Fellowsforum 2018 | Akademie Schmöckwitz, Berlin – 12.04.2018

Auge um Auge, Hash um Hash – Wie Kreative sich verbinden

Fact or Fiction? Fragen wir uns bei Prototypen, Produkten und Innovationen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft häufig. Um dann immer wieder verdutzt festzustellen: Die Zukunft, sie ist längst in der Gegenwart angekommen. So unwahrscheinlich es scheint, es gibt diese Projekte tatsächlich schon.

In unregelmäßigen Abständen möchten wir an dieser Stelle Errungenschaften, Projekte und in der Kultur- und Kreativwirtschaft vorherrschende Denkansätze vorstellen, die so visionär sind, dass sie fast fiktional wirken.

Es ist eine Entwicklung, die in Co-Working- und Makerspaces bundesweit zu beobachten ist: Die Ideen sind zahlreich, der Selbstverwirklichungstrieb groß und die Rechner beständig am Rauchen. Während sich die Techies und Kreativen ohnehin als Teile eines intersektionalen, globalen Wirtschaftsnetzwerkes verstehen, verbindet sie neben diesem Mindset auch die disruptivste, technologische Innovation der Stunde – die vermeintlich allmächtige Blockchain.

Blockchain-Technologie erweitert nicht nur das Repertoire im Firmen-Portfolio, sie hinterfragt auf geradezu philosophische Weise, wie Kommunikation, Datenverkehr und Sicherheit zukünftig definiert werden. Das klingt nicht nur gut, sondern fördert aktiv neue Betrachtungsweisen, mit denen die Welt und ihre Funktionssysteme in den unterschiedlichsten Branchen verstanden werden. Welche Entwicklungsmöglichkeiten die Blockchain für die Kultur- und Kreativwirtschaft bietet und ob sie wirklich das Zeug zur Weltherrschaft hat, wie vielerorts behauptet wird, werden wir an dieser Stelle nachgehen.

Wie funktioniert Blockchain eigentlich?

Ähnlich wie das Internet verbindet das Blockchain-Netzwerk Rechner, Menschen und Organisationen miteinander. Gleichzeitig unterscheidet es sich grundlegend vom World Wide Web: Anders als das Internet ist die Blockchain dezentral organisiert, funktioniert basisdemokratisch und ist dazu angeblich unhackbar, also geschützt vor Angriffen durch Hacker. Mit dem sogenannten Web2, das Social Media und die Sharing Economy ermöglichte, sind wir alle bestens vertraut. Hier werden Informationen über die Server von großen, global agierenden Wirtschaftsunternehmen, wie beispielsweise Facebook, durch das Internet gesendet.

Anders als das Internet ist die Blockchain dezentral organisiert, funktioniert basisdemokratisch und ist dazu angeblich unhackbar, also geschützt vor Angriffen durch Hacker.

Blockchain funktioniert anders und bildet den Anfang des Web3, eines riesigen Peer-to-Peer-Netzwerks: Statt über Server von Organisationen und Unternehmen, die eine Mittlerfunktion einnehmen, können Personen bzw. Rechner direkt miteinander Kontakt aufnehmen. Sämtliche Kommunikation und Speicherung von Daten wird im Blockchain-Netzwerk auf Rechner überall auf der Welt aufgeteilt, weshalb die Blockchain als dezentral gilt. Im herkömmlichen Internet hingegen passiert diese Speicherung auf dem eigenen Computer, einem Server oder der Cloud.

Außerdem kann die Blockchain Transaktionen, wie z.B. Überweisungen, Chats oder auch Mietverträge über ihr Netzwerk abwickeln und speichern. Um diese Prozesse zu ermöglichen, werden Rechner ausgewählt, die eine entsprechende Kapazität zur Verfügung stellen und dafür entlohnt werden. Dieses sogenannte „Schürfen“ stellt einerseits das Fundament des Netzwerkes dar und erzeugt gleichzeitig Wertschöpfung, die durch die bekannten Kryptowährungen wie z.B. Bitcoins oder CryptoKitties ausgegeben wird.

Das sog. „Schürfen“ stellt einerseits das Fundament des Netzwerkes dar und erzeugt gleichzeitig Wertschöpfung, die durch die bekannten Kryptowährungen wie z.B. Bitcoins oder CryptoKitties ausgegeben wird.

Die Blockchain ist also Plattform und Infrastruktur zugleich. All ihre Transaktionen werden verschlüsselt und mit anderen Transaktionen verknüpft, indem ein gemeinsamer Misch-Code, der Hash, als Verbindungsglied erstellt wird. Auf diese Weise entsteht die Kettenstruktur der Blockchain. Eingetragene Informationen können nicht mehr geändert werden, was das Netzwerk besonders sicher und nahezu unhackbar macht. Denn, das ist der Clou, um die Blockchain zu hacken, müsste eine Mehrheit aller teilnehmenden Rechner beeinflusst werden. Daher wird die Blockchain auch als basisdemokratisch bezeichnet. Technisch gesehen ist ein Hacking der Blockchain zwar nicht unmöglich, praktisch aber kaum umzusetzen.

Blockchain – Eine Innovation für die Kultur- und Kreativwirtschaft?

Die großen Vorteile der Blockchain – ihre Dezentralität, Sicherheit und Unabhängigkeit – eröffnen unzählige Anwendungsszenarien für die Gegenwart und Zukunft. Sie hat das Potenzial, Mittler*innen wie Banken, Agenturen oder Versicherungen in ein vertrauenswürdiges Netzwerk zu übersetzen, das die Interaktionen zwischen Akteur*innen abkürzt, abwickelt und speichert. So könnten Konten, Sparbücher und Fonds dank Blockchain-Technologie sicher verwaltet werden, ohne dass Banken dafür überhaupt noch notwendig wären.

Die großen Vorteile der Blockchain – ihre Dezentralität, Sicherheit und Unabhängigkeit – eröffnen unzählige Anwendungsszenarien für die Gegenwart und Zukunft.

Die Wirkkraft der Blockchain-Technologie bleibt aber nicht auf die Sphären der Finanzbranche, IT-Nerds oder Katzenwährungen beschränkt. Besonders die Kultur- und Kreativwirtschaft, eine Branche mit großem Innovationspotential, bietet diverse Möglichkeiten, wie Blockchain in bestehende Geschäftsmodelle integriert oder zur Gründung neuer ketten-basierten Unternehmen genutzt werden kann. Der erstarkende Wunsch vieler Konsument*innen nach mehr Transparenz, Kontrolle, und Sicherheit beim Kauf ihrer Artikel sowie die Anwendung der Blockchain in vollkommen neuen Gebieten, wie dem Naturschutz, werden in der Kreativbranche bereits aktiv implementiert.

Transparente Nachhaltigkeit für die Modeindustrie

Seit Jahren kämpft die Textilbranche mit ihrem schlechten Image als zweitgrößte Quelle der globalen Umweltverschmutzung. Hinzu kommen teilweise unmenschliche Arbeitsbedingungen in ausgelagerten Produktionsstätten weltweit und große Lücken im Recycling-Kreislauf aussortierter Kleidungsstücke. Häufig sind diese Produktionsbedingungen und die damit verknüpften Anschuldigungen aber nur scher verifizierbar, verlässliche Informationen fehlen oder sind stark lückenhaft. Start-ups wie Sourcemap oder Provenance setzen genau hier an.

Provenance

Provenance entstand durch eine persönliche Frustration darüber, wie wenig wir über die Dinge wissen, die wir kaufen.

Jessi Baker, Gründerin von Provenance

Mithilfe der neuen Blockchain-Anwendungen können alle Schritte der Wertschöpfungskette erfasst, gespeichert und sichtbar gemacht werden. Besonders die Aspekte von ökologisch verträglichen Materialien, humanen Arbeitsbedingungen oder CO2-Werten lassen sich so für Kund*innen logisch, sicher und transparent darstellen.

Musiker*innen und Fans direkt verbinden

Auch in der Musikbranche gibt es zahlreiche Anknüpfungspunkte für Blockchain-Technologie, insbesondere in den Bereichen Copyright, Funktion der Musiklabels sowie Interaktion zwischen Künstler*innen und Fans. Die bisherige Promotion und Distribution von Musik erfolgt stark über die Einbindung der Labels. Sie setzen sich für den Urheberschutz ein, organisieren ihren Abverkauf und organisieren Konzerte und Touren. Gleichzeitig generieren sie in ihrer Mittlerfunktion den größten Teil des Umsatzes und nicht etwa die Künstler*innen selbst. Blockchain-basierte Unternehmen wie soundpruf oder inmusik haben genau dieses Problem in den Blick genommen: Ihr Geschäftsmodell verknüpft Musik mit den entsprechenden Künstler*innen-Informationen im Rahmen neuer Streaming-Dienste, die über das Blockchain-Netzwerk laufen. Sowohl das Hören als auch der Verkauf der eigenen Musik kann so von den jeweiligen  Musiker*innen gezielt gesteuert werden. Auch neue Vertriebswege werden so ermöglicht, etwa durch algorithmisierte Promotion von Konzerten.

Blockchain pflanzt Bäume?

Nicht direkt, aber fast! Das Berliner Start-up Terra0, gegründet von Absolventen der Universität der Künste, verpachtet Waldstücke mithilfe einer Blockchain-basierten künstlichen Intelligenz. Der Wald soll sich zukünftig selbst gehören – ein neuer ökologischer und philosophischer Ansatz der Mensch-Natur-Beziehung. Drohnen-Messstationen im Wald analysieren den Zustand und das Wachstum der Bäume und bestimmen einen Zeitpunkt, an dem Bäume gefällt und verkauft werden können. Die Einnahmen durch den Holzverkauf fließen zurück in das System, um damit neue Waldstücke zu erwerben. Durch Blockchain wird der Prozess der Entscheidungsfindung an eine technische Instanz ausgelagert, während die Prozesse selbst transparent und neutral bleiben.

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Wir möchten untersuchen, wie sich Ökosysteme selbst verwalten und auch selbst besitzen können. Der Wald als Ökosystem ist dafür gut geeignet. Aus ökonomischer Perspektive ist die Holzwirtschaft ein vergleichsweise simples System.

Paul Kolling, Terra0-Mitgründer

Terra0 soll in Zukunft vollkommen ohne menschliches Zutun funktionieren und zeigt schon jetzt auf höchst innovative Weise, wie Naturschutz, Nachhaltigkeit und Technologie in einem gedacht werden können.

Wie sieht die kreative Zukunft mit Blockchain aus?

Die Blockchain-Technologie revolutioniert die Art und Weise, wie unsere Welt gedacht wird. Nicht nur die technische Dimension der Blockchain stellt uns vor große Herausforderungen, auch ihre Philosophie wirft grundlegende Fragen nach der zukünftigen Bewertung von Begriffen wie Vertrauen, Sicherheit und Gemeinschaft auf. Aufgrund ihrer Komplexität und systemkritischen Philosophie ist man in Deutschland bisher noch zögerlich, die Blockchain außerhalb der Tech-Branche zu etablieren. Die Kultur- und Kreativwirtschaft fungiert dabei als Vorreiterin, die die Blockchain in verschiedenen Branchen erforscht und bereits erfolgreich anwendet. Ob die Blockchain zukünftig in der Fläche implementiert wird oder ein experimentelles Randphänomen bleibt, ist noch abzuwarten. Kreative wie innovative Lösungsansätze für die Probleme unserer Zeit hat sie jedenfalls geliefert.

Credits

Text: Felix Haas und Laura Müller

Fotos: William Veder

Anstehende Veranstaltungen

  1. Wissenschaftliche Fachkonferenz 2024: Berufsbilder der Kultur- und Kreativwirtschaft im Wandel

    19. März, 10:00 - 16:15
  2. Schulterblick des Creative Labs #7 Kreislaufwirtschaft

    5. April, 16:00 - 21:00

Credits

Text: Felix Haas und Laura Müller

Fotos: William Veder

Wie trägt Kultur- und Kreativwirtschaft zu mehr Kreislaufwirtschaft bei?

Prinzipien aus der Natur abzuschauen hat schon viele Erfindungen hervorgebracht. Insbesondere Kreislaufsysteme der Natur sind Vorbilder für ein nachhaltigeres Leben. Die Umgestaltung unserer Wirtschaft zu einem kreislaufwirtschaftlichen System stellt jedoch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar, die nur branchenübergreifend und ganzheitlich gelöst werden kann. Im Unterschied zum deutschen Begriff „Kreislaufwirtschaft“, der sich auf den Umgang mit Abfall fokussiert, ist der englische Begriff „Circular Economy“ (also „zirkuläres Wirtschaften“) bereits viel weiter gefasst und betrachtet das gesamte Produktsystem. Hier geht es um durchdachte Kreisläufe von Anfang an, die bereits beim Design von Produkten beginnt.

Innovative Ideen und praktische Ansätze für zirkuläres Wirtschaften finden sich schon seit Jahren in der Kultur- und Kreativwirtschaft, zum Beispiel in der Architektur, im Produkt- und Materialdesign, der Film- und Veranstaltungsindustrie sowie dem Modemarkt. Viele Beispiele werden Sie in diesem Magazinschwerpunkt kennenlernen können

In unserer Kurzreportage zur Kreislaufwirtschaft haben wir diesmal mit Architekt*innen Sandra Düsterhus (Point.Architektur) und Martin Haas (haascookzemmrich) über die Ansätze bei ihren Projekten in der Außen- und Innenarchitektur gesprochen und was der Fokus auf Kreislaufwirtschaft auch für die Gestaltung bedeutet.