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Effectuation – Hand in Hand mit dem Zufall

Die Bewerbungsphase für die Kultur- und Kreativpiloten 2018 hat begonnen. Das Besondere am Auswahlverfahren: Einen Businessplan will niemand sehen. Was zählt, sind die Idee und die Unternehmerpersönlichkeit. Ungewöhnlich? Durchaus. Beim letzten Workshop des Kultur- und Kreativpiloten-Jahrgangs 2017 erklärte Michael Faschingbauer anhand des Effectuation-Konzepts, warum Ungewissheit kein Manko ist und der Umgang mit Unplanbarkeit gelernt sein will.

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Am Ende der Präsentation ist bei allen Anwesenden eine deutliche Gelöstheit zu spüren. „Für mich ist das so etwas wie der Heilige Gral“, wirft Kreativpilotin Stella Weickl von WOWDIO in den Raum. Als Unternehmerin, die generell äußerst strukturiert an Themen herangehe, habe sie Momente der Ungewissheit bisher mit einem Gefühl des Scheiterns verbunden: „Jetzt weiß ich, dass das eine Methode ist!“

Die Gründungsphase von Unternehmen ist oft geprägt von der Schärfung der Vision, vom unternehmerischen Ausprobieren und auch einem gewissen „Durchwurschteln“. Dies steht im Widerspruch zu Businessplänen und Kalkulierungen, die von vielen Förderinstitutionen zur Evaluation einer Unternehmung gefordert werden.

„Die kausale Planung im klassischen Management und die Methode der Effectuation sind zwei Pole unternehmerischen Handelns. Keine ist dabei besser als die andere, vielmehr ergänzen sie einander. Der Unterschied liegt in den gegebenen Voraussetzungen“, hält Michael Faschingbauer, Autor des Buches Effectuation: Wie erfolgreiche Unternehmer denken, entscheiden und handeln, fest. „Die Frage ist: Benutze ich Vorhersage als Methode oder will ich Transformationen meiner Idee entwickeln?“ Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft bringen häufig Neues in die Welt, für das es noch keine belastbaren Erfahrungswerte gibt, anhand derer sich Prognosen erstellen ließen. Gerade am Anfang kann Effectuation daher hilfreich sein.

Effectuation Prozess
Effectuation unternehmerisch kochen
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Effectuation ist eine Entscheidungslogik, die von der Professorin Saras D. Sarasvathy (University of Virginia) begründet wurde und sich von anderen Methoden in ihrem Umgang mit Ungewissheiten unterscheidet. Während es in der kausalen Logik traditioneller Managementmethoden darum geht, die einzelnen passgenauen Puzzleteile zu finden, die ein genau definiertes Ziel erreichen lassen, akzeptiert Effectuation Unvorhersehbarkeiten und beruft sich auf die Mittel, die zur Verfügung stehen, um daraus ein Produkt oder eine Dienstleistung zu entwickeln. „Wenn ich am Wochenende Freunde zum Essen einlade, kann ich schon jetzt ein Rezept aussuchen. Dann kann ich planen, was ich einkaufen muss und wann ich wie das bestimmte Gericht zubereiten muss, damit es am besagten Abend mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf dem Tisch steht. Ebenso kann ich aber auch schauen, was sich bereits in meinem Kühlschrank befindet und was meine Gäste noch mitbringen könnten und aus all diesen Dingen ein völlig neues Menü kochen.“, erklärt Faschingbauer.

Effectuation ermöglicht es, aus dem Ungewissen heraus systematisch ins unternehmerische Handeln zu kommen.

- Michael Faschingbauer

Der Vergleich zeigt: Knackpunkt beim Kochen ohne Rezept sind die zur Verfügung stehenden Mittel. Sie bestimmen das Ergebnis. Ähnliches gilt für das unternehmerische Handeln mit Effectuation, laut der die Entwicklung des Unternehmens auf der Beantwortung der zentralen Fragen: Wer bin ich? Was kann ich? und Wen kenne ich? beruht. Aus ihnen ergeben sich flexible Wege und Möglichkeiten statt eines starren Ziels, zu dem die entsprechenden Mittel erst generiert werden müssen.

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Ein Beispiel: Unser Fellow Sebastian Fleiter wurde 2010 als Kultur- und Kreativpilot ausgezeichnet. Als Medienkünstler mit einer Obsession für das Thema Strom entwickelte er damals THE ELECTRIC HOTEL – einen AirstreamTrailer, der als mobiles Kraftwerk wirkt und so auf Festivals und anderen Veranstaltungen das Publikum mit regenerativer Energie aus Muskelkraft versorgt. Inzwischen hat die Idee weitere Transformationen erfahren, z.B. in Form des Stromodroms (das weltweit erste muskelbetriebene Motodrom für Slotcar-Rennen) und als ELECTRIC CAROUSEL auf Spielplätzen, dank denen sich Eltern über Strom freuen können, den ihre Kleinen beim Spielen auf dem Karussell erzeugen.

Eine ähnliche Unternehmensgeschichte hat auch der Produktdesigner, Papierkünstler und Kreativpilot aus dem Jahr 2014 Peter Dahmen zu erzählen: Was mit einem Faible für aufwändige Grußkarten begann, wurde als großformatige Idee für eine Präsentation von BMW aufgegriffen und damit weiterentwickelt. Über diese Riesen-Pop-Ups wurde wiederum Highcon, Hersteller für High End Cuttermaschinen in der Papierverarbeitung, auf Peter Dahmen aufmerksam und beauftragte ihn mit mehreren Projekten. Inzwischen hat er sich mit seiner Papierkunst international einen Namen gemacht und ist mit seinen Pop-Up Karten seit 2016 sogar im MoMA Store in New York zu finden.

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„Ungewissheit zu managen ist ein spezifisches Know How der Kultur- und Kreativwirtschaft“.

- Christoph Backes

Beiden Geschichten ist gemein, dass sie nicht von Anfang an auf ein bestimmtes Ziel zusteuerten, sondern sich die angebotenen Produkte im Laufe der Zeit zu dem entwickelten, was sie heute sind.

„Effectuation ermöglicht es, aus dem Ungewissen heraus systematisch ins unternehmerische Handeln zu kommen.“, betonte Michael Faschingbauer. Viele Kultur- und Kreativpiloten agieren unbewusst bereits so, nehmen jedoch Ungewissheit im unternehmerischen Kontext als negativ wahr und vermeiden deshalb, diese Aspekte zu kommunizieren. Dabei stellt dieser Umgang eine Kernkompetenz der Kultur- und Kreativwirtschaft dar, wie Christoph Backes ergänzte: „Ungewissheit zu managen ist ein spezifisches Know How der Kultur- und Kreativwirtschaft“.

Der letzte Workshop des aktuellen Kultur- und Kreativpiloten-Jahrgangs endete mit der Übergabe der u-Diplome und feierlichen Laudatien auf die ausgezeichneten Unternehmen. Nun geht es weiter: Ab sofort werden die Kultur- und Kreativpiloten 2018 gesucht! Die Bewerbungsphase läuft bis zum 1. Juli 2018. Bei der Auswahl ist kein Businessplan oder das klassische BWL-Studium gefragt, sondern vielmehr eine innovative, durchdachte Idee und eine überzeugende Unternehmerpersönlichkeit. Also nur Mut! #bessermachen

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Die Auszeichnung „Kultur- und Kreativpiloten Deutschland“ wird im Namen der Bundesregierung jährlich an 32 Unternehmen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft und ihren Schnittstellen vergeben. An den Titel geknüpft ist ein einjähriges Mentoring-Programm, Zugang zu einem vielfältigen Netzwerk und bundesweite Aufmerksamkeit durch die Medienpartner.

Die aktuelle Bewerbungsphase läuft noch bis zum 1. Juli 2018. Alle Informationen unter kultur-kreativpiloten.de

Credits

Text: Wiebke Müller

Fotos: Michael Faschingbauer, Sebastian Fleiter, Peter Dahmen, Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Anstehende Veranstaltungen

Es gibt derzeit keine bevorstehenden Veranstaltungen.

Credits

Text: Wiebke Müller

Fotos: Michael Faschingbauer, Sebastian Fleiter, Peter Dahmen, Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Cross Innovation mit der Kultur- und Kreativwirtschaft

Die aktuellen Herausforderungen sind so komplex und vielfältig, dass sie nicht von einzelnen Branchen oder Disziplinen allein gelöst werden können. Indem über Branchengrenzen hinweg zusammengearbeitet wird, können neue Ideen entwickelt, Wissen effektiv geteilt und Lösungen geschaffen werden, die nachhaltiger, umfassender und wirkungsvoller sind.

Cross Innovation wird dieser Ansatz bezeichnet, bei dem Innovationen durch den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Branchen und Disziplinen vorangebracht wird. Dazu kommen Akteur*innen aus unterschiedlichen Bereichen, die auf den ersten Blick wenig gemeinsam haben können, zusammen. Sie teilen Wissen, Methoden und Perspektiven miteinander und entwickeln daran anknüpfend neue Lösungen. Durch die Vielfalt an Denkweisen und Kompetenzen werden neue Ideen und innovative Ansätze geschaffen, die in einzelnen Branchen alleine oft nicht entstehen würden und den komplexen Herausforderungen gerechter werden. Zum Beispiel können Methoden aus dem Design oder dem Storytelling auf technische Fragestellungen angewendet werden, um unkonventionelle Lösungen zu entwickeln, oder es werden in kultur- und kreativwirtschaftlichen Kontexten neue Anwendungen für technologische Innovationen aus der Industrie gefunden. Insgesamt hilft Cross Innovation dabei, das Potenzial von Branchen, Unternehmen und Projekten voll auszuschöpfen, indem sie neue Kooperations- und Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet.

Im Magazin beschäftigen wir uns mit der Frage, was Cross Innovation für Vorteile bringt, wo Hindernisse bestehen und wie diese überwunden werden könnten. Für unsere Kurzreportage haben wir daher sowohl Akteur*innen der Branche als auch Michael Kellner, Ansprechpartner der Bundesregierung für die Kultur- und Kreativwirtschaft & Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz zu ihren Gedanken zu Cross Innovation befragt.