Über dem Eingang zur Platform 12 auf dem Forschungscampus der Robert Bosch GmbH hängt eine analoge Uhr. Schwarze Zeiger auf weißer, tellergroßer Fläche, Standardmodell. Steht man nah genug davor, ist sogar das kleine Bosch-Logo zu erkennen. Nur: Die Uhr geht falsch, gleich mehrere Stunden und Minuten – und das soll sie auch. Wer davon irritiert ist, spürt sie schon, die Wirkung, die die Berliner Künstler Maren Geers und Thomas Drescher mit der Platform 12 beabsichtigt haben.
Zusammen mehr bewegen
Ein großer, offener, heller Raum, darin Bastelutensilien, interaktive Kunstinstallationen, Sofaarrangements, eine Videowand, über die mit Bosch-Kollegen weltweit geplaudert werden kann, viel Grün. Dazu der Austausch mit Künstlern der verschiedensten Disziplinen, die hier an ihren Projekten arbeiten – all das soll die Bosch-Forscher dazu anregen, gewohnte Wege zu verlassen, die Perspektive zu wechseln und so auf neuen Ideen für Produkte und Prozesse zu kommen.
Geplant und realisiert hat diesen ungewöhnlichen Ort Wimmelforschung, die künstlerische Unternehmung von Maren Geers und Thomas Drescher. Gemeinsam mit der Bosch-Innovationsmanagerin Birgit Thoben stellten sie die Kooperation im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Partnering: Die Kultur- und Kreativwirtschaft als Entwicklungspartner entdecken“ vor, die das Kompetenzzentrum 2015 in Hamburg, Magdeburg, Wolfsburg, Mainz und Berlin organisierte.
Künstler lassen Ingenieure neu denken
Platform 12 ist nur ein Beispiel dafür, welches Potenzial in neuen Kooperationsformen zwischen klassischen und Kreativunternehmen steckt – aber vielfach noch nicht genutzt wird. Die Probleme liegen dabei auf beiden Seiten, sagt die Kulturmanagerin Gesa Birnkraut, die zwei der Partnering-Veranstaltungen moderiert hat: „Viele Unternehmen wissen gar nicht, dass es diese Partnerschaften gibt oder dass solche Partnerschaften auch für sie zum Erfolg führen könnten. Und die Kultur- und Kreativwirtschaft kann oft gar nicht so genau formulieren, für welchen Partner sie denn jetzt die Richtigen wären.“
Viele Unternehmen wissen gar nicht, dass es diese Partnerschaften gibt oder dass solche Partnerschaften auch für sie zum Erfolg führen könnten. Und die Kultur- und Kreativwirtschaft kann oft gar nicht so genau formulieren, für welchen Partner sie denn jetzt die richtigen wären.
Dass die Industrie dringenden Innovationsbedarf hat, liegt auf der Hand: Neue Akteure und neue Konzepte fordern die Etablierten heraus – und über allem schwebt das Angstwort „Disruption“, dieser Moment, in dem ein Newcomer ein Produkt radikal neu denkt und damit eine ganze Branche aus den Angeln hebt, so wie Airbnb die Hotelbranche. Dann doch lieber selbst die neuen, unkonventionellen Ideen entwickeln, aber wie, wenn im Haus über Jahre und Jahrzehnte ein ganz anderes Denken gepredigt wurde?
Inspirierendes Setting: Die Wolfsburger Partnering-Veranstaltung fand im Science-Center Phaeno statt
Hier bringen die Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft andere Denkweisen und Perspektiven ein – und eine Offenheit für neue Konzepte wie Open Innovation und Co-Creation, bei denen Kunden und Partner mitarbeiten an der Gestaltung neuer Produkte und Dienstleistungen.
Mit seiner Veranstaltungsreihe „Partnering“ hat das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes den Diskurs darüber vorangebracht, wie solche Partnerschaften erfolgreich gestaltet werden können. Eine allgemeingültige Blaupause gibt es nämlich nicht, sagt Birnkraut, die eine Beratungsfirma betreibt und eine Professur für strategisches Management in Non-Profit-Organisationen innehat. „Bei der Kultur- und Kreativwirtschaft reden wir von elf unterschiedlichen Teilmärkten und bei der Industrie reden wir von zig unterschiedlichen Teilmärkten. Jede Partnerschaft hat individuell ihre eigene Wertigkeit und ihr eigenes Potenzial.“
Wie bringt man die beiden Seiten also zusammen? „Wir haben recht schnell bemerkt, dass wir Unternehmensvertreter nur schwer zu unseren Veranstaltungen bekommen, wenn sie nicht sofort den Nutzen für sich sehen“, sagt Birnkraut.
Für uns bedeutet das Wort Innovation: etwas noch nie auf dem Markt Dagewesenes. Ein mittelständisches Unternehmen versteht unter dem Begriff Innovation aber fast immer, eine funktionierende Idee vom amerikanischen oder einem anderen großen Markt erfolgreich am heimischen Markt umzusetzen.
Wofür es manchmal schon reicht, einen großen Namen im Programm zu haben.
Zum Beispiel Volkswagen. Dass der Autobauer bei der Partnering-Veranstaltung in Wolfsburg vertreten war, habe viele Akteure aus der Wirtschaft aktiviert, sagt Amelie Künzler. „Menschen aus Unternehmen fragen sich immer: Was habe ich davon? Warum sollte ich da hingehen? Und wenn da jemand von VW auf der Bühne sitzt und sagt: Partnering ist sinnvoll, dann ist die Überlegung klar: Interessant, wenn die das machen, dann wird da wohl was dran sein, da gehe ich auch mal hin.“
Künzler weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es für klassische Unternehmer und Kreative sein kann, zusammenzufinden. Die Designerin hat das Startup Urban Invention mitgegründet, gemeinsam mit einem Unternehmen produziert sie den „ActiWait“, einen Ampeltaster mit Touchscreen, auf dem Fußgänger bei Rot spielen können.
Ihre Erfahrungen hat sie auf dem Podium in Wolfsburg angesprochen: „Bei uns war es wichtig, erstmal eine Kommunikationsgrundlage zu schaffen. Beide Seiten müssen aufeinander zugehen.“ Das fange oft damit an, dass man auch die Bedeutung einzelner Wörter hinterfragt: „Für uns und viele Kreative bedeutet das Wort Innovation: etwas noch nie auf dem Markt Dagewesenes. Bei unseren Gesprächen mit unserem Partner haben wir gelernt, das ein mittelständisches Unternehmen unter dem Begriff Innovation aber etwas anderes versteht. Und zwar fast immer, eine funktionierende Idee vom amerikanischen oder einem anderen großen Markt erfolgreich am heimischen Markt umzusetzen.“
Die Begegnung auf Augenhöhe muss Alltag werden – das würde den Kreativen auch bei Preisverhandlungen mit den Unternehme helfen.
Ein weiteres Problem sieht Gesa Birnkraut darin, dass Kreativleistungen hierzulande immer noch nicht als finanzielle wertvoll angesehen werden. „Die Industrie muss bereit sein, normale Preise für die Kultur- und Kreativwirtschaft zu zahlen“, sagt die Kulturmanagerin. Es gehe schließlich um Kooperationen auf Augenhöhe. Im Gegenzug müssten auch viele Kreativunternehmer erst einmal lernen, vernünftige Preise zu fordern – eine Frage des Selbstbewusstseins.
Oft würden Industrieunternehmen bei Preisverhandlungen auch argumentieren, dass man den finanziellen Erfolg des gemeinsamen Projekts ja noch gar nicht absehen könne. „Das Interessante dabei ist aber: Die Industrie ist eine solche Situation eigentlich gewohnt. Forschung und Entwicklung ist nicht anderes. Da garantiert den Unternehmen auch niemand, dass sich die Investitionen auszahlen“, sagt Birnkraut. Ihr Appell an die Industrie: „Ihr kennt solche Unsicherheiten doch, jetzt lasst euch einfach mal drauf ein, dass mit Partnern aus der Kultur- und Kreativwirtschaft etwas gut Verwertbares herauskommen kann.“
„Vermittler mit gutem Ruf wie das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft können viel dazu beitragen, solche Partnerschaften zu befördern“, sagt Oliver Saiz, Grafikdesigner und Mitgründer des Startups hochE. Die Nürnberger Agentur berät und begleitet Unternehmen bei der emotionalen Markenführung.
Einen inneren Bedarf erzeugen
Die Begegnung auf Augenhöhe müsse Alltag werden – das werde den Kreativen auch bei Preisverhandlungen mit den Unternehmen helfen, erklärte Saiz auf der Partnering-Veranstaltung in Mainz. „Das Designzentrum Stuttgart sitzt zum Beispiel mit im Haus der Wirtschaft – allein das schafft bereits Vertrauen.“
Es geht für beide Seiten ganz einfach darum, Ängste abzubauen, sagt Künzler „Im Kleinen wie im Großen. Genau deshalb sind solche Veranstaltungen so wichtig.“ Langfristig, sagt Birnkraut, müsse ein weitgehender Bewusstseinswandel in der Wirtschaft das Ziel sein: „Wir wollen dahin kommen, dass der Bedarf, solche Partnerschaften einzugehen, von innen heraus entsteht.“
Credits
Text: Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes
Fotos: William Veder, HochE