Man hätte das natürlich alles ganz ordentlich machen können. Regelkonform. Erst Bauantrag stellen, dann loslegen. „Aber wenn wir das gemacht hätten,“, sagen Max Beckmann und Robin Höning, „dann würde hier heute noch nichts stehen.“ Dann hätte Hannover nicht ein lebendiges Startup- und Kreativzentrum, sondern nur eine Brache in einem reizlosen Gewerbegebiet.
Mach dich mal locker
Das hält: Die Containerbauten auf dem Startup-Park Platzprojekt entstanden zwar ohne Bauantrag - aber auf Basis solider statischer Berechnungen, die jetzt in ein technisches Konzept für künftige Projekte dieser Art einfließen
Platzprojekt heißt die Initiative, die als Vorbild gilt dafür, wie Kreativunternehmer Impulse für die Stadtentwicklung geben können – indem sie Leerstand mit Ideen füllen. In diesem Fall der Idee, sich einfach ein paar ausgediente Schiffscontainer hinzustellen und als Werkstätten, Büros, Ateliers und Ladenflächen herzurichten. Du hast eine Idee? Besorg dir einen Container komm her, leg los.
Technisch haben die Containerbauten Hand und Fuß – immerhin ist Höning Architekt, hat alle Konstruktionen durchgerechnet und von einem Statiker prüfen lassen. Nur eben keine Bauanträge gestellt. Erst mal zeigen, was geht, erst mal überzeugen mit Ideen und Qualität. Und dann sehen, wie man im respektvollen Dialog von der Duldung zur dauerhaften Lösung kommt.
Wer junge Leute halten will, muss Freiräume schaffen
Früher hätte man Kreativen wie Beckmann und Höning wahrscheinlich die Polizei aufs Gelände geschickt – heute sind sie begehrte Ratgeber, wenn es um die Zukunft unserer Städte geht, wie die Veranstaltungsreihe „Popup – die kreative Stadt von übermorgen“ zeigt. In Großstädten wie Köln und Dresden und an eher strukturschwachen Standorten wie Boizenburg und Bremerhaven brachte das Kompetenzzentrum Akteure aus Stadtverwaltungen, Bauwirtschaft, Forschung und der Kultur- und Kreativwirtschaft zusammen.
„Gerade mittlere Städte sterben aus“, sagt Robin Höning, „alle müssen schauen, dass junge und kreative Leute bleiben und nicht in die Ballungszentren ziehen. Und dafür muss man eben Freiräume schaffen, in denen sie sich verwirklichen können.“ Klassische Instrumente der Stadtentwicklung kommen hier an ihre Grenzen – etwa wenn es darum geht, Leerstand zu bekämpfen, bevor er ganze Straßenzüge veröden lässt. Hier haben in den letzten Jahren Kreativunternehmer neue Konzepte entwickelt, wie man diese Lücken durch Zwischennutzung füllen kann – und dabei noch Impulse für eine nachhaltige Stadtentwicklung setzt.
Ein Vorreiter ist Torsten Rommel, der in Dresden das Projekt galerie module betreibt: Leer stehende Gebäude werden hier zu Ausstellungsflächen auf Zeit, was nicht nur den Stadtteil belebt, sondern auch umliegende Immobilien aufwerten kann. In Saarbrücken stellte Rommel auch sein Anschlussprojekt Kreativraumagentur vor, eine Plattform, über die Kreative sich auf Zeit in leer stehende Flächen einmieten können, um dort Galerien, Büros oder Pop-up-Stores einzurichten – Ladengeschäfte, die nur kurz da sind und dann wieder verschwinden.
Wenn alles nur langfristig vermietet wird, führt das zu einem instabilen System. Wir fordern, dass 20 Prozent der Flächen für Zwischennutzungen verfügbar sind.
In Metropolen wie New York und London gelten Pop-up-Stores schon längst zum Alltag, selbst große internationale Marken nutzen sie als PR-Instrument. Auch in Berlin gibt es inzwischen ganze Straßenzüge, die von dem ständig wechselnden Angebot der Läden auf Zeit leben. Noch aber fremdeln viele Vermieter mit der Vorstellung, eine Fläche nicht für fünf oder zehn Jahre zu vermieten, sondern wochen- oder monatsweise. Hier ist noch viel Aufklärungsarbeit nötig, sagt Patrick Burkert, der in Dresden sein Start-up Go-PopUp vorstellte, die größte deutsche Plattform für die Vermittlung von Zwischennutzungen. „Die größte Angst ist, dass da jemand für eine Woche reingeht und alles kaputt macht“, sagt Burkert. „Wir haben darum zusammen ein Versicherungsformat entwickelt, das Schäden bis zu 10 Millionen Euro abdeckt. Und wir haben die ganzen Prozesse vereinfacht, mit Nutzungsvereinbarungen anstelle von Mietverträgen.“
Zwischennutzungen, sagt Burkert, sind ein wichtiges Instrument, um Städte krisenfester zu machen, flexibler in der Reaktion auf Konjunkturschwankungen – und auf die Veränderungen im Einzelhandel, der zunehmend agil werde. „Wenn alles nur langfristig vermietet wird, führt das zu einem instabilen System. Wir fordern, dass 20 Prozent der Flächen für Zwischennutzungen verfügbar sind. Aber die Debatte werden wir wohl noch ein paar Jahre führen müssen.“
Zwischennutzung ist kein Allheilmittel
Oft fehlt es gar nicht am Platzangebot oder am guten Willen – sondern an den Ideen. „Deswegen sind diese Veranstaltungen ja so toll“, sagt Beckmann, „weil das Kompetenzzentrum so ein riesiges Netzwerk hat, dass es für jede Problemstellung kreative Köpfe suchen und mit den Akteuren zusammenbringen kann.“ In Boizenburg etwa habe der Bürgermeister von seinen Schwierigkeiten berichtet, mit den Vermietern ein Konzept gegen den Leerstand in der Innenstadt zu entwickeln.
„Die haben sich immer wieder getroffen, und es sind immer weniger Leute gekommen, und passiert ist nichts“, sagt Beckmann. „Und wir haben sofort gesagt: Ist doch klar, die wollen keine Zwischennutzung, weil sie keine Vorstellung davon haben.“ Also warum nicht im benachbarten Hamburg einen Haufen kreativer Köpfe akquirieren, die günstige Flächen suchen, Verträge vorbereiten und das ganze Paket den Vermietern hinlegen? „Dann könnte man denen sagen: Hier, das sind alles Unternehmer und Künstler, die bei euch vorübergehend einziehen würden. Jetzt sofort. Und Ihr könnt euch aussuchen, wen Ihr haben wollt.“
Ein Allheilmittel sind Zwischennutzungen aber nicht, warnt Burkert: „Das stellen sich manche so vor, dass sie die Kreativszene für eine Woche reinlassen, und dann revitalisieren die den Bezirk.“ Popup-Stores seien kein Pflaster für Leerstand, sie könnten nur Teil einer intelligenten Stadtentwicklungsstrategie sein. „Sie brechen zum Beispiel die Homogenität von Shoppingmalls auf.“
Wir halten vielleicht nicht jeden geforderten Verwaltungsschritt ein, aber dafür stellen wir etwas hin, das funktioniert und bei dem niemand zu Schaden kommt und sagen: Schaut es euch an, wie findet Ihr das, können wir zusammen so weitermachen?
Zwischennutzungen leisten auch einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung einer starken Gründerszene, weil es leichter wird, eine Geschäftsidee zu testen, ohne sich an einen Gewerbemietvertrag zu ketten. „In solchen Ideen steckt das Potenzial für neue Wirtschaftszweige“, sagt Höning. „Auf der Veranstaltung in Bremerhaven ist die Idee entstanden, in leerstehenden Flächen ein Zentrum aufzubauen, wo man einfach mal starten kann.“
Wichtig, sagen Höning und Beckmann, ist bei all diesen Projekten ein respektvoller Umgang auf Augenhöhe. „Du kannst dich nicht einfach hinstellen und sagen: Gib mir eine Fläche, ich bin doch kreativ, und zahlen will ich auch nichts. Diese Anspruchshaltung erleben wir ganz oft. Du musst dir schon klarmachen, welchen Mehrwert du für die Stadt, für die Gesellschaft bietest – und diese Diskussion führen wir auch mit jedem Startup, das zu uns ins Platzprojekt kommt.“ Auf dieser Ebene könne man mit den meisten Stadtverwaltungen ins Gespräch kommen, diese Erfahrung haben Beckmann und Höning auch bei den Kompetenzzentrums-Veranstaltungen gemacht: „Wir erleben auf den Podien viele Entscheider, die nach neuen Möglichkeiten suchen, wie man Stadt anders denken kann.“
Brückenschlag: Platzprojekt-Entwickler Max Beckmann bei der Podiumsdiskussion mit Saarbrückens Baudezernentin Rena Wandel-Hoefer
Kreative befrieden Konflikte
Zunehmend entwickelt sich auch ein Bewusstsein dafür, dass der Kultur- und Kreativsektor viel zur Entschärfung von Konflikten und zur Krisenfestigkeit von Städten beitragen kann; so sind in Hamburg die erbitterten Konflikte um das historische Gängeviertel und den Abriss eines Sozialwohnungsblocks an der Reeperbahn durch künstlerisch geprägte Beteiligungsprozesse befriedet worden. „Wenn du in den 70ern dein Recht auf Raum einfordern wolltest, musstest du vor dem Rathaus ein Auto anzünden“, sagt Höning. „Da hat auf beiden Seiten ein Umdenken stattgefunden.“
Und auch den Regelbruch könne man ja respektvoll gestalten: „Wir halten da
vielleicht nicht jeden geforderten Verwaltungsschritt ein, aber dafür stellen wir etwas hin, das funktioniert und bei dem niemand zu Schaden kommt und sagen: Schaut es euch an, wie findet Ihr das, können wir zusammen so weitermachen?“ Aus der stillschweigenden Duldung können dann konkrete Vereinbarungen und Konzept entstehen, die dann wieder als Best Practice-Beispiele für andere Projekte dienen. „Warum soll das, was in Hannover funktioniert, nicht auch in Bremerhaven funktionieren?“
Credits
Text: Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes
Fotos: Karolina Sobel, Georg Dahm