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Eine Branche in der Krise

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie haben die Gesamtwirtschaft Deutschlands im vergangenen Jahr hart getroffen. Besonders starke Umsatzeinbrüche hatte die Kultur- und Kreativwirtschaft zu verzeichnen: Der Rückgang hat einzelne Teilbranchen auf das Umsatzniveau von vor 2003 zurückgeworfen. Diese erschreckenden Ergebnisse spiegeln die spezifische Situation von Kreativen und Kulturschaffenden im wirtschaftspolitischen Kontext der Corona-Krise wider.

Eine Einschätzung von Johannes Tomm, Projektleitung des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes.

Die Pandemie wird die Branche in ihrer Struktur nachhaltig verändern. Auch wenn wir 2021 wieder zu einem „neuen normal“ zurückkehren können, werden uns die Auswirkungen in den kommenden Jahren beschäftigen. Szenarien, die das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes für 2021 erstellt hat, machen deutlich, dass die Branche auf das Umsatzniveau von 2015 zurückfallen wird, selbst wenn sie sich in diesem Jahr wieder positiv entwickelt.

Die Post-Corona-Phase wird durch unterschiedlich gelagerte Problemstellungen und Herausforderungen begleitet werden, die die wirtschaftliche, gesellschaftliche und strukturelle Erholung der Branche maßgeblich bestimmen. Der Umsatzrückgang ist dabei nur ein Aspekt. Viel entscheidender wird sein, welche Akteur*innen ihre Selbstständigkeit aufgeben und in andere Tätigkeitsfelder wechseln, welche Angestellten ihren Beruf nicht mehr ausüben können, welche Häuser und Unternehmen ihre Tore schließen und wie viele Menschen aufgrund der Situation nicht den Schritt in die Kreativbranche wagen. Die Kultur- und Kreativwirtschaft gilt als vielfältige und heterogene Branche – dementsprechend sind diese Entwicklungen im kreativen und kulturellen Ökosystem mit großer Sorge zu betrachten.

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Johannes Tomm und Moderator Konrad Spremberg bei dem Kongress "Betroffenheit & Perspektiven" zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie

Der Gestaltungswille ist geblieben

Trotz eigener Betroffenheit sind viele Akteur*innen der Branche mit neuen Ideen, innovativen Herangehensweisen und digitalen Geschäftsmodellen der Krise entgegengetreten. Sie haben das getan, was ihre originäre Tätigkeit ausmacht: als Gestalter*innen des Neuen der Unsicherheit begegnen. Sie haben Angebote gemacht, Lösungen präsentiert, Analoges mit Digitalem kombiniert und damit der Gesellschaft ein Stück weit durch die Krise geholfen: gemeinsam tanzen mit UNITED WE STREAM, persönliche musikalische Begegnungen mit 1:1 Concerts, eine neue Meetingkultur mit „Wonder“ und neue Formen der digitalen Vernetzung mit Journee, Theatervorstellungen und Bildungsangebote im Livestream, VR- & AR-Anwendungen in unterschiedlichsten Kontexten – die Liste ist lang. Die entstandenen Angebote wurden mit neuen und neu-kombinierten Monetarisierungsmodellen verknüpft.

Auch wenn sie den massiven, plötzlichen Einbruch der Existenzgrundlage vieler Akteur*innen der Kultur- und Kreativwirtschaft keineswegs kompensieren konnten, so haben diese Ansätze dennoch ein weiteres Mal das Innovationspotenzial der Branche und ihren Willen zum Gestalten gezeigt. Doch ab einem gewissen Punkt leiden auch Kreativität und Durchhaltevermögen angesichts von Existenzangst und Insolvenz. Die gesellschaftliche und wirtschaftspolitische Relevanz dieser Branche muss daher mit spezifischen Unterstützungsmaßnahmen weiter gestärkt werden. Wenn wir irgendwann die Corona-Krise überstanden haben sollten, sind wir auf die Vielfalt von kreativen Impulsen angewiesen. Denn genaugenommen stecken wir mitten in einer Reihe von Krisen – und zwischen Klimaschutz und Nachhaltigkeitszielen ist die Kultur- und Kreativwirtschaft eine Branche, die schon heute wichtige Lösungen für eine gemeinsame Zukunft entwirft und in Geschäftsmodelle übersetzt.

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Johannes Tomm und Moderator Konrad Spremberg bei dem Kongress "Betroffenheit & Perspektiven" zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie

Was für den Re-Start benötigt wird

Nach dem Ende der Einschränkungen beginnt die Phase des „Wiederhochfahrens“, in vielen Fällen sogar des kompletten Re-Starts. Sie wird zeigen, ob sich die Branche erholen kann und der Umsatzrückgang aufzufangen oder gar umzudrehen ist. Es gilt in dieser Phase, neue Strukturen zu entwickeln, weitere Unterstützungs- und Investitionsprogramme zu lancieren und die Kultur- und Kreativwirtschaft als attraktives Berufsfeld mit vielen Perspektiven zu etablieren.

Dabei sollten insbesondere die Klein- und Kleinstunternehmen, Solo-Selbstständigen und Freiberufler*innen in den Fokus genommen werden. Sie machen über 97 % aller Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft aus (vgl. Monitoringbericht Kultur- und Kreativwirtschaft 2020) und sind maßgeblich von den pandemiebedingten Einschränkungen betroffen. Sie sind die (Innovations-)Treiber*innen der Branche, die Wirtschaft und Gesellschaft gestalten, Neues ausprobieren, Schnittstellen zu anderen Branchen und Bereichen erkennen und bespielen, Inspiration und Innovation zwischen Wirtschaft und Kultur vorantreiben und vorleben. Diese gilt es gerade jetzt in ihrer unternehmerischen Freiheit zu stärken und flexible und regional angepasste Lösungen zu fördern, die neue wirtschaftliche Aktivitäten schaffen und öffentliches Leben ermöglichen.

Johannes Tomm - Foto: Thomas Leidig

Wenn wir irgendwann die Corona-Krise überstanden haben sollten, sind wir auf die Vielfalt von kreativen Impulsen angewiesen. Denn genaugenommen stecken wir mitten in einer Reihe von Krisen – und zwischen Klimaschutz und Nachhaltigkeitszielen ist die Kultur- und Kreativwirtschaft eine Branche, die schon heute wichtige Lösungen für eine gemeinsame Zukunft entwirft und in Geschäftsmodelle übersetzt.

Johannes Tomm

Darüber hinaus bedarf es einer Neupositionierung des Staates in seiner Rolle zwischen Krisenhelfer und Zukunftsgestalter. Die US-amerikanische Ökonomin Mariana Mazzucato hat das Konzept des „unternehmerisch tätigen Staates“ (Mariana Mazzucato, The Entrepreneurial State, 2013) entworfen, in dem der Staat durch Investitionen in Innovation eine dominante Rolle bei der Schaffung und Gestaltung von Märkten einnimmt. Sie fordert, dass die Regierung vielfältige Netzwerke von Akteur*innen unterschiedlicher Spezialisierung und unterschiedlichen technischen Verständnisses zusammenzubringt – mit dem Ziel, die Entwicklung neuer, origineller Ansätze zur Lösung der wichtigsten Herausforderungen zu fördern. Der Staat ist demnach als kreativer Vorreiter und aktiver Ermöglicher von Innovationen in der Kultur- und Kreativwirtschaft gefragt.

Bezogen auf die aktuelle Situation bedeutet das konkret, dass Akteur*innen der Branche sich von staatlicher Seite schnellstmöglich Planungssicherheit und Perspektiven für die kulturellen und kreativen Bereiche wünschen. Das hieße zum Beispiel, dass Szenarien der Öffnung und des „Wiederhochfahrens“ länderübergreifend entworfen und vermittelt werden würden. Intensivierte Aktivitäten zur Stimulierung von Unternehmensgründungen und -wachstum könnten die Überwindung der entstandenen Abwärtsdynamik und den damit verbundenen Unsicherheiten bedeuten, neue Investitionsprogramme würden die Resilienz und Zukunftsfähigkeit bestehender Unternehmungen stärken und das vielfältige Ökosystem der Kultur- und Kreativwirtschaft stabilisieren. Um aufgezeigten Herausforderungen und Problemen zu begegnen, benötigt es neue Geschäftsmodelle, Produkte und Dienstleistungen – Angebote, die alte und neue Nachfragen bedienen. Geht der Staat hier als Akteur voraus, sollte er neben dem Erhalt und der Stabilisierung der Wirtschaft in neuen Programmen ebenfalls anstreben, notwendige Möglichkeitsräume für Innovationen und gesellschaftliche Zukunftsszenarien zu bieten.

Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist viel mehr als vermeintlich verzichtbare Unterhaltung. Sie kann eine zentrale Rolle einnehmen, damit Wirtschaft und Gesellschaft verändert, besser und nachhaltiger als zuvor aus der Krise heraustreten. Dementsprechend wichtig ist es, in der nächsten Zeit besonderen Aufwand zu betreiben, um das Innovationspotenzial und die Vielfalt der Kultur- und Kreativwirtschaft zu bewahren.

Credits

Text: Johannes Tomm

Fotos: Mina Gerngross, Thomas Leidig

Anstehende Veranstaltungen

  1. Sommerpavillon der Kultur- und Kreativwirtschaft

    21. Juni - 4. Oktober

Credits

Text: Johannes Tomm

Fotos: Mina Gerngross, Thomas Leidig

Künstliche Intelligenz als Werkzeug von Kreativen

Die fortschreitende Digitalisierung verändert tiefgreifend, wie wir leben, arbeiten und auch politisch partizipieren. Eine der großen Herausforderungen unserer Zeit ist, sowohl die politische Teilhabe zu stärken als auch die Demokratie vor digitalen Bedrohungen zu schützen.

Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz wird beispielsweise kreative Teilhabe für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich, indem komplexe Werkzeuge und Techniken auch ohne tiefe Fachkenntnisse genutzt werden können. KI ermöglicht es Menschen aus verschiedenen Hintergründen, ihre kreativen Ideen zu verwirklichen und neue Formen der künstlerischen Zusammenarbeit zu erkunden. Das fördert die Vielfalt und Innovation in der kreativen Landschaft. Gleichzeitig stellt diese Entwicklung die traditionellen Vorstellungen von Urheberschaft und Originalität infrage, da KI-gestützte Kreativität zunehmend die Grenze zwischen menschlicher und maschineller Schöpfung verwischt.

Auch die Fragen, was Kreativität bedeutet und wo die Kernkompetenzen der Kreativschaffenden liegen, werden an Wichtigkeit gewinnen und ihre Antworten sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich bringen. KI ist auf dem heutigen Stand eher nicht „kreativ“ – aber sie verändert kreative Prozesse. Sie kann Kreativschaffende in ihrer Kreativleistung unterstützen, sie erweitern und als Inspirationsquelle dienen.

In unserer Kurzreportage sprechen wir mit den Künstlern Julian van Dieken und Roman Lipski über das Potenzial von KI als künstlerische Muse und Werkzeug, das neue Zugänge und Innovationsprozesse ermöglicht.