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„Game Thinking“ macht ernst

Filmer, Kulturvermittler, Spieleentwickler und Werbefachleute signalisierten nach dem Treffen in Hannover Klärungsbedarf bei der Definition von „Game Thinking“ in Deutschland. Es würden außerdem eine branchenübergreifende Vernetzung, Best-Practice-Beispiele und Botschafter gebraucht. Eine Plattform könnte alles bündeln.

Am Ende haben in Hannover Spaß und Ernst gesiegt: Die Runde aus Gamification-Erfahrenen hat sich nach einem gemeinsamen Workshop am
28. September konkret auf weitere Zusammenkünfte verständigt. Im Vorfeld soll das “Game Thinking“ weiter definiert werden und bestenfalls eine Art Manifest entstehen. Damit wollen die Macher den Umgang mit dem Begriff und der Methode  für Unternehmen und Institutionen, aber auch untereinander vereinfachen. Ziel ist es außerdem, das spielerische Herangehen – das “Game Thinking“ – an Produktentwicklungen und Unternehmens- und Bildungsprozesse als elementar, interdisziplinär und zukunftsorientiert zu vermitteln.

Nachwuchsdesigner Sandro Engel, Gründer von Urban Invention in Hildesheim, war am Ende zufrieden. „Cool. Ich brauchte kein klares Ergebnis. Ich wusste, dass ein paar Feuer angemacht werden.“ Mit seinem Unternehmen gamifiziert er etwa Ampeln mit digitalen Spielen, um Fußgänger zum disziplinierten Warten zu bringen oder koppelt für physiotherapeutische Anwendungen reale Gymnastikbälle mit einem digitalen Laufspiel.

 

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Ganzheitlich denken

„Game Thinking“ gehe weit über das bloße Entwickeln von Spielen hinaus, hielten die versammelten Akteure aus verschiedenen Branchen der Kultur- und Kreativwirtschaft fest. Christoph Brosius, Geschäftsführer und Produzent bei Circumradius in Berlin, hoffte zudem, „dass das, was wir hier anpacken, größer ist als die reine Spielproduktion und ganzheitlicher gedacht wird.“ Das wäre auch im Sinn des Kompetenzzentrums für Kultur und Kreativwirtschaft des Bundes, das zu diesem Zweck die Köpfe der Szene erstmalig eingeladen hatte. Seine Aufgabe ist es, branchenübergreifende Kooperationen anzuschieben. Um diese oft kreativen Einzelkämpfer zusammenzubringen, braucht es eine fundierte Ansprache und erfahrungsgemäß Ausdauer.

Da kam die starke Provokation, mit der der Moderator und Kulturwissenschaftler Lutz Woellert das Treffen eröffnete, gerade richtig: Der Wahlerfolg der AfD bei der Bundestagswahl am Wochenende zuvor sei quasi ein Regelbruch. Sofort waren sich die spielekundigen Teilnehmer einig, dass die Bundestagswahl auch ein „Scheißspiel“ sei und vom Spielaspekt her gesehen „einfach schlecht gemacht“.

Jetzt wirkten alle in dem burgartigen Betongebäude des Co-Working- und Maker-Space Hafven komplett dabei. Es war ihnen förmlich anzusehen, wie sie bei diesem drastischen Beispiel die Auswirkungen des „Wahl-Spiels“ auf die Gesellschaft erkannten. Schnell befanden sie, dass es im Umkehrschluss gut sei, wenn bei interaktiven Prozessen Experten ans Werk gingen. Das war der Aufschlag für eine hoch getaktete Findungsrunde, in die Woellert noch den Appell warf, dass „Game Thinker“ aufgrund ihrer spezifischen Kompetenz an allen Prozessen der Gesellschaft beteiligt sein sollten.

 

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Prediger in der Wüste

Gesucht wurden im Laufe des Workshops Erfahrungen und Sichtweisen in Bezug auf „Game Thinking“. Damit kannten sich die Teilnehmer aus. Sie realisierten bereits analoge und digitale Spielelemente in Schnittstellenprojekten zwischen Teilbranchen. Kulturvermittler Marcus Munzlinger vom Kulturzentrum Pavillon in Hannover erzählte, dass er für eine Veranstaltung erstmal nur ein neues Format gesucht habe. Herausgekommen sei ein digitales Spiel mit historischem Bezug. Den Schritt des „Game Thinking“ an sich hatte er dabei unwissentlich übersprungen. Ähnliches kennt Anna Weisenberger, zuständig für Games beim niedersächsischen Medienförderer Nordmedia. „Ich finde es traurig, dass immer noch eine Erklärung notwendig ist, um Games das Unseriöse zu nehmen.“

Den Weg für die Potenziale des „Game Thinking“ zu bereiten, geht offenbar nur, nachdem Bewusstheit für die Wirkung von spielerischen Prozessen und spielerischen Elementen auf ein Produkt oder einen Prozess geschaffen wurde. Michael Brüning von der Werbeagentur Creativteam Hannover fühlte sich lange wie ein „Prediger in der Wüste.“ Aber gerade jetzt habe er das erste Mal das Gefühl, „dass es im Mittelstand fruchtet.“ Aus seinem Agenturalltag bei TLGG in Berlin weiß Berater und Gamesprofi Marcel Maas allerdings, „dass Gamification kein Allheilmittel ist. Es gibt bestimmte Bereiche, in denen das funktioniert. Außerdem ist die Produktion von Spieleelementen relativ teuer. Insgesamt ist es in Agenturen immer noch Neuland.“ Auch wenn er sich persönlich sehr für Spiele begeistert. Maas betonte, dass neben der Definition auch die Ausbildung bedacht werden müsse. Ein richtiger „Game Thinker“ würde schließlich eine ganze Veranstaltung oder einen Prozess von Anfang an spielerisch denken und nicht nur Elemente daraus. Aber ab wann ist man einer oder wie wird man dazu?

 

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„Game Thinking“ – Level 2, so geht’s weiter

Die Antworten werden sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen – Letztere waren übrigens in der Minderheit – in jetzt verabredeten Folgetreffen noch in diesem Jahr geben. Als dringend wurden eine Definition, eine Sammlung von Beispielen und Botschafter angesehen. Also alles, was weitergetragen werden kann. Was für eine Website, eine Plattform wären dafür passend? Und natürlich sollte das Ganze spielerisch angegangen werden.

Nun gab ein Wort das andere und die, die sonst eigentlich hauptsächlich digital unterwegs sind, beschlossen ausgerechnet, dass man sich untereinander und jeder an jeden Briefe – per Post – mit Statements und Materialien zum Thema schicken wollte. Das Haptische wurde damit spielerisches Element der entstehenden immateriellen Sammlung. Durch das Spielen mit den Optionen demonstrierten die Akteure hier bereits spielerisches Denken und seinen auch verblüffenden Nutzen. Denn der Brief als Kommunikationsmittel wurde unbewusst zum Sinnbild für den Prozess, das weite Feld des „Game Thinking“ greifbarer zu machen.

Anstehende Veranstaltungen

Es gibt derzeit keine bevorstehenden Veranstaltungen.

Credits

Text: Beate Barrein

Fotos: Ole Witt

Cross Innovation mit der Kultur- und Kreativwirtschaft

Die aktuellen Herausforderungen sind so komplex und vielfältig, dass sie nicht von einzelnen Branchen oder Disziplinen allein gelöst werden können. Indem über Branchengrenzen hinweg zusammengearbeitet wird, können neue Ideen entwickelt, Wissen effektiv geteilt und Lösungen geschaffen werden, die nachhaltiger, umfassender und wirkungsvoller sind.

Cross Innovation wird dieser Ansatz bezeichnet, bei dem Innovationen durch den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Branchen und Disziplinen vorangebracht wird. Dazu kommen Akteur*innen aus unterschiedlichen Bereichen, die auf den ersten Blick wenig gemeinsam haben können, zusammen. Sie teilen Wissen, Methoden und Perspektiven miteinander und entwickeln daran anknüpfend neue Lösungen. Durch die Vielfalt an Denkweisen und Kompetenzen werden neue Ideen und innovative Ansätze geschaffen, die in einzelnen Branchen alleine oft nicht entstehen würden und den komplexen Herausforderungen gerechter werden. Zum Beispiel können Methoden aus dem Design oder dem Storytelling auf technische Fragestellungen angewendet werden, um unkonventionelle Lösungen zu entwickeln, oder es werden in kultur- und kreativwirtschaftlichen Kontexten neue Anwendungen für technologische Innovationen aus der Industrie gefunden. Insgesamt hilft Cross Innovation dabei, das Potenzial von Branchen, Unternehmen und Projekten voll auszuschöpfen, indem sie neue Kooperations- und Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet.

Im Magazin beschäftigen wir uns mit der Frage, was Cross Innovation für Vorteile bringt, wo Hindernisse bestehen und wie diese überwunden werden könnten. Für unsere Kurzreportage haben wir daher sowohl Akteur*innen der Branche als auch Michael Kellner, Ansprechpartner der Bundesregierung für die Kultur- und Kreativwirtschaft & Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz zu ihren Gedanken zu Cross Innovation befragt.