Die derzeitige Krise unserer Demokratie hat nur teilweise mit bestimmten, aktuell umstrittenen Themen zu tun. Man wird ihr nicht gerecht und erfasst ihre Spezifika kaum, wenn man sie nur als Streit über einzelne Themen, Herausforderungen der Zukunft oder das Auftreten von Rechtspopulismus, Rassismus, Sexismus oder Antisemitismus versteht. Wenn wir die spezifischen Kampffelder verlassen und einen Blick von außen auf alle Diskursräume werfen, zeigt sich ein auffälliges Muster. Es weist auf eine Teilursache des Problems hin.
Wir stoßen überall auf Menschen, die sich nicht „gesehen“ und „gehört“ fühlen. Dieses Gefühl kann elementare Fragen betreffen, etwa die Folgen der Wiedervereinigung, die Bekämpfung der Klimakrise oder den Umgang mit der Migration. Aber auch in alltäglichen Bereichen fühlen sich viele nicht wahrgenommen, sei es im Straßenverkehr, in der Schule oder am Arbeitsplatz. Daraus entstehen Spannungen. Wir empfinden eine Distanz zwischen dem eigenen Erleben und der scheinbaren Teilnahmslosigkeit der anderen. Menschen gehen sehr unterschiedlich mit diesen Spannungen um. Manche werden beispielsweise radikal und kleben sich im Namen des Klimaschutzes auf der Straße fest, um Aufmerksamkeit zu erzwingen. Andere wählen Parteien, die extreme Positionen vertreten, um ihren Standpunkt zu markieren, und viele werden still und ziehen sich resigniert zurück. So verdichten sich Millionen von individuellen Spannungen zu einem negativen Knäuel, und es ist kaum noch nachvollziehbar, an welcher Stelle das Chaos begonnen hat. Meine These ist, dass wir genau diese Verknotungen meinen, wenn wir von der Krise der Demokratie oder der Spaltung der Gesellschaft reden. Wir stecken tief in einer Kommunikationskrise, da Menschen das Gefühl haben, dass ihre Wünsche und Bedürfnisse kein Ohr und kein Mitgefühl finden.