2024-04-11_KKKW_Medienworkshop_226(1)

Radikalisierung, Rückzug, Resonanz: Digitale Öffentlichkeit und die Kommunikationskrise

Karin Bjerregaard Schlüter beschäftigt sich nicht nur als Co-Gründerin der kultur{}botschaft mit der digitalen Transformation. In ihren vielfältigen Projekten - unter anderem als digitale Formatentwicklerin und Content- und Plattformstrategin - hat sie die Veränderungen des Online-Resonanzraumes aus der ersten Reihe heraus beobachten, begleiten und analysieren können. "Wir stecken tief in einer Kommunikationskrise", stellt sie fest. Wie die Unterschiede zwischen analogen und digitalen Kommunikationsräumen Spannungen erzeugen, die das demokratische Selbstverständnis aktuell auf die Probe stellen, beschreibt sie in diesem Gastbeitrag.

Die derzeitige Krise unserer Demokratie hat nur teilweise mit bestimmten, aktuell umstrittenen Themen zu tun. Man wird ihr nicht gerecht und erfasst ihre Spezifika kaum, wenn man sie nur als Streit über einzelne Themen, Herausforderungen der Zukunft oder das Auftreten von Rechtspopulismus, Rassismus, Sexismus oder Antisemitismus versteht. Wenn wir die spezifischen Kampffelder verlassen und einen Blick von außen auf alle Diskursräume werfen, zeigt sich ein auffälliges Muster. Es weist auf eine Teilursache des Problems hin.

Wir stoßen überall auf Menschen, die sich nicht „gesehen“ und „gehört“ fühlen. Dieses Gefühl kann elementare Fragen betreffen, etwa die Folgen der Wiedervereinigung, die Bekämpfung der Klimakrise oder den Umgang mit der Migration. Aber auch in alltäglichen Bereichen fühlen sich viele nicht wahrgenommen, sei es im Straßenverkehr, in der Schule oder am Arbeitsplatz. Daraus entstehen Spannungen. Wir empfinden eine Distanz zwischen dem eigenen Erleben und der scheinbaren Teilnahmslosigkeit der anderen. Menschen gehen sehr unterschiedlich mit diesen Spannungen um. Manche werden beispielsweise radikal und kleben sich im Namen des Klimaschutzes auf der Straße fest, um Aufmerksamkeit zu erzwingen. Andere wählen Parteien, die extreme Positionen vertreten, um ihren Standpunkt zu markieren, und viele werden still und ziehen sich resigniert zurück. So verdichten sich Millionen von individuellen Spannungen zu einem negativen Knäuel, und es ist kaum noch nachvollziehbar, an welcher Stelle das Chaos begonnen hat. Meine These ist, dass wir genau diese Verknotungen meinen, wenn wir von der Krise der Demokratie oder der Spaltung der Gesellschaft reden. Wir stecken tief in einer Kommunikationskrise, da Menschen das Gefühl haben, dass ihre Wünsche und Bedürfnisse kein Ohr und kein Mitgefühl finden.

Wie kann es in einer vernetzten Welt, die unendlich viele Kommunikationsmöglichkeiten, Kanäle und Plattformen bietet, dazu kommen, dass so viele Menschen den Eindruck haben, nicht gehört zu werden und keine Stimme zu haben? Erschien uns das Internet doch einmal als utopischer Raum, in dem jeder einen Platz findet und Zugang zu Wissen, Gemeinschaft und Austausch hat. Dieses scheinbare Paradox lässt sich vielleicht auflösen, wenn wir uns kurz vergegenwärtigen, wie wir bislang über die Strukturen unserer Gesellschaft gedacht haben und wie sich diese Bedingungen durch digitale Plattformen schleichend verändern.

 

Die klassische Öffentlichkeit und damit der Raum, in dem wir Gemeinschaft bildeten, funktionierte nach dem Prinzip „One to many“. Nur wenige hatten die Möglichkeit, in den Medien zu erscheinen und gelesen, gehört oder gesehen zu werden. Der Zugang zur Öffentlichkeit war an Bedingungen geknüpft, beispielsweise an eine Ausbildung, an die Mitgliedschaft in einer Partei oder an eine hervorragende sportliche Leistung. Im Grunde waren also bis zur Erfindung des Internets vor knapp drei Jahrzehnten die wenigsten von uns in der Position, ihre Stimme zu erheben und gehört zu werden. Die große Mehrheit in unserer Gesellschaft war in der analogen Welt Konsumenten. Die Ungleichheit war bekannt und so gab es auch Formate, die versuchten, dieses Problem zu beheben. In Reportagen, Artikeln oder auch über die Vergabe von Preisen wurde versucht, Gruppen oder einzelnen Menschen, die in dieser Medienwelt selten vorkamen, „eine Stimme zu verleihen“.

Die Erfindung des Internets mit seinen Plattformen und unendlichen Möglichkeiten zu kommunizieren, hat dieses Gefälle nivelliert. Wirklich alle können nun veröffentlichen, ihre Meinung äußern und ihre Stimme erheben. Und davon machen die meisten regen Gebrauch. Wir beteiligen uns in Facebook-Gruppen, liken auf Instagram, posten WhatsApp-Status-Anzeigen, kommentieren in den Feeds der Newsseiten oder schreiben Rezensionen auf Amazon, Google oder TripAdvisor. Diese Aufzählung könnte noch sehr lange weitergeführt werden. User*innen lieben diese Möglichkeiten der Beteiligung, weil ihr Engagement sehr häufig Resonanz erfährt. Ein giftiger Kommentar auf Google kann zur Rücknahme einer beschädigten Ware führen. Amazon-Beurteilungen warnen andere vor Fehlkäufen. Hinweise in Foren helfen Menschen dabei, Probleme zu lösen. In der digitalen Welt empfinden wir uns mehr oder weniger selbstwirksam. Wir haben die Auswahl aus vielen Angeboten, können allen schreiben, die irgendwo ein Profil haben, und Menschen hören anderen zu, und sei es nur, um sie danach zu belehren.

 

Unsere Wahrnehmung verändert sich auch, weil sich die Programmierung der Algorithmen in den vergangenen Jahren deutlich verbessert hat. Durch die Auswertung von großen Datenmengen können immer bessere Vorhersagen gemacht werden, welcher Content zu uns passt. Übertragen könnte man sagen, sie „hören“ den Nutzenden zu und liefern die Antworten, die diese brauchen. Diese Erfahrungen bilden nun unseren Erwartungshorizont an die Kommunikation mit Freunden, Arbeitgebern, Firmen, aber auch an die Vertreter*innen der Medien und des Staates. Wir halten es für selbstverständlich, dass wir unsere Stimme erheben können und diese auch gehört wird. Dabei sind die Erwartungen an die Qualität der Antworten nicht hoch. In der Basisstufe reicht es schon, eine Bestätigung zu bekommen, dass die Nachricht entgegengenommen wurde. Auf WhatsApp steht dafür der Haken, dessen Farbe von grau zu blau geändert wird.

 

Die klassische Öffentlichkeit und damit der Raum, in dem wir Gemeinschaft bildeten, funktionierte nach dem Prinzip „One to many“. Nur wenige hatten die Möglichkeit, in den Medien zu erscheinen und gelesen, gehört oder gesehen zu werden. Der Zugang zur Öffentlichkeit war an Bedingungen geknüpft, beispielsweise an eine Ausbildung, an die Mitgliedschaft in einer Partei oder an eine hervorragende sportliche Leistung. Im Grunde waren also bis zur Erfindung des Internets vor knapp drei Jahrzehnten die wenigsten von uns in der Position, ihre Stimme zu erheben und gehört zu werden. Die große Mehrheit in unserer Gesellschaft war in der analogen Welt Konsumenten. Die Ungleichheit war bekannt und so gab es auch Formate, die versuchten, dieses Problem zu beheben. In Reportagen, Artikeln oder auch über die Vergabe von Preisen wurde versucht, Gruppen oder einzelnen Menschen, die in dieser Medienwelt selten vorkamen, „eine Stimme zu verleihen“.

Die Erfindung des Internets mit seinen Plattformen und unendlichen Möglichkeiten zu kommunizieren, hat dieses Gefälle nivelliert. Wirklich alle können nun veröffentlichen, ihre Meinung äußern und ihre Stimme erheben. Und davon machen die meisten regen Gebrauch. Wir beteiligen uns in Facebook-Gruppen, liken auf Instagram, posten WhatsApp-Status-Anzeigen, kommentieren in den Feeds der Newsseiten oder schreiben Rezensionen auf Amazon, Google oder TripAdvisor. Diese Aufzählung könnte noch sehr lange weitergeführt werden. User*innen lieben diese Möglichkeiten der Beteiligung, weil ihr Engagement sehr häufig Resonanz erfährt. Ein giftiger Kommentar auf Google kann zur Rücknahme einer beschädigten Ware führen. Amazon-Beurteilungen warnen andere vor Fehlkäufen. Hinweise in Foren helfen Menschen dabei, Probleme zu lösen. In der digitalen Welt empfinden wir uns mehr oder weniger selbstwirksam. Wir haben die Auswahl aus vielen Angeboten, können allen schreiben, die irgendwo ein Profil haben, und Menschen hören anderen zu, und sei es nur, um sie danach zu belehren.

 

Unsere Wahrnehmung verändert sich auch, weil sich die Programmierung der Algorithmen in den vergangenen Jahren deutlich verbessert hat. Durch die Auswertung von großen Datenmengen können immer bessere Vorhersagen gemacht werden, welcher Content zu uns passt. Übertragen könnte man sagen, sie „hören“ den Nutzenden zu und liefern die Antworten, die diese brauchen. Diese Erfahrungen bilden nun unseren Erwartungshorizont an die Kommunikation mit Freunden, Arbeitgebern, Firmen, aber auch an die Vertreter*innen der Medien und des Staates. Wir halten es für selbstverständlich, dass wir unsere Stimme erheben können und diese auch gehört wird. Dabei sind die Erwartungen an die Qualität der Antworten nicht hoch. In der Basisstufe reicht es schon, eine Bestätigung zu bekommen, dass die Nachricht entgegengenommen wurde. Auf WhatsApp steht dafür der Haken, dessen Farbe von grau zu blau geändert wird.

Und dann stoßen wir in der analogen Welt auf eine klassische Öffentlichkeit, die noch nach dem alten Betriebssystem arbeitet. Natürlich teilen Politiker*innen und Medien ihre Inhalte längst auf den Plattformen, und es gibt im Jahr 2024 immer mehr Formate zur Einbindung der Bürger*innen und des Publikums. Aber das „System Deutschland“ arbeitet immer noch mit der Methode „One to many“. Es gibt kaum Feedbackschleifen oder Schnittstellen, um alle Bürger*innen zu hören und die Wünsche dann in eine gesellschaftliche Struktur zu übersetzen. Eine Folge davon ist der Bedeutungsschwund des öffentlichen Raums. Die Meinungsbildung findet immer mehr in Sphären statt, die eine Resonanz bieten. Wir befinden uns aktuell in einer Transformation von der analogen Welt in eine digitale. Das führt zu Spannungen, nicht nur bei jedem Einzelnen, sondern auch zwischen gesellschaftlichen Gruppen. Wir spüren das bei den Wahlen, aber auch in alltäglichen Auseinandersetzungen und Streitigkeiten.

Anstehende Veranstaltungen

  1. Sommerpavillon der Kultur- und Kreativwirtschaft

    21. Juni - 4. Oktober

Credits

Text: kreativ_admin_bund

Fotos:

Künstliche Intelligenz als Werkzeug von Kreativen

Die fortschreitende Digitalisierung verändert tiefgreifend, wie wir leben, arbeiten und auch politisch partizipieren. Eine der großen Herausforderungen unserer Zeit ist, sowohl die politische Teilhabe zu stärken als auch die Demokratie vor digitalen Bedrohungen zu schützen.

Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz wird beispielsweise kreative Teilhabe für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich, indem komplexe Werkzeuge und Techniken auch ohne tiefe Fachkenntnisse genutzt werden können. KI ermöglicht es Menschen aus verschiedenen Hintergründen, ihre kreativen Ideen zu verwirklichen und neue Formen der künstlerischen Zusammenarbeit zu erkunden. Das fördert die Vielfalt und Innovation in der kreativen Landschaft. Gleichzeitig stellt diese Entwicklung die traditionellen Vorstellungen von Urheberschaft und Originalität infrage, da KI-gestützte Kreativität zunehmend die Grenze zwischen menschlicher und maschineller Schöpfung verwischt.

Auch die Fragen, was Kreativität bedeutet und wo die Kernkompetenzen der Kreativschaffenden liegen, werden an Wichtigkeit gewinnen und ihre Antworten sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich bringen. KI ist auf dem heutigen Stand eher nicht „kreativ“ – aber sie verändert kreative Prozesse. Sie kann Kreativschaffende in ihrer Kreativleistung unterstützen, sie erweitern und als Inspirationsquelle dienen.

In unserer Kurzreportage sprechen wir mit den Künstlern Julian van Dieken und Roman Lipski über das Potenzial von KI als künstlerische Muse und Werkzeug, das neue Zugänge und Innovationsprozesse ermöglicht.