zunehmend die Grenze zwischen menschlicher und maschineller Schöpfung verwischt.

Auch die Fragen, was Kreativität bedeutet und wo die Kernkompetenzen der Kreativschaffenden liegen, werden an Wichtigkeit gewinnen und ihre Antworten sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich bringen. KI ist auf dem heutigen Stand eher nicht „kreativ“ – aber sie verändert kreative Prozesse. Sie kann Kreativschaffende in ihrer Kreativleistung unterstützen, sie erweitern und als Inspirationsquelle dienen.

In unserer Kurzreportage sprechen wir mit den Künstlern Julian van Dieken und Roman Lipski über das Potenzial von KI als künstlerische Muse und Werkzeug, das neue Zugänge und Innovationsprozesse ermöglicht.