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Von Zumutungen und glücklichen Kühen

Reisen mit einem Oldtimer-Doppeldeckerbus auf der A7 mit 80 km/h. Was klingen mag wie Kaffeefahrten für Senioren, sind Trips in die Zukunft – Learning Journeys, organisiert vom Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes. Die drei Fahrten finden diesen Sommer im Rahmen des Projekts Phase XI statt.

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Learning Journey (Teil 1)

Bis zum Ende des Jahres werden deutschlandweit in acht Ideenlabs Antworten auf Zukunftsfragen erörtert. Die Themen sind vielfältig: Es geht um neue Formen der Arbeit, Mobilität, Ernährung und Bürokratie, um das Internet der Dinge, die Eroberung des ländlichen Raumes, um Wertevorstellungen und Weltbilder. Auch die Ansätze der Teams sind divers, aber immer zukunftsgerichtet, interdisziplinär, natürlich kreativ – und nicht technikgetrieben. Für ihre Themenstellungen tauchen Kultur- und Kreativwirtschaftler in andere Branchen ein, um dort konkrete Prototypen und Produkte zu entwickeln. Ziel ist, neue Perspektiven auf relevante Themen aus Wirtschaft und Gesellschaft zu eröffnen.

Zeit also, sich auf halber Strecke einen Überblick zu verschaffen. Zusammen mit dem Kooperationspartner Bundesverband Mittelständische Wirtschaft (BVMW) lud das Kompetenzzentrum zu drei Expeditionen zu acht Zukunftsideen ein.

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In der Hansestadt Hamburg, wo sich Unternehmergeist und Entdeckungsfreude schon so oft erfolgreich verbunden haben, besuchen wir das Ideenlab Systems of Belief. Die Location: eine alte Fabrik, vielleicht sogar mal ein Güterbahnhof. Dort haben sich unlängst Büros, Ateliers und Co-Working-Spaces angesiedelt, im Innenhof verläuft unter dem Eingangstorbogen noch eine alte Bahnschiene, in der Halle sind weiß lackierte Bierbänke aufgebaut, es riecht nach Kaffee.

Das Lab setzt sich mit den Wirkungsweisen und Mechanismen des Glaubens auseinander – und zwar losgelöst vom religiösen Kontext: Wem glaubt der Mensch, was glaubt der Mensch? Denis Dilba und Georg Dahm, beide Unternehmer und Journalisten, möchten eine neue Wertedebatte entfachen. Momentan entwickeln sie dafür ein Widget. Es soll online als Banner neben Artikeln angezeigt werden und auf journalistische Artikel verweisen, die eine gegenläufige Position zu dem gerade Gelesenen beziehen. Mit Glaubensgebilden konfrontieren, die der eigenen Weltsicht widersprechen – ein Prinzip, auf dem auch ihr zweites Vorhaben basiert: eine Plattform mit dem Namen Die Zumutung. „Nur wenn es weh tut, ist es gut! Das ist unser Leitsatz.“, fügt Georg Dahm lachend hinzu, der unter anderem das digitale Wissensmagazin Substanz mitbegründet hat. Man wolle schon ein bisschen provozieren und aufrütteln, aber es ginge ihnen vor allem um Transparenz, um das Sichtbarmachen der eigenen Filterblase – und damit die Möglichkeit, diese auch mal zu verlassen.

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Nach der Projekt-Vorstellung bleibt noch kurz Zeit für ein, zwei Fragen, und während sich ein hitziges Gespräch über objektive Berichterstattung, manifestierte Meinungen und die Zukunft des Journalismus zwischen den Beteiligten entwickelt, setzt draußen starker Regen ein. Wir hechten in den Bus und fahren weiter. Die Heizung wird aufgedreht und später die Musik, es läuft Lykke Lis „I Follow Rivers“ und der Regen trommelt im Takt dazu aufs grüne Dach. Noch 26 km bis Lüneburg. Die Stimmung ist ausgelassen und jemand sagt: Nur Regen wäre schlimmer. Es wird gelacht. Start-Ups kennen keine Wetterkapriolen.

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Next Stop Lüneburg. Das Ideenlab Datatelling hat sich vorgenommen, ausgerechnet im Internet der Dinge nichttechnische Innovationen anzustoßen. Was im ersten Moment absurd klingt, wird schnell klarer. Es geht um Big Data und darum, wie und wo gesammelte Daten sinnvoll (und über Marketingbotschaften hinaus) für Endverbraucher zur Verfügung gestellt werden können. Beispielhaft zieht das Lab die Lebensmittelindustrie heran und ist dabei, den Einkaufswagen der Zukunft zu konzipieren: Der StoryTrolley wird Verbrauchern die Geschichte der ausgewählten Produkte erzählen, wenn sie gerade in den Korb gelegt werden. Verständlich aufbereitet, kurz und knapp. Big Data als praktische Entscheidungshilfe im Supermarkt. Klingt soweit gut. Ein Modell des StoryTrolley haben sie schon dabei. Während wir weiterfahren, spinnen wir Ideen, wie die Aufbereitung der Daten tatsächlich aussehen könnte und wie Produkte überhaupt markenunabhängig vorgestellt werden können. Denn wie fließend sind eigentlich die Grenzen zwischen journalistischem Inhalt und Werbebotschaft?

Kurze Zeit später erreichen wir das creativeALPSlab. Es beschäftigt sich mit Lebens- und Wirtschaftsformen außerhalb urbaner Zentren, genauer mit der Entwicklung des Alpenraumes. Da die Alpen nicht unmittelbar in der Nähe Niedersachsens liegen und der Bus es ohnehin schwer in den Bergen hätte, fahren wir symbolisch zur höchsten Erhebungen des niedersächsischen Flachlands: Dem Kaliberg am Steinhuder Meer.

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Dort am Fuße des Berges, inmitten von Weizenfeldern, stellt Matthias Leitner, einer der beiden Lab-Initiatoren, das Projekt vor. Das Lab analysiert die bestehenden Alpenidyll-Fotos der stark touristisch geprägten Region und möchte diese klischeebehafteten Bilder der Alpen im zweiten Schritt mit zukunftsorientierten Merkmalen besetzen. Ein wichtiger Punkt, so Leitner, um die Attraktivität und Zukunftsfähigkeit dieses ländlichen Raumes angesichts wachsender Mega Cities zu steigern, auch für die Kultur- und Kreativwirtschaft. Was Kultur- und Kreativwirtschaft in Berggebieten denn überhaupt meinen könne, fragt jemand. „Genau das wollen wir klären“, betont Matthias Leitner, und berichtet von der gerade begonnenen Recherchephase, kleinen Experimenten, Umfragen und Gesprächen im Milieu.

Zurück im Bus lassen wir den Tag Revue passieren und stellen fest: Wir haben es hier mit Machern zu tun. Machern, die nicht monatelange Studien voranstellen, sondern ausprobieren, anfertigen, produzieren, herstellen, herumbasteln. Es geht um Versuchsanordnungen, auch um Risikobereitschaft. „Die Möglichkeit des Scheiterns und die Möglichkeit des Erfolgs, das ist etwas, was die Kultur- und Kreativwirtschaft ausmacht. Das wollen wir nutzen“, erläutert Ivana Rohr, Projektleiterin der PHASE XI. Während wir dem Reiseziel der ersten Etappe näher kommen, wird die Heizung noch höher gedreht und die Musik auch, es läuft The Lovin‘ Spoonfuls „Summer in the City“. Noch 17 km bis Hannover. Die Stimmung ist ausgelassen und jemand sagt: Ein Eis wäre nett; es wird gelacht.

(Fortsetzung folgt…)

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Credits

Text: Lin Franke / Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Fotos: Ariane Kaiser

Anstehende Veranstaltungen

  1. Sommerpavillon der Kultur- und Kreativwirtschaft

    21. Juni - 4. Oktober

Credits

Text: Lin Franke / Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Fotos: Ariane Kaiser

Künstliche Intelligenz als Werkzeug von Kreativen

Die fortschreitende Digitalisierung verändert tiefgreifend, wie wir leben, arbeiten und auch politisch partizipieren. Eine der großen Herausforderungen unserer Zeit ist, sowohl die politische Teilhabe zu stärken als auch die Demokratie vor digitalen Bedrohungen zu schützen.

Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz wird beispielsweise kreative Teilhabe für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich, indem komplexe Werkzeuge und Techniken auch ohne tiefe Fachkenntnisse genutzt werden können. KI ermöglicht es Menschen aus verschiedenen Hintergründen, ihre kreativen Ideen zu verwirklichen und neue Formen der künstlerischen Zusammenarbeit zu erkunden. Das fördert die Vielfalt und Innovation in der kreativen Landschaft. Gleichzeitig stellt diese Entwicklung die traditionellen Vorstellungen von Urheberschaft und Originalität infrage, da KI-gestützte Kreativität zunehmend die Grenze zwischen menschlicher und maschineller Schöpfung verwischt.

Auch die Fragen, was Kreativität bedeutet und wo die Kernkompetenzen der Kreativschaffenden liegen, werden an Wichtigkeit gewinnen und ihre Antworten sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich bringen. KI ist auf dem heutigen Stand eher nicht „kreativ“ – aber sie verändert kreative Prozesse. Sie kann Kreativschaffende in ihrer Kreativleistung unterstützen, sie erweitern und als Inspirationsquelle dienen.

In unserer Kurzreportage sprechen wir mit den Künstlern Julian van Dieken und Roman Lipski über das Potenzial von KI als künstlerische Muse und Werkzeug, das neue Zugänge und Innovationsprozesse ermöglicht.