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Catch me if you can

Nein, im Fiction Forum haben wir nicht die Erkenntnis gewonnen, dass die Zukunft der Mobilität in der Stadt sich im Spaziergehen erschöpft. Auch wenn man bei der vorherrschenden Feinstaubbelastung mitunter den Eindruck hat, Spaziergehen sei die einzig noch vertretbare, weil garantiert umweltverträgliche Form der Fortbewegung. Doch weit gefehlt: Gemeinsam mit Vertreter*innen der Kultur- und Kreativwirtschaft haben wir uns im Rahmen der Europäischen Mobilitätswoche verschiedenen, durchaus motorisierten Mobilitätskonzepten genähert. Darunter: Die spielerische Intervention „Catch the Bus“. Ob auf zwei, drei oder doch auf vier Rädern – Mobilität geht auch anders, soviel wurde klar!

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Fahren selbst und ständig

Kontrolle abzugeben dürfte dabei ein nicht zu unterschätzender Trend sein, auch wenn er im Straßenverkehr zunächst paradox anmuten mag. Tatsächlich ist autonomes Fahren auf dem Vormarsch, wenn auch nach Zwischenfällen wie dem tödlichen Unfall einer Passantin mit einem Uber-Roboterwagen in Arizona vor einem Jahr noch immer ein umstrittenes Thema. Aktuell wird in Berlin an drei Standorten durch die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) autonomes, oder in Anwesenheit eines Navigators, semi-autonomes Fahren erprobt. In Alt-Tegel sowie bei unserem Kooperationsparnter auf dem Charité-Campus Berlin-Mitte und dem Campus Virchow-Klinikum.

Gelb, ohne Gaspedal oder Lenkrad, haben die dort verkehrenden Minibusse nur entfernt Ähnlichkeit mit ihren Namensvettern auf den Straßen der Hauptstadt. Dafür brauchen Sie auch kein Fahrpersonal, sondern orientieren sich mit Laser- und Radarsensoren – sowie anhand einer 3D-Karte, die sie ihre Umgebung realitätsnah „erfahren“ lässt. „Stimulate“ heißt das Forschungsprojekt, das die Potenziale autonom fahrender Gefährte für die Zukunft des Zubringerverkehr auslotet und an dem neben dem Land Berlin eben auch die Charité – Universitätsmedizin Berlin beteiligt ist.

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Catch me if you can

Doch wie zuverlässig agieren Fahrzeuge ohne menschliches Zutun? Gemeinsam mit den Spieleentwicklern Viktor Bedö von Tacit Dimension und Simon Johnson von Free Ice Cream machten wir uns auf dem an das Fiction Forum anschließenden Campus der Charité daran, den dort semi-autonom verkehrenden Shuttle in Sinne der Forschung zu überlisten. Und genau darum geht es bei „Catch the Bus“: durch spielerische Intervention das Fahrsystem des Busses auf seine Grenzen hin zu prüfen und durch die Teilhabe auch den anderen Verkehrsteilnehmer*innen zu vermitteln, wie autonomes Fahren in der Zukunft funktionieren kann.

Zunächst muss ein*e Spielteilnehmer*in vor den Bus treten und ihm so Einhalt gebieten, um ihm dann langsam vorangehend das Tempo vorzugeben. Als kleiner, eigenständiger Bus getarnt, treten nun wiederum fünf Teilnehmende in Interaktion mit dem fahrenden, oder tatsächlich, überwiegend stehenden Mini-Bus. Hinter dem realen Bus übernehmen vier Spielteilnehmende die Rolle „sprechender Sensoren“, wobei sie einem*r weiteren Spieler*in, der*die als blinder Bus-Algorithmus agiert, die Richtung ansagen. In Überholmanövern testen sie nun, wie sensibel der reale Bus auf Reize von außen reagiert, wobei sie einen mit Sensoren ausgestatteten Rahmen halten und so vorgeben, selbst ein Bus zu sein. Kommt der „Spiele-Bus“ dem realen zu nah, so löst dieser automatisch die Bremse aus. Ziel der Interaktion ist es, den realen Bus nicht häufiger als dreimal zum Bremsen zu bringen.

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Wir lassen keinen fahren

Nach den ersten vorsichtigen Annäherungsversuchen nimmt das Spiel schnell Fahrt auf, wobei es sich bei den häufigen Karambolagen spielbedingt immer um menschliches Versagen, nicht um technisches handelt. So offenbarte die spielerisch angelegte Interaktion eine neue Dimension der Mensch-Maschine-Beziehung, wie auch die Begleitperson des autonom fahrenden Gefährts bestätigt. Pannenfrei agiere nämlich nur der Bus, Passant*innen seien nicht nur Unfallverursacher*innen Nummer eins, ohne sie käme es gar nicht erst zu Störungen des Betriebs. Kommt die Mobilität der Zukunft also nicht nur besser ohne Verbrennungsmotor, sondern auch ohne andere Verkehrsteilnehmer*innen aus? Sicher nicht. Deutlich wurde vielmehr, dass es zukünftig noch mehr darauf ankommen wird, im Straßenverkehr verantwortungsvoll zu agieren und sich dabei selbst als Teil eines Entwickler*innen-Teams zu begreifen.

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Future to drive

Dem Geschwindigkeitsrausch des mit 12km Höchstgeschwindigkeit verkehrenden Mini-Busses entkommen, warf die anschließend im Fiction Forum des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes stattfindende Panel-Diskussion weitere Fragen nach einer Neudefinition von Mobilität auf. Neben Viktor Bedö und dem neben ihm lehnenden Spiel-Bus, komplettierten Susanne Schuldt aus dem Digitalisierungsstab der BVG und Anne Pelzer als Geschäftsführerin von HYGGELIG BIKES, eines Stuttgarter E-Lastenrad-Vertriebs, die Gesprächsrunde. Schnell wurde dabei klar: Die Mobilität der Zukunft muss divers und von Grund auf neu gedacht werden. Sei es, die Entscheidungsträger*innen in der Autostadt Stuttgart für Lastenräder zu begeistern oder die Berliner*innen sicher, umweltschonend und schnell von A nach B zu befördern, die Kultur- und Kreativwirtschaft bietet spannende Ansätze für ein Umdenken im Straßenverkehr. Denn ihre Akteur*innen entwickeln Ideen für den innerstädtischen Transport von Gütern und Menschen, unterstützen mit ihren Methoden die technische Weiterentwicklung im Mobilitätssektor und begegnen den Herausforderungen der Zukunft unerschrocken. Oder wie Anne Pelzer es formulierte: „Man gehört zu einer Gruppe, die es bereits verstanden hat.“

Credits

Text: Laura Müller

Fotos: Mina Gerngross

Anstehende Veranstaltungen

  1. Schulterblick des Creative Labs #7 Kreislaufwirtschaft mit der Kreislaufwirtschaftsexpertin Eveline Lemke

    5. April, 16:00 - 21:00

Credits

Text: Laura Müller

Fotos: Mina Gerngross

Wie trägt Kultur- und Kreativwirtschaft zu mehr Kreislaufwirtschaft bei?

Prinzipien aus der Natur abzuschauen hat schon viele Erfindungen hervorgebracht. Insbesondere Kreislaufsysteme der Natur sind Vorbilder für ein nachhaltigeres Leben. Die Umgestaltung unserer Wirtschaft zu einem kreislaufwirtschaftlichen System stellt jedoch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar, die nur branchenübergreifend und ganzheitlich gelöst werden kann. Im Unterschied zum deutschen Begriff „Kreislaufwirtschaft“, der sich auf den Umgang mit Abfall fokussiert, ist der englische Begriff „Circular Economy“ (also „zirkuläres Wirtschaften“) bereits viel weiter gefasst und betrachtet das gesamte Produktsystem. Hier geht es um durchdachte Kreisläufe von Anfang an, die bereits beim Design von Produkten beginnt.

Innovative Ideen und praktische Ansätze für zirkuläres Wirtschaften finden sich schon seit Jahren in der Kultur- und Kreativwirtschaft, zum Beispiel in der Architektur, im Produkt- und Materialdesign, der Film- und Veranstaltungsindustrie sowie dem Modemarkt. Viele Beispiele werden Sie in diesem Magazinschwerpunkt kennenlernen können

In unserer Kurzreportage zur Kreislaufwirtschaft haben wir diesmal mit Architekt*innen Sandra Düsterhus (Point.Architektur) und Martin Haas (haascookzemmrich) über die Ansätze bei ihren Projekten in der Außen- und Innenarchitektur gesprochen und was der Fokus auf Kreislaufwirtschaft auch für die Gestaltung bedeutet.