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Wir blicken über den Tellerrand

Das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes hat gemeinsam mit Michael Söndermann, dem Leiter für wissenschaftliche Analysen, aufgerufen, die internationale Fachdebatte um die Kreativwirtschaft zu rezipieren und zu diskutieren. Und rund 100 Teilnehmer sind diesem Ruf am 23. September gefolgt, um bei der internationalen Fachkonferenz im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie über den eigenen Tellerrand zu schauen.

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Die Kultur- und Kreativwirtschaft und ihre Konzepte verändern sich ständig. Globalisierung und Digitalisierung lassen Landesgrenzen verschwimmen. Die Sichtbarkeit der Branche nimmt stetig zu. Aber was heißt das für die wissenschaftliche Rezeption der Kultur- und Kreativwirtschaft? Wie sieht eigentlich die globale Fachdiskussion aus und wird das Konzept der nicht-technologischen Innovation auch anderswo so rege diskutiert wie bei uns?

Der internationale Blick und der Innenblick für die anderen

Laufend entstehen internationale Fachstudien. Diese zu kennen, ist Voraussetzung für gegenseitiges grenzüberschreitendes Verständnis und die Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Debatte in Deutschland. Deswegen hat es sich die Konferenz zur Aufgabe gemacht, neue Konzeptionen zur Kultur- und Kreativwirtschaft aus dem internationalen Raum vorzustellen.

Renommierte Vertreter weltweiter Organisationen aus den USA und Frankreich konnte Michael Söndermann als Referenten gewinnen. Bonnie Nichols vom National Endowment for the Arts und Elisabeth Cologer vom Bureau of Economic Analysis im U.S. Department of Commerce sind aus den USA angereist. Gemeinsam stellen sie, zum ersten Mal außerhalb von Nordamerika, die Arts and Cultural Production Satellite Accounts als ersten offiziellen Bericht der Amerikanischen Regierung zur Bedeutung der Kultur- und Kreativwirtschaft in den USA vor.

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Rund 3% der globalen Wertschöpfung geht auf die Kultur- und Kreativwirtschaft zurück. Damit überrundet sie weltweit den Telekommunikationssektor.

Gadi Oron, Director General der Confédération Internationale des Sociétés d´Auteurs et Compositeurs (CISAC), präsentiert die Global Map of Cultural and Creative Industries, die die wirtschaftliche Bedeutung der weltweiten Kultur- und Kreativwirtschaft darlegt. Eingerahmt von kurzen Fachimpulsen inländischer Experten wird deutlich, wie groß der Beitrag der Kultur- und Kreativwirtschaft zur globalen Wirtschaftsleistung ist: Rund 3% der globalen Wertschöpfung geht auf sie zurück. In Zahlen hat CISAC dies mit $2.250 Mrd. Umsatz beziffert. Damit überrundet die Kultur- und Kreativwirtschaft weltweit den Telekommunikationssektor mit $1.570 Mrd.

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Klar wird an diesem Vormittag aber auch: Nach wie vor gibt es international kein einheitliches Konzept, was eine internationale Vergleichbarkeit schwierig macht. Und es braucht dringend eine wissenschaftliche Methode, die Spillover-Effekte der Branche zu messen und in die Statistiken einfließen zu lassen, da hier eine bisher nicht konkret bezifferte aber enorme Leistung der Kultur- und Kreativwirtschaft zu finden ist.

Außerdem, und das wird auch in der Konferenz immer wieder betont, braucht es zum jetzigen Zeitpunkt zusätzlich zur, natürlich nach wie vor wichtigen, quantitativen Einordnung durch wissenschaftlich fundierte Studien und Statistiken, auch eine qualitative Auswertung der Potenziale und Leistungen der Branche. Denn der Wert der Kultur- und Kreativwirtschaft geht weit über die rein ökonomischen Kennzahlen hinaus oder wie es der Referent Matthias Hornschuh in einer Frage so treffend formuliert: „Wie häufig bekommt man schon von einem Algorithmus Gänsehaut?“

 

Anstatt zu überlegen, wie Kultur- und Kreativwirtschaft gefördert werden kann, soll endlich klar werden: Kultur- und Kreativwirtschaft fördert!

Vermitteln wir also die deutsche Kultur- und Kreativwirtschaft im In- und Ausland über eine Sprache, die ihr eigen ist und somit ihrer Vielfalt gerecht wird. Erzeugen wir eine andere Form der Sichtbarkeit, die über Storytelling, Ikonen, Menschen und Beispiele eine sinnliche Empirie schafft. Oder wie Reinhard Strömer, impulsgebender Experte in der Diskussion, mit Bezug auf das vor dem Wirtschaftsministerium zu findende Plakat „Entdecke das Du in InDUstrie“ fordert: „Entdecken wir das Wir in Kultur- und KreativWIRtschaft.“ Investitionen in die Kultur- und Kreativwirtschaft sind Investitionen in unsere Zukunft. Und anstatt zu überlegen, wie Kultur- und Kreativwirtschaft gefördert werden kann, soll endlich klar werden: Kultur- und Kreativwirtschaft fördert!

Worum es in Zukunft geht

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Der Nachmittag der Konferenz steht ganz im Zeichen von Innovation. Aus Genf per Video zugeschaltet stellt Sacha Wunsch-Vincent von der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) den Global Innovation Index 2016 vor, der erstmals auch einige Indikatoren zur Messung von Kreativität als Teil von Innovation enthält. Christian Handke (Erasmus Universität Rotterdam) stellt das Jahresgutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2015 der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) vor. Die Impulse und Vorträge der internationalen Referenten und nationalen Experten zeigt, dass die derzeitig verwendeten Indikatoren zur Messung von Innovationen zwar in geringem Maße den Begriff der Kreativität heranziehen, dies aber noch unzulänglich ist, um Innovationen im nicht-technischen Bereich adäquat zu erfassen.

Wie von Christian Handke dargelegt, ist in der Kreativwirtschaft

„Marktwert  – Produktionskosten ≠ gesamtgesellschaftlicher Zusatznutzen.“

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Die These, die sich daraus ergibt, ist, dass möglicherweise eine systematische Unterbewertung der Innovationen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft vorliegt. Die Grundlage für Wert bestimmt sich in der Branche maßgeblich durch menschliches Verhalten. Auch Sinnorientiertheit, Emotionen und die Verortung des Wertes der Produkte und Dienstleistungen der Kultur- und Kreativwirtschaft im Werk selbst deuten darauf hin, dass Werthaltigkeit in der KKW anders gelagert ist als im landläufigen Verständnis von Innovation. Wenn also Umsatz und Bruttowertschöpfung keine ausreichenden Indikatoren sind, ist die Frage: Wie kann man Herzklopfen, Tränen, Erlebnis und Sinnreferenzen als Indikatoren für Werthaltigkeit messbar machen? Bei der Beschäftigung mit einem erweiterten nicht-technischen Innovationsbegriff sollte also auf den Doppelcharakter von Kulturgütern bzgl. Sinn und Markt geachtet werden, um das Werthaltige & Neuartige der Branche adäquat darstellen zu können.

Fazit

Weil die Kultur- und Kreativwirtschaft eine Branche ist, in der gesellschaftliche Veränderungen sehr früh zu beobachten sind und neue Technologien und Herangehensweisen frühzeitig angewendet werden, können über Beobachtung des Innovationsverhaltens der Akteure, die Veränderungen in der Gesellschaft sowie neue Themen und Trends mit Relevanz auch für andere gesellschaftliche und wirtschaftliche Bereiche frühzeitig identifiziert werden. Die Kultur- und Kreativwirtschaft erschließt kontinuierlich neue Wirkungsfelder in verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen. Der gesellschaftliche und ökonomische Wert geht also weit über die Grenzen der eigenen Branche hinaus. Folgerichtig wurde die Notwendigkeit einer qualitativen Bewertung und einer Messbarmachung der Spillover-Effekte aus der Kultur- und Kreativwirtschaft deutlich.

Durch die vielseitige Diskussion aus unterschiedlichen Perspektiven konnte die Konferenz eine Grundlage bereiten für gegenseitiges Verständnis unterschiedlicher internationaler Positionen sowie eine Weiterentwicklung der inländischen Diskussion.

Es ist die Zusammenarbeit von Theorie und Praxis, die es ermöglichen wird, das Thema Kultur- und Kreativwirtschaft und ihre (Innovations-)Potenziale in Zukunft noch sichtbarer zu machen.

Credits

Text: Julia Köhn, Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Fotos: Michael Felsch

Anstehende Veranstaltungen

Es gibt derzeit keine bevorstehenden Veranstaltungen.

Credits

Text: Julia Köhn, Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Fotos: Michael Felsch

Wie trägt Kultur- und Kreativwirtschaft zu mehr Kreislaufwirtschaft bei?

Prinzipien aus der Natur abzuschauen hat schon viele Erfindungen hervorgebracht. Insbesondere Kreislaufsysteme der Natur sind Vorbilder für ein nachhaltigeres Leben. Die Umgestaltung unserer Wirtschaft zu einem kreislaufwirtschaftlichen System stellt jedoch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar, die nur branchenübergreifend und ganzheitlich gelöst werden kann. Im Unterschied zum deutschen Begriff „Kreislaufwirtschaft“, der sich auf den Umgang mit Abfall fokussiert, ist der englische Begriff „Circular Economy“ (also „zirkuläres Wirtschaften“) bereits viel weiter gefasst und betrachtet das gesamte Produktsystem. Hier geht es um durchdachte Kreisläufe von Anfang an, die bereits beim Design von Produkten beginnt.

Innovative Ideen und praktische Ansätze für zirkuläres Wirtschaften finden sich schon seit Jahren in der Kultur- und Kreativwirtschaft, zum Beispiel in der Architektur, im Produkt- und Materialdesign, der Film- und Veranstaltungsindustrie sowie dem Modemarkt. Viele Beispiele werden Sie in diesem Magazinschwerpunkt kennenlernen können

In unserer Kurzreportage zur Kreislaufwirtschaft haben wir diesmal mit Architekt*innen Sandra Düsterhus (Point.Architektur) und Martin Haas (haascookzemmrich) über die Ansätze bei ihren Projekten in der Außen- und Innenarchitektur gesprochen und was der Fokus auf Kreislaufwirtschaft auch für die Gestaltung bedeutet.