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How-To-Future: Mit der Szenariotechnik Zukünfte entwerfen

Digitalisierung, Klimawandel oder Virus-Pandemie – weltweit steht der Markt und die Gesellschaft vor ungewissen Transformationsprozessen. Anstatt diese auf uns zukommen zu lassen, können wir sie aktiv mitgestalten. Die Szenario-Methode zeigt, wie es geht.

Seit jeher ist die Zukunft eine Projektionsfläche für die Hoffnungen, Ängste und Pläne der Menschheit. Ob mit Astrologie, dem Entwerfen von politischen Utopien oder auch mit dem Orakel von Delphi – schon seit Jahrhunderten versuchen wir, Zukunftsbilder zu formen. Dabei spielt das Zukunftsdenken auch im wirtschaftlichen Kontext eine große Rolle: Wir beobachten Trends und investieren, wir treffen Prognosen und arbeiten an Innovationen. Doch bevor Szenarien für die Zukunft von Unternehmen, Institutionen oder ganzer Länder entworfen werden können, müssen wir verstehen, dass es nicht die eine Zukunft gibt.

Stattdessen gibt es eine Vielzahl an möglichen, wünschenswerten oder auch wahrscheinlichen Zukünften. All diese sind durch uns gestaltbar: Nicht die Zukunft kommt auf uns zu, sondern wir gehen aktiv auf die Zukünfte zu. Zwar lässt sich die Zukunft nicht vorhersehen, jedoch lassen sich aus der Gegenwart heraus Entwicklungsstrukturen erkennen, die auf mögliche Zukunftsszenarien hinweisen. Damit diese Erkenntnisse in der Praxis Anwendung finden können, müssen sie diejenigen erreichen, die an Lösungen und Prototypen für zukünftige Herausforderungen arbeiten. Deshalb entwickelt die Zukunftsforschung Handlungswissen, um klare Entscheidungs- und Handlungsoptionen aufzuweisen (Vgl. Popp 2016). Das wichtigste Verfahren für multiple Prognosen ist dabei die Szenariotechnik – eine Methode, die von der Kultur- und Kreativwirtschaft schon seit Jahren eingesetzt wird. Dabei arbeitet die Branche mit vielseitigen Anwendungsverfahren: darunter auch mit Science-Fiction bei der Unternehmensentwicklung.

 

Szenarien triggern vorhandenes Wissen über zukünftige Entscheidungsmöglichkeiten

Es mag zu Beginn – gerade für Unternehmen – eine neue Erfahrung sein, in Rollen zu schlüpfen, Geschichten zu erfinden oder der Fantasie einfach freien Lauf zu lassen. Jedoch ist eine ungewohnte Denkweise, dieser offene Brainstorming-Prozess, der Schlüssel zur Entwicklung von Zukunftsszenarien. Die Methode ermöglicht, denkbare Entwicklungen der Zukunft zu analysieren und zusammenhängend darzustellen. Dabei wird der Denkprozess neu angeregt, das Einlassen auf mögliche Szenarien antizipiert und Kreativität gefördert. Szenarien können eine Grundlage dafür sein, zu beurteilen, was plausible Auswirkungen gegenwärtiger Entwicklungen sind und wie man mit diesen Auswirkungen umgehen könnte. Die Szenariotechnik dient weniger der Generierung von neuem Wissen, sondern der übersichtlichen Strukturierung und Darstellung von vorhandenem Wissen über zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten (Vgl. Mietzner 2009; Steinmüller 2012; Wilms 2006).

Szenariotechniken werden auch immer häufiger für wirtschaftliche Prozesse genutzt. Gerade in einer Zeit wie der aktuellen, bietet die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Zukünften viele Chancen. Denn sie dient als ideale Grundlage, um Ideen oder Unterstützungsmaßnahmen zu entwickeln und mögliche Entwicklungsoptionen für die strategische Planung im Hier und Jetzt aufzuzeigen. Anders als Prognosen, die sich lediglich auf messbare Strömungsverläufe und Tendenzen stützen und derzeit durch ihre Unzuverlässlichkeit vermehrt auf Kritik stoßen, bieten Szenarien einen offenen Denkprozess, der neue Zukunftsbilder kreiert.

 

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In acht Schritten zu Zukunftsszenarien

 

1. Analysephase:

Die Frage danach, was genau betrachtet wird, muss zunächst beantwortet werden. Dabei kann es sich um eine Gesellschaft, ein Unternehmen, eine staatliche Einrichtung oder auch um ein einzelnes Produkt handeln.

Fallbeispiel: Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der öffentlichen Verwaltung in Deutschland bis 2030.

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2. Einflussanalyse

In dieser Phase werden alle exogenen Einflussfaktoren gesammelt. Was beeinflusst die Entwicklung? Die Politik, die Umwelt oder auch die Wirtschaft? Diese Faktoren werden als Einflussfaktoren bezeichnet. Als nächstes müssen von allen Faktoren die wichtigsten bestimmt und eine Auswahl getroffen werden. Diese werden fortan als Schlüsselfaktoren bezeichnet und bilden den Kern der Szenario-Analyse.

Mögliche Schlüsselfaktoren des Fallbeispiels: Datenverfügbarkeit, KI-Fachkräfte, Zulassung von KI, Sicherheit von KI-Systemen, Haftungsfragen bei KI-Entscheidungen, Datenschutz, gesellschaftliche Akzeptanz von KI etc.

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3. Formulierung von Deskriptoren

In diesem Schritt werden die Schlüsselfaktoren hinsichtlich ihrer quantitativen und qualitativen Inhalte analysiert, wobei die einzelnen Einflüsse als Deskriptoren beschrieben werden. Die Deskriptoren werden in ihrem zukünftigen Entwicklungsverlauf bewertet. Deskriptoren sind demnach Kenngrößen, die den heutigen Zustand sowie die jeweiligen Entwicklungen benennen.

Deskriptoren des Fallbeispiels:

Datenschutz Ausprägung A: keine Datenschutzrechte gegenüber dem Staat
Datenschutz Ausprägung B: paternalistischer Datenschutz

Gesellschaftliche Akzeptanz von KI Ausprägung A: KI-Euphorie
Gesellschaftliche Akzeptanz von KI Ausprägung B: Stimmungswende gegen KI

Haftungsfragen bei KI-Entscheidungen Ausprägung A: Haftung des Herstellers
Haftungsfragen bei KI-Entscheidungen Ausprägung B: Bundesregierung haftet

(Es können auch mehr Ausprägungsformen/Deskriptoren als zwei zu jedem Schlüsselfaktor formuliert werden)

 

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4. Wechselwirkungsanalyse

In einer Matrix werden die Ausprägungen aller Deskriptoren einander gegenübergestellt. Es wird abgeschätzt, welche Ausprägungen sich gegenseitig verstärken, welche neutral und welche widersprüchlich zueinander sind – das Ganze nennt sich Wechselwirkungsanalyse. Entscheidend für die Glaubwürdigkeit von Szenarien ist die Konsistenz, das bedeutet die Widerspruchsfreiheit der einzelnen Projektionen zueinander. Bei der anschließenden Konsistenzanalyse werden aus der großen Anzahl von Möglichkeiten, die widerspruchsfreien Kombinationen ausgewertet.

Fallbeispiel: In der einfachsten Form der Matrix können bspw. Werte von 1 bis 3 vergeben werden, wobei 1 kein Einfluss aufeinander bedeutet (neutral), 2 sich darauf bezieht, dass die beiden Faktoren sich gegenseitig verstärken und 3 die Widersprüchlichkeit darstellt. Wie verhalten sich Datenschutz und Akzeptanz von KI in der Gesellschaft zueinander? Hier müsste eine 2 vergeben werden, da sich diese beiden Faktoren gegenseitig beeinflussen/voneinander abhängig sind. Die jeweiligen Faktoren werden für die Wechselwirkungsanalyse folgendermaßen angeordnet: 

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Bei dieser Variante wurde von der ersten Spalte ausgehend gefragt: Welchen Einfluss hat der Datenschutz auf die gesellschaftliche Akzeptanz und welchen Einfluss auf Haftungsfragen? Das bedeutet, dass es um den Einfluss der linken Spalte auf die folgenden geht. In einer zweiten Matrix geht man den genau umgekehrten Weg und vergibt erneut die Wertung: Welchen Einfluss hat die gesellschaftliche Akzeptanz auf den Datenschutz? Je nachdem, welcher Faktor Einfluss nehmender ist, kann sich das Verhältnis zueinander verändern. In der Konsistenzanalyse werden anschließend alle Ausprägungen, die sich nicht widersprechen, in einem Szenario zusammengefasst. Für diesen vierten Schritt der Szenarioentwicklung kann auch eine Software wie bspw. ScenarioWizard eingesetzt.

 

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5. Szenario-Interpretation

Schritt fünf befasst sich mit der Ausgestaltung der Szenarien. Um den Verlauf von der Gegenwart bis in die Szenario-Endsituation aufzuzeigen, werden Zwischenszenarien von wenigen Jahren aufgestellt. So entsteht ein vernetzter Entwicklungsablauf, der sich von der Gegenwart bis zum Szenario-Zieljahr erstreckt. Die Szenarien werden durch illustrierte Thesen beschrieben oder als ausformulierter Text ausgearbeitet. Es sollte jeweils eine anschauliche Geschichte entstehen, die durch verschiedene Darstellungen verdeutlicht wird – dafür können auch Webseiten, Comics oder Ähnliches gewählt werden.

Fallbeispiel: Ein mögliches Szenario könnte der umfassende Einsatz von KI sein. Dieser genießt nicht nur große Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft, sondern hat zu enormen Effizienz- und Effektivitätssteigerungen der öffentlichen Verwaltung geführt. Darüber erzählt man in der Ausgestaltung eine Geschichte. Die Länge ist dabei vollkommen variabel und liegt in der eigenen Entscheidungsfreiheit.

 

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6. Störfallanalyse

Ein Störereignis tritt plötzlich ein – es ist vorher als Trend nicht erkennbar. Solche Ereignisse lenken Entwicklungsverläufe in eine andere Richtung. Bei den betrachteten Ereignissen kann es sich z.B. um politische Entscheidungen oder technologische Durchbrüche handeln. Die Antizipation möglichst vieler Störereignisse ist wichtig, um zu bewerten, ob und wie die weitere Entwicklung bereits entwickelter Szenarien beeinflusst werden könnte.

Fallbeispiel: Hackerangriff, der die gesamte öffentliche Verwaltung lahmlegt.

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7. Auswirkungsanalyse

Hierbei sollen nun die Erkenntnisse aus der Betrachtung der Szenarien auf das Untersuchungsfeld angewendet werden. Dabei werden Lösungsansätze für Problemfelder der Szenarien erarbeitet und Vorschläge für Maßnahmen abgeleitet.

Fallbeispiel: In Bezug auf den Datenschutz könnten Regelungen geschaffen werden, die eine Zusammenführung oder Weiterverarbeitung von Daten in der Praxis ausschließen und somit verhindern, dass die KI zentrale Verknüpfungen von Daten vornehmen kann.

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8. Maßnahmen

Dieser Schritt gehört nicht mehr zur Szenariotechnik. Es hat sich jedoch bewährt, die Umsetzung im gleichen Team, das die Szenarien erarbeitet hat, anzudenken. Zunächst werden Konsequenzen abgeleitet und daraus dann strategische Leitlinien und konkrete Maßnahmen entwickelt.

Fallbeispiel: Es muss mehr Geld in die Entwicklung guter KI-Systeme seitens des Staates investiert werden.

 

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Nutzen von Szenarien

Die wachsende Komplexität und Ungewissheit von Markt- und Branchenentwicklungen stellt die strategische Planung vor neue Herausforderungen. Ein wesentlicher Nutzen von Szenarien liegt in der Entscheidungsunterstützung im Rahmen der Strategieentwicklung, des Change Management oder des Innovationsmanagements. Durch die systematische Beschäftigung mit Zukunftsfragen sind Unternehmen oder auch die Politik in der Lage, zukunftsorientiertere Strategien zu entwerfen und damit bessere Entscheidungen zu treffen. Methoden aus der Kultur- und Kreativbranche wie das Science Fiction Prototyping oder auch die Szenariotechnik helfen insbesondere Unternehmen dabei, neue mögliche Geschäftsfelder zu erkennen, sich Veränderungen auf dem Markt schnell anzupassen oder gar innovative Trends zu setzen.

Szenario-Entwicklung im Creative Lab COVID-19 des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes: https://kreativ-bund.de/category/schwerpunkt-corona-pandemie

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Infobox

Bei der Arbeit mit Szenarien können unterschiedliche Werkzeuge verwendet werden. Dabei redet man von drei idealtypischen Szenariotechniken: Trendextrapolationen, systemisch-formalisierte Techniken oder auch kreativ-narrative Methoden. Die hier beschriebene Wechselwirkungsanalyse (auch Cross Impact Analyse genannt) ist eine der gängigsten Formen der Szenarioentwicklung und im Bereich der systemisch-formalisierten Methoden angesiedelt. Bei den kreativen Techniken finden sich Methoden wie das Future Wheels, klassisches Mindmapping, Science Fiction Prototyping oder andere Werkzeuge, die aus dem Design Thinking stammen. Ausgangspunkt von Trendextrapolationen ist eine Trendbeobachtung mit Hilfe der Sammlung möglicher langfristiger Informationen und Daten, die statistisch in die Zukunft projiziert werden (Vgl: Koscow & Gaßner 2008).

 

Literatur

Koscow, Hannah, Gaßner, Robert (2008): Methoden der Zukunfts- und Szenarioanalyse. Überblick, Bewertung und Auswahlkriterien. Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung. Berlin.

Mietzner, Dana (2009): Strategische Vorausschau und Szenarioanalysen. Methodenevaluation und neue Ansätze. Wiesbaden.

Popp, Reinhold (2016): Zukunftswissenschaft und Zukunftsforschung. Grundlagen und Grundfragen. Eine Skizze. Wien.

Steinmüller, Karlheinz (2012): Szenarien – Ein Methodenkomplex zwischen wissenschaftlichem Anspruch und zeitgeistiger Bricolage. In: Popp, Reinhold (Hrsg.) Zukunft und Wissenschaft. Wege und Irrwege der Zukunftsforschung. Heidelberg, 101 – 137.

Wilms, Falko E. P. (Hrsg.) (2006): Szenariotechnik. Vom Umgang mit der Zukunft. Bern, Stuttgart, Wien.

Credits

Text: Deana Mrkaja

Fotos: Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Anstehende Veranstaltungen

  1. Dossier Live: Internationalisierung in der Kultur- und Kreativwirtschaft

    10. Oktober, 13:00 - 14:00
  2. Unboxing KI

    17. Oktober, 17:30 - 20:00
  3. Innovation Camp 2024 Creative Care

    24. Oktober - 26. Oktober
  4. 2. Fachkräftekongress der Kultur- und Kreativwirtschaft

    27. November

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Text: Deana Mrkaja

Fotos: Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Künstliche Intelligenz als Werkzeug von Kreativen

Die fortschreitende Digitalisierung verändert tiefgreifend, wie wir leben, arbeiten und auch politisch partizipieren. Eine der großen Herausforderungen unserer Zeit ist, sowohl die politische Teilhabe zu stärken als auch die Demokratie vor digitalen Bedrohungen zu schützen.

Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz wird beispielsweise kreative Teilhabe für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich, indem komplexe Werkzeuge und Techniken auch ohne tiefe Fachkenntnisse genutzt werden können. KI ermöglicht es Menschen aus verschiedenen Hintergründen, ihre kreativen Ideen zu verwirklichen und neue Formen der künstlerischen Zusammenarbeit zu erkunden. Das fördert die Vielfalt und Innovation in der kreativen Landschaft. Gleichzeitig stellt diese Entwicklung die traditionellen Vorstellungen von Urheberschaft und Originalität infrage, da KI-gestützte Kreativität zunehmend die Grenze zwischen menschlicher und maschineller Schöpfung verwischt.

Auch die Fragen, was Kreativität bedeutet und wo die Kernkompetenzen der Kreativschaffenden liegen, werden an Wichtigkeit gewinnen und ihre Antworten sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich bringen. KI ist auf dem heutigen Stand eher nicht „kreativ“ – aber sie verändert kreative Prozesse. Sie kann Kreativschaffende in ihrer Kreativleistung unterstützen, sie erweitern und als Inspirationsquelle dienen.

In unserer Kurzreportage sprechen wir mit den Künstlern Julian van Dieken und Roman Lipski über das Potenzial von KI als künstlerische Muse und Werkzeug, das neue Zugänge und Innovationsprozesse ermöglicht.