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Zukunftsstrategien für die neue Arbeitswelt: „German Mut anstatt German Angst“

Deutschlands Wirtschaft erholt sich schrittweise von den letzten Pandemiejahren. Eines der größten Themen derzeit ist der bestehende Fachkräftemangel, der auch die Kultur- und Kreativwirtschaft stark betrifft. Zum 1. Fachkräftekongress des Kompetenzzentrums am 18. April trafen sich Personen aus Politik, Verbänden der Kultur- und Kreativwirtschaft und auch Unternehmer*innen der Branche in Berlin, um über die Herausforderungen, Aufgaben und Lösungsansätze zu diskutieren. Im ersten Teil des Bühnenprogramms schilderten Michael Kellner, Andrea Nahles und Düzen Tekkal ihre Gedanken und Erfahrungen dazu.

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Michael Kellner im Interview

Seit dem Einbruch in der Veranstaltungsbranche sowie in kulturellen Institutionen wie Museen, Theater und Kino fehlen immer noch Produzent*innen oder Projektmanager*innen in Teilbereichen wie Film, darstellende Kunst, aber auch Design und Softwareentwicklung. Die Gründe dafür sind vielfältig. “Ausbildungsangebote müssen attraktiv gehalten werden,” betonte der Ansprechpartner der Bundesregierung für die Kultur- und Kreativwirtschaft Michael Kellner und sprach damit das Matchingproblem und die nötige Modernisierung bestehender bzw. das Erschaffen neuer Ausbildungsgängen an. Es müsse daher weiterhin mehr in Ausbildungen und die Digitalisierung der Lehrinhalte im Inland investiert werden. Ein weiterer Schwerpunkt sei seiner Ansicht die erleichterte Einwanderung. Die Kultur- und Kreativwirtschaft könne ein Aushängeschild für das Land sein, indem Werte und Ideen vermittelt werden.

Andrea Nahles, die Vorstandsvorsitzende der Agentur für Arbeit & ehemalige Bundesministerin für Arbeit und Soziales, unterstützte Kellners Gedanken und verwies darauf, dass aktuell ca. 7,2 Millionen Arbeitskräfte fehlen. Ihrer Meinung nach gibt es dort viel Handlungsspielraum: “Ungefähr die Hälfte kann man aus inländischem Potenzial gewinnen. Die andere Hälfte wird nur durch Zuwanderung kompensiert werden können,” erklärte Nahles. Ein bedeutender Faktor sei hierbei, die Erwerbstätigkeit von Frauen zu fördern, denn viele wären bereit, ihre Wochenstundenanzahl um mehr als 12 Stunden zu erhöhen. Dafür bräuchte es jedoch Flexibilität seitens der Arbeitgeber*innen, zum Beispiel wenn es darum gehe, mehr Homeoffice oder Gleitzeit zu ermöglichen. Darüber hinaus sollten Nahles zufolge Punkte wie Arbeit, mögliche Berufszweige und Praktika mehr in schulischen Lehrplänen verankert werden, vor allem im Austausch mit Eltern und Lehrer*innen. Frage man Schüler*innen nach den Berufen, die sie kennen, würden immer wieder die 20 gängigsten genannt werden. Speziell in der Kultur- und Kreativbranche sind viele Berufe unbekannt.

 

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Michael Kellner im Interview

Eine Willkommens- und Anerkennungskultur in Wirtschaft und Gesellschaft etablieren

Zum Aspekt Einwanderung bekräftigte Nahles: “Wir brauchen so etwas wie eine ‘Willkommenskultur’. Wenn wir die Chance nicht annehmen und Menschen eine Heimat hier schaffen, dann wandern viele wieder aus, weil sie ihre Qualifikation nicht nutzen können, weil ihre Familien nicht einfach nachziehen können. Das Reinkommen ist das eine, aber wir müssen auch viel Aufmerksamkeit auf das Bleiben setzen.”

Die Sozialunternehmerin, Menschenrechtsaktivistin & Journalistin Düzen Tekkal, die gemeinsam mit Nahles und Kellner auf dem Panel des Fachkräftekongresses saß, ergänzte an der Stelle: “Ich würde Willkommenskultur erweitern in Anerkennungskultur. Ein Grund, warum Leute gehen, ist der Alltagsrassismus. Das eine ist die demografische Entwicklung und das andere ist die Tatsache, dass jeder 4. in unserem Land Zuwanderungsgeschichte hat. Natürlich brauchen wir Fachkräfte aus dem Ausland, aber wir müssen uns vor allem um die Menschen im Inland kümmern und da sehe ich ein riesengroßes Gefälle je nachdem, wo die Menschen herkommen.”

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German Mut anstatt German Angst.

Düzen Tekkal

Dabei kritisierte Tekkal die bestehenden Strukturen, die immer noch benachteiligen würden. Ein Ansatz wäre in ihren Augen, Abschlüsse anzuerkennen, die außerhalb Europas erlangt wurden. Eine weitere zentrale Frage für Tekkal ist: “Wie schaffen wir Akteure des Wandels, die nicht nur besetzen, sondern in Entscheidungspositionen mitbesetzen?” Mit ihrer Bildungsinitiative German Dream setzt sie sich für die Werte des Grundgesetzes ein. In Wertedialogen an Schulen werden junge Menschen – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion oder Lebensentwurf – ermutigt, ihre Träume und Ideen in Deutschland zu verfolgen und zu erfüllen. Nach Tekkal ist die Herkunft einer Person nach wie vor zu negativ behaftet. Es gebe zu wenige positive Geschichten und Vorbilder mit Einwanderungsgeschichte. Zudem müssten Unternehmen die eigenen Recruiting-Prozesse vereinfachen. Mit ihrer Beratungsagentur MutRepublik setzt sie sich mit Firmen und Organisationen auseinander, um Strategien zu entwickeln, mehr Vielfalt im Recruiting aufzubauen. Der Herzenswunsch ihres Teams sei es, zu zeigen: “Wir sind von hier. Deutschsein bedeutet die breite Palette.“ Um diese Anerkennung zu erreichen hätten sie allerdings noch einen langen Weg vor sich.

 

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Andrea Nahles war digital beim 1. Fachkräftekongress zugeschaltet

Jobs verschwinden nicht – auch nicht durch die Digitalisierung

Auch die Debatte um Digitalisierung im Arbeitsmarkt hat sich in den letzten 15 Jahren gewandelt, hierbei liegt der Fokus auf einer Kollaboration zwischen Mensch und Maschine. Menschen werden nicht durch Roboter ersetzt und Jobs verschwinden nicht, sondern verändern sich mit der Zeit. Gerade Innovationen in der Künstlichen Intelligenz können als Werkzeuge gesehen werden, die beispielsweise bei anonymisierten Bewerbungen oder Weiterbildungen helfen. Es sollten mehr digitale Technologien genutzt werden, um mit Menschen in den Austausch zu kommen – egal, ob es sich dabei um digitale Elternabende handelt oder es darum geht, Tätigkeiten auf der Arbeit zu vereinfachen. Wichtig sei auch da, “man muss im Modus des Lernens bleiben. Das ist etwas, was als Kompetenz da sein muss: dass man lernt und dass man wieder lernt,” sagt Andrea Nahles. Heute und in der Zukunft übe man nicht mehr einen einzigen Beruf ein Leben lang aus, stattdessen solle man flexibel und offen bleiben.

Um die Herausforderungen des Fachkräftemangels zu stemmen, heißt es, Verantwortung zu übernehmen und mitanzupacken. Alle Expert*innen waren sich einig, dass es ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Nach dem Auftakt beim 1. Fachkräftekongress der Kultur- und Kreativwirtschaft müssen die einzelnen Aspekte nun tiefergehender betrachtet werden. An der Stelle setzt das Kompetenzzentrum in den kommenden Monaten an: mit der Gründung des Aktionsnetzwerks Fachkräfte und dem Creative Lab, in dem die Ergebnisse aus den Workshops zu den Themenschwerpunkten kompetenzbasiertes Matching (mittels KI) und Recruiting im Rahmen von Fachkräfteeinwanderung & Nachwuchsgewinnung weiterentwickelt werden.

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Andrea Nahles war digital beim 1. Fachkräftekongress zugeschaltet

Credits

Text: Thi Minh Huyen Nguyen

Fotos: Eunice Maurice

Anstehende Veranstaltungen

  1. Panel „Zukunft Fachkräftesicherung“

    27. November

Credits

Text: Thi Minh Huyen Nguyen

Fotos: Eunice Maurice

Künstliche Intelligenz als Werkzeug von Kreativen

Die fortschreitende Digitalisierung verändert tiefgreifend, wie wir leben, arbeiten und auch politisch partizipieren. Eine der großen Herausforderungen unserer Zeit ist, sowohl die politische Teilhabe zu stärken als auch die Demokratie vor digitalen Bedrohungen zu schützen.

Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz wird beispielsweise kreative Teilhabe für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich, indem komplexe Werkzeuge und Techniken auch ohne tiefe Fachkenntnisse genutzt werden können. KI ermöglicht es Menschen aus verschiedenen Hintergründen, ihre kreativen Ideen zu verwirklichen und neue Formen der künstlerischen Zusammenarbeit zu erkunden. Das fördert die Vielfalt und Innovation in der kreativen Landschaft. Gleichzeitig stellt diese Entwicklung die traditionellen Vorstellungen von Urheberschaft und Originalität infrage, da KI-gestützte Kreativität zunehmend die Grenze zwischen menschlicher und maschineller Schöpfung verwischt.

Auch die Fragen, was Kreativität bedeutet und wo die Kernkompetenzen der Kreativschaffenden liegen, werden an Wichtigkeit gewinnen und ihre Antworten sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich bringen. KI ist auf dem heutigen Stand eher nicht „kreativ“ – aber sie verändert kreative Prozesse. Sie kann Kreativschaffende in ihrer Kreativleistung unterstützen, sie erweitern und als Inspirationsquelle dienen.

In unserer Kurzreportage sprechen wir mit den Künstlern Julian van Dieken und Roman Lipski über das Potenzial von KI als künstlerische Muse und Werkzeug, das neue Zugänge und Innovationsprozesse ermöglicht.