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„Wenn es um KI geht, kann Deutschland wirklich gut mithalten!“

Wenn wir Künstliche Intelligenz hören, denken viele sofort an China oder die USA. Dabei stammen einige bedeutende Entwicklungen aus deutscher Feder. Warum wir in Deutschland in Sachen KI gut aufgestellt sind und welche Beispiele hierzulande beeindrucken, nennt uns Reinhard Karger – Unternehmenssprecher des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI). Das Interview führte Journalistin und Zukunftsforscherin Deana Mrkaja.

Roboter, die in der Pflege helfen, selbstfahrende Autos oder Sprachassistent*innen, die uns das Leben erleichtern: Künstliche Intelligenz (KI) ist omnipräsent. Fallen Ihnen Beispiele ein, die die Kultur- und Kreativbranche betreffen?

Reinhard Karger: KI produziert selbst Texte, Grafiken oder Fotos, erzeugt Designvarianten oder musikähnliche Klangwelten. Je mehr „ambient“ die Musik sein soll, desto besser funktioniert das auch und desto weniger kann man als Hörende*r unterscheiden, ob es ein Mensch oder eine Maschine produziert hat. Das kann den Musiker*innen durchaus helfen, neue Songideen zu bekommen, kann aber natürlich auch dazu führen, dass man lizenzfreie Klangteppiche live erzeugt, die zum aktuellen lokalen Wetter oder zur Nachrichtenlage passen.

Welche aktuellen Anwendungen von KI haben Sie in der letzten Zeit beeindruckt?

RK: Für den Moment und nur so als Beispiel: das, was man OCR (Optical Character Recognition) nennt und ursprünglich für die Digitalisierung von Handschrift entwickelt hat. Doch das, was jetzt kommt, ist deutlich besser: Scribble- und Skizzenerkennung und eben nicht nur für Schreibschrift oder Druckbuchstaben, sondern auch analytisch gezeichnete Formen. Eigentlich möchte man doch ein Haus, eine Maschine, eine Anlage, ein User Interface handschriftlich skizzieren und das System macht die digitale Umsetzung. Beispielsweise muss es verstehen, dass ein Pfeil nicht nur eine Spitze hat, sondern auch auf etwas deutet, dass eine Funktion gemeint ist, die mit einer anderen Form zusammen etwas bewirken soll. Dass man Dinge auf diese Weise entwerfen kann ist ein weiterer Meilenstein, nicht nur den Medienbruch, sondern eben auch bei kreativen Prozessen. Man ist dann weniger durch die Handhabung abgelenkt und kann sich besser auf die eigentliche Kreation konzentrieren.

Es scheint, als ließe sich das Thema KI derzeit sehr gut verkaufen. Doch was genau meinen wir, wenn wir von KI reden?

RK: KI ist die Digitalisierung menschlicher Wissensfähigkeiten. Das heißt, KI kann Leistungen erbringen, für die man traditionell menschliche Intelligenz vorausgesetzt hat. Aber mit welchem Geist und in welche Richtung, soll diese Entwicklung forciert werden? Wir vom DFKI sagen: Künstliche Intelligenz für den Menschen. Und was ist für Menschen hilfreich? Werkzeuge! Und darum geht es: KI ermöglicht extrem leistungsfähige Werkzeuge, die Menschen dabei unterstützen, ihre Ziele effizienter oder besser zu erreichen.

Reinhard-Karger Credits Christian Krinninger

KI ist die Digitalisierung menschlicher Wissensfähigkeit. KI kann Leistungen erbringen, für die man traditionell menschliche Intelligenz vorausgesetzt hat.

Reinhard Karger

Deutschland und KI: Wie sind wir aufgestellt?

RK: Nur drei Beispiele: Franz Josef Och hat in den 90igern bei Prof. Günther Görz in Erlangen studiert und ist nach seiner Promotion in Aachen ins Silicon Valley in die USA gegangen. Später hat Franz Josef Och Google Translate aufgebaut.

2005 gab es die Grand Challenge. Dabei ging es um ein Wettrennen selbstfahrender, unbemannter Autos. 210 Kilometer durch die Mojave-Wüste. Gewonnen hat „Stanley“. Stanley war ein VW Touareg. Das System wurde implementiert von Sebastian Thrun, einem deutschen Informatiker, der in Hildesheim und Bonn studiert hat. Sebastian Thrun hat das Standford AI-Lab (SAIL) geleitet, später Google X aufgebaut und 2011 die Online-Lernplattform Udacity ins Leben gerufen. Oder 2017: DeepL, ein Online-Tool zur maschinellen Echtzeit-Übersetzung von Texten, das aktuell die nuanciertesten Ergebnisse liefert. Das ist KI aus Köln. Ich sag mal so, wenn es um KI-Exzellenz geht, kann Deutschland wirklich gut mithalten.

Warum haben wir dann so ein negatives Gefühl, wenn es um KI hierzulande geht?

RK: Es stimmt, dass man den Eindruck haben könnte, dass der öffentliche Diskurs in Deutschland mehr die fiktionalen Risiken und weniger die konkreten Chancen von KI in den Vordergrund stellt. Das ist dann nicht notwendigerweise problematisch, wenn man Risiken konstruktiv als Ansporn für deren Überwindung versteht. Es ist nun mal so, dass Mustererkennung aktuell sehr leistungsfähige Anwendungen liefert, aber wer visuelle Muster identifiziert oder Objekte benennen kann – und das ist viel wert – hat noch lange keine Pläne, Ziele, Wünsche oder Hoffnungen erkannt.

Worin liegt der Unterschied zwischen dem, was die Amerikaner*innen und Chines*innen machen und dem, was wir können?

RK: Es gibt subsymbolische Systeme, da geht es um die erwähnte Mustererkennung und es gibt symbolische Systeme, da geht es um das Verstehen, um Gründe und um den regelhaften Zusammenhang. Symbolische Systeme ermöglichen nachvollziehbare und verständliche Entscheidungsunterstützung. Für viele Anwendungen der Zukunft braucht man nicht nur Klassifikation, sondern situatives Verständnis im Kontext. Wir arbeiten an hybriden Systemen, die die Vorteile beider Pole zusammenbringen. Und hier erwarte ich persönlich viel von Deutschland.

Wir haben die Ernsthaftigkeit, wir haben die philosophische Grundbildung und sowohl das Ingenieurs-Gen wie auch zahlreiche Kreative im Land.  Und genau hier sehe ich große Chancen. Anders als in China und Amerika liegt der Fokus nicht nur auf technischer Innovation. In Deutschland gibt es die Köpfe und Ressourcen interdisziplinär an neuen Produkten und Anwendungen für künstliche Intelligenz zu arbeiten.

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Was kann die Kultur- und Kreativwirtschaft leisten, um KI-Anwendungen aus Deutschland voranzutreiben?

RK: KI und Kultur- und Kreativwirtschaft passen super zusammen – nur weiß die Kultur- und Kreativwirtschaft das nicht so richtig. Nehmen wir beispielsweise Journalist*innen: Die profitieren an allen Ecken und Kanten von Data-Science, von Spracherkennung oder Sprachsynthese. Oder im Designprozess: Wenn ich mit 3D-Modellierung arbeite und neue Designs von einer Maschine über Nacht generieren lassen kann, dann ist das doch super.

Ist die Angst berechtigt, dass die eigene Arbeit von solchen Systemen übernommen wird?

RK: Nein. Alles das, was man maschinell machen kann, ist doch das, was man sowieso selber nicht machen wollte – z. B. monotone Massentextproduktion. Ja, da gibt es das Stichwort Roboterjournalismus und natürlich auch vollmundige Versprechungen. Aber in der konkreten Wirklichkeit eignen sich diese „Schreibprogramme“ für Fließband-Journalismus und Content-Automatisierung von echtzeitaktuellen Meldungen zu Börse, Wetter, Sport und für die Erzeugung von Texten aus strukurierten Daten oder Tabellen. Das ist wegen der Aktualität relevant für Lesende, aber doch kein interessanter Arbeitsinhalt von Journalist*innen.

Wie können Kultur- und Kreativwirtschaft und KI noch stärker zusammengebracht werden?

RK: Es gibt zu wenig Wechselwirkung und zu viele Berührungsängste – nicht nur auf der Seite der Kultur- und Kreativwirtschaft. Was man in der KI bräuchte, sind mehr Kreative, die KI als Werkzeug nutzen und weiterentwickeln wollen. Da müssten auch Geisteswissenschaftler*innen, Philolog*innen, Rhetoriker*innen und Künstler*innen mitmachen. Sehen Sie, ein Koch muss keinen Herd bauen können. Wenn man jetzt ein Spiegel-Ei machen möchte, könnte man das Ei nehmen und es auf den heißen Herd klatschen. Das kann man machen, aber praktisch ist es nicht. Also nimmt man einen Herd und eine Pfanne – auch die Pfanne muss der Koch nicht selber herstellen. Alles Werkzeuge. Und wo ist die Kreativität? Natürlich beim Kochen! Und so ist das auch in unserem Beispiel. Wenn die Theater-Leute, die Dialog-Leute, die Journalist*innen, die Therapeut*innen und Psycholog*innen mehr mitmachen würden, hätten alle sehr viel davon. Eingeladen sind sie!

Reinhard-Karger Credits Christian Krinninger

Ich finde, die Werkzeuge, die es hier gibt, sollte die Kultur- und Kreativwirtschaft deutlich intensiver benutzen. Die Kreativen müssen da mutiger sein in Bezug auf KI und ihren Vorteil sehen. Die Kreativbranche könnte deutlich mehr von diesen Dingen profitieren.

Reinhard Karger

Müssen wir also generell mutiger sein, wenn es um KI geht?

RK: Ich nehme wahr, dass sich eine eher innovationsaverse Stimmung ausbreitet. Wenn es beispielsweise um das selbstfahrende Auto geht, höre ich immer als erste Reaktion: „Nö, ich will selber fahren.“ Das ist auch in Ordnung, aber warum dieser Reflex? Der wünschenswerte Reflex wäre: „Zeig mal, ob das geht! Wie weit seid ihr da? Und wird das überhaupt funktionieren? Und wenn es funktionert, wie verändert das die Mobilität?“

Wollen wir es wagen, uns das Jahr 2035 vorzustellen?

RK: Ok. Ich hoffe – die Betonung liegt auf hoffen –, dass wir 2035 z.B. selbstfahrende Autos als autonome Mobilitätskabinen haben werden. Natürlich brennstoffzellen-elektrisch und angetrieben von nachhaltig und CO2-neutral erzeugtem Wasserstoff. Autonom in dem Sinne, dass es keine Fahrer*innen mehr gibt, sondern nur noch Passagier*innen. Das unterstützt nicht nur die Logistik, sondern ermöglicht allen Generationen eine sichere Mobilität. Zudem hoffe ich, dass wir 2035 hybride Teams aus Pflegenden und Robotern haben werden, die eine neue und bezahlbare Qualität für die häusliche Pflege ermöglichen.

Wie können wir genau diese Welt erschaffen, in der es hybride Teams gibt, eine Welt, die wir definieren?

RK: Deutschland macht viel. Und das mit dem richtigen Geist! Die staatlich zur Verfügung gestellten Mittel für die Jahre bis 2025 hat man um 66 Prozent aufgestockt – von drei auf insgesamt fünf Milliarden. Das ist eine deutliche und eine sinnvolle Investition. Und was noch großartiger wäre: Wenn wir eine positive und innovationsaffine öffentliche Atmosphäre hätten, weniger Maschinenphobie, mehr Philanthropie, mehr Offenheit und das, weil die Leute mitmachen wollen. Neugier sollte wieder Gier und Bedürfnis sein. Lasst uns schauen, was wir hier wirklich gut können, das ist viel, und die Kreativen im Land stärker einbinden. Das wäre gut!

 

Sie möchten mehr über das Thema künstliche Intelligenz in Deutschland erfahren? Die Langversion des Interviews steht HIER für sie zum Download bereit. 

Anstehende Veranstaltungen

Es gibt derzeit keine bevorstehenden Veranstaltungen.

Credits

Text: Deana Mrkaja

Fotos:

Wie trägt Kultur- und Kreativwirtschaft zu mehr Kreislaufwirtschaft bei?

Prinzipien aus der Natur abzuschauen hat schon viele Erfindungen hervorgebracht. Insbesondere Kreislaufsysteme der Natur sind Vorbilder für ein nachhaltigeres Leben. Die Umgestaltung unserer Wirtschaft zu einem kreislaufwirtschaftlichen System stellt jedoch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar, die nur branchenübergreifend und ganzheitlich gelöst werden kann. Im Unterschied zum deutschen Begriff „Kreislaufwirtschaft“, der sich auf den Umgang mit Abfall fokussiert, ist der englische Begriff „Circular Economy“ (also „zirkuläres Wirtschaften“) bereits viel weiter gefasst und betrachtet das gesamte Produktsystem. Hier geht es um durchdachte Kreisläufe von Anfang an, die bereits beim Design von Produkten beginnt.

Innovative Ideen und praktische Ansätze für zirkuläres Wirtschaften finden sich schon seit Jahren in der Kultur- und Kreativwirtschaft, zum Beispiel in der Architektur, im Produkt- und Materialdesign, der Film- und Veranstaltungsindustrie sowie dem Modemarkt. Viele Beispiele werden Sie in diesem Magazinschwerpunkt kennenlernen können

In unserer Kurzreportage zur Kreislaufwirtschaft haben wir diesmal mit Architekt*innen Sandra Düsterhus (Point.Architektur) und Martin Haas (haascookzemmrich) über die Ansätze bei ihren Projekten in der Außen- und Innenarchitektur gesprochen und was der Fokus auf Kreislaufwirtschaft auch für die Gestaltung bedeutet.