hannsjana ein Jahr Kreativpiloten

Mund aufmachen, sichtbar werden

Wie können Kreativunternehmer erfolgreich ins Ausland expandieren? Welche politische Unterstützung brauchen sie dafür und wo müssen sie selber aktiver werden und sich bemerkbar machen? Internationalisierung und Vernetzung waren zentrale Themen der Jahreskonferenz Kultur- und Kreativwirtschaft 2016.

Die Reise war ein Desaster für die deutsche Delegation. Internationale Designausstellung in Südkorea, eine Woche Zeit, sich in dem Hochtechnologieland potenziellen Kunden zu präsentieren. „Aber es kamen einfach keine Besucher“, erinnert sich Peter Zec, Gründer des Red Dot Design Awards und Leiter des Designzentrums NRW. Was dann passierte, war ein Lehrstück über Exportorientierung in der Kultur- und Kreativwirtschaft: „Unsere deutschen Designer kamen alle zu mir und haben mir Vorwürfe gemacht. Die Holländer dagegen haben sich das eine Dreiviertelstunde lang angeguckt und dann waren sie weg.“ Um ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen: „Sie haben sich Telefonbücher und Personal genommen und haben sich Meetings bei der lokalen Industrie geholt. Und sind mit vollen Auftragsbüchern nach Hause gefahren.“

Es reiche eben nicht, weltweit führend zu sein im Design von Premiumprodukten, sagte Zec auf der Jahreskonferenz Kultur- und Kreativwirtschaft 2016 – man müsse auch bereit sein, Chancen aktiv zu nutzen und Hilfsangebote anzunehmen: „Unsere Außenhandelskammern sind großartig kooperativ. Und ich habe gute Erfahrungen mit deutschen Botschaften gemacht, die können Türen öffnen und einen auf das nötige Niveau heben.“

 

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Wie können Kreative im Ausland erfolgreich sein? Moderatorin Katty Salié im Gespräch mit Peter Zec (Red Dot), Ina Kessler (Initiative Musik), Matthijs Wouter Knol (European Film Market), Andreas Görgen (Auswärtiges Amt) und Christian Tippelt (BAFA)

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Kulturstaatsministerin Monika Grütters erinnert an den immateriellen Wert der Kultur- und Kreativwirtschaft

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Welchen Wert wird die Kultur- und Kreativwirtschaft künftig haben, welche Beiträge kann sie leisten? Katty Salié diskutiert mit Corinna Sy (CUCULA), Reiner Schmidt (Stadt als Campus), Diana Iljine (Internationale Münchner Filmwochen), Christiane Arp (VOGUE, Fashion Council Germany) und Christian Ehler (MdEP)

Auch Christian Tippelt, der im Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) das Auslands-Markterschließungsprogramm leitet, würde sich mehr Anträge aus der Kultur- und Kreativwirtschaft wünschen: „Es ist ganz wichtig, dass Sie Ihre Ideen in das Programm einbringen. Orchestrieren Sie sich!“ Gemeinsame Aktionen wie eine Geschäftsanbahnungsreise der deutschen Games-Branche nach Irland hätten bereits zu sehr guten Ergebnissen geführt.

Sichtbar werden, sich vernetzen, gemeinsame Interessen formulieren, sich einbringen, wenn die Politik Fördermittel verteilt und Rahmenbedingungen setzt – diese Forderung zog sich durch die gesamte Konferenz. „Ich habe die Bitte, dass Sie sich zu Wort melden und auf sich aufmerksam machen“, sagte Brigitte Zypries, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie. In den beiden zuständigen Ministerien sei die Kultur- und Kreativwirtschaft sehr präsent, aber im Parlament und in den Ausschüssen, vor allem dem Haushaltsausschuss „kann das Bewusstsein noch verbessert werden.“ Zum Beispiel dafür, was Kultur- und Kreativwirtschaft eigentlich ist und wie man sie besser in die Innovationsförderung einbringen kann – was ihr Haus gerade mit einer neuen Studie zum Innovationsbegriff fördere.

 

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Ich habe die Bitte, dass Sie sich zu Wort melden und auf sich aufmerksam machen.

Brigitte Zypries, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie

Was Interessenvertretung bewirken kann, zeigt das Beispiel des 2015 gegründeten Fashion Council Germany: „Dass ich hier heute als Frau, die in der Mode tätig ist, auf dem Panel stehen kann, ist ein Erfolg unserer Interessenvertretung“, sagte Vogue-Chefredakteurin und Council-Präsidentin Christiane Arp. „Mode findet in Deutschland einfach nicht statt, sie ist nicht im Bewusstsein.“ Nach dem Vorbild erfolgreicher Vereine wie des British Fashion Councils will sie Unterstützung einwerben. Bei der Politik, aber auch bei der heimischen Wirtschaft, die mehr tun könne, um deutsches Modedesign prominenter sichtbar zu machen. „Wir brauchen aus der deutschen Industrie die großen Budgets“, sagte auch die Modedesignerin Eva Gronbach, die mit Konzernen wie Thalys zusammenarbeitet – anders als viele andere, deren Namen man im Ausland noch nie gehört hat, weil sie ihre Designs nicht in den Einzelhandel bekommen, wie Arp erklärt: „Ohne vollen Auftragsblock bekommen Sie für Kreatives keinen Kredit.“

Auch auf europäischer Ebene laufen Bemühungen, die Kultur- und Kreativwirtschaft fassbarer, sichtbarer zu machen. Der deutsche Europa-Abgeordnete Christian Ehler hat im EU-Parlament die Intergroup „Kreativwirtschaft“ mitgegründet, die sich unter anderem dafür stark macht, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft im Dezember offiziell als Industriesektor anerkannt werden soll. Woraus sich ganz neue Fördermöglichkeiten ergeben würden. „Da sprechen auf einmal Ausschussmitglieder miteinander, die sonst nie miteinander sprechen“, beobachtet Ehler.

Ein Treiber sei das wachsende Bewusstsein für die Folgen der Digitalisierung, die traditionelle Geschäftsmodelle erschüttert und den Wert von Kreativität ganz neu definiert. „Ich glaube, die ganze Diskussion hat dazu geführt, dass wir begriffen haben: Wir können nicht über Plattformen und Copyright reden, wenn wir den Gegenstand, um den es geht, weder definiert noch verstanden haben – noch ihn im richtigen Maße wertschätzen.“

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Wir können nicht über Plattformen und Copyright reden, wenn wir den Gegenstand, um den es geht, weder definiert noch verstanden haben – noch ihn im richtigen Maße wertschätzen.

Christian Ehler, Co-Vorsitzender der Intergroup "Kreativwirtschaft" im EU-Parlament

Wobei sich der Wert von Kreativwirtschaft nicht nur in Kennzahlen beziffern lasse, etwa dem Anteil, den Design am Geschäftsmodell der deutschen Autobauer hat: „Man muss auch mal den Mut haben, nicht alles erfassen zu wollen“, sagt Ehler. „Europa merkt gerade, dass es in sich in Zeiten der Krise nur aus der Verschiedenartigkeit und den Gemeinsamkeiten seiner Kultur erklären kann.“

„Kunst und Kultur sind zentrale Bindeglieder unseres Gemeinwesens,“ sagte auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigte die Konferenz an mehreren Beispielen, etwa der Initiative Stadt als Campus, die mit Kreativtechniken neue Impulse in der Stadtentwicklung setzt, oder dem Berliner Projekt Cucula, das mit Flüchtlingen Designmöbel produziert und verkauft.

Nicht immer alles sofort in Businesspläne gießen müssen, auch mal Freiraum für Kreativität schaffen und sie ihr eigenes Tempo finden lassen. Davon können auch Konzerne profitieren, wie das Designerduo Wimmelforschung am Beispiel von Bosch illustrierte. Für den Autozulieferer entwickelten Maren Geers und Thomas Drescher „Platform 12“, einen Bereich auf dem Firmengelände, der zu einer anderen Art des Denkens anregen soll. Es gehe dabei weniger um einen direkt messbaren Effekt in Form von Patenten oder Innovationen, „sondern um eine andere Haltung gegenüber der Welt, mehr kritische Selbstreflexion“, wie Drescher erklärte. „Es geht auch darum, wie wir Menschlichkeit und Sinnlichkeit in einer hochtechnisierten Welt bewahren – das ist ein großes Thema sowohl in der Wirtschaft als auch in der Wissenschaft.“

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Immer ran an die großen Tiere: Über ihre unkonventionellen Wege zum Konzern-Auftrag berichten Thomas Drescher und Maren Geers (Wimmelforschung), Kristina Wißling (Origami Wißling) und Kristina Wilms (Arya)

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An vier Themeninseln besprachen die Teilnehmer ihre Erfahrungen im Auslandsgeschäft, hier mit Flux.FM-Geschäftsführerin Mona Rübsamen (2.v.r.)

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Welche gesellschaftlichen Impulse können Kreative geben? Die Impulse für diesen Workshop geben Daniel Kerber (morethanshelters), Sebastian Fleiter (The Electric Hotel) und Christian Zöllner (THE CONSTITUTE)

Bosch hat sich auf dieses Experiment eingelassen – nicht immer lassen sich etablierte Player von Ideen aus der Kreativwirtschaft überzeugen. Etwa der Vision einer Digital-Plattform für eine bessere Therapie von Menschen, die an Depressionen leiden. „Es ist sehr schwer, so etwas in der Gesundheitsbranche vor einer Runde von Herren um die 50 zu pitchen. Vor allem, wenn man selber eine Frau unter 30 ist“, berichtete Kristina Wilms, deren Startup Arya digitale Hilfsmittel für die Psychotherapie entwickelt und inzwischen eine sehr aktive Nutzer-Community mit über 30.000 App-Downloads hat.

Ernst genommen werden als Kreative in einem völlig wesensfremden Umfeld – auch Kristina Wißling hat da ihre Erfahrungen gesammelt. Die Designerin entwickelt komplizierte Falttechniken in der Tradition des japanischen Origami. Was inzwischen in verschiedenen Hightech-Bereichen Anwendung findet, zum Beispiel bei der Entwicklung von Solarzellen für Satelliten, die sich erst im Orbit entfalten. „Aber soweit komme ich selten, wenn ich bei einem deutschen Unternehmen anrufe“, sagte Wißling, „da ist bei ‚Frau‘ und ‚macht Origami‘ meistens schon Schluss.“

Weswegen Wißling andere Wege in die Konzerne findet: über öffentlichkeitswirksame Aktionen, die von den Medien aufgegriffen werden. Ihr bisher größter Coup: die Origami-Nachbildung eines Leopard II-Panzers. In Originalgröße. Unterstützt von Soldaten, die ihr bei der wochenlangen Verarbeitung der riesigen Papierbahnen halfen. Auch so kann eine erfolgreiche Entwicklungspartnerschaft aussehen.

Credits

Text: Georg Dahm

Fotos: William Veder

Anstehende Veranstaltungen

  1. Panel „Zukunft Fachkräftesicherung“

    27. November

Credits

Text: Georg Dahm

Fotos: William Veder

Künstliche Intelligenz als Werkzeug von Kreativen

Die fortschreitende Digitalisierung verändert tiefgreifend, wie wir leben, arbeiten und auch politisch partizipieren. Eine der großen Herausforderungen unserer Zeit ist, sowohl die politische Teilhabe zu stärken als auch die Demokratie vor digitalen Bedrohungen zu schützen.

Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz wird beispielsweise kreative Teilhabe für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich, indem komplexe Werkzeuge und Techniken auch ohne tiefe Fachkenntnisse genutzt werden können. KI ermöglicht es Menschen aus verschiedenen Hintergründen, ihre kreativen Ideen zu verwirklichen und neue Formen der künstlerischen Zusammenarbeit zu erkunden. Das fördert die Vielfalt und Innovation in der kreativen Landschaft. Gleichzeitig stellt diese Entwicklung die traditionellen Vorstellungen von Urheberschaft und Originalität infrage, da KI-gestützte Kreativität zunehmend die Grenze zwischen menschlicher und maschineller Schöpfung verwischt.

Auch die Fragen, was Kreativität bedeutet und wo die Kernkompetenzen der Kreativschaffenden liegen, werden an Wichtigkeit gewinnen und ihre Antworten sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich bringen. KI ist auf dem heutigen Stand eher nicht „kreativ“ – aber sie verändert kreative Prozesse. Sie kann Kreativschaffende in ihrer Kreativleistung unterstützen, sie erweitern und als Inspirationsquelle dienen.

In unserer Kurzreportage sprechen wir mit den Künstlern Julian van Dieken und Roman Lipski über das Potenzial von KI als künstlerische Muse und Werkzeug, das neue Zugänge und Innovationsprozesse ermöglicht.