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Wissen, was die Zukunft bringt

Die zweite Edition des Science-Fiction-Prototyping-Workshops DO THE FUTURE widmete sich der Frage, wie eine Zukunft im Jahr 2030 aussehen könnte. Welche Rolle spielen dabei Innovationen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft? Inwieweit gestaltet die Branche die greifbare Zukunft bereits heute positiv und wie können diese Ansätze erlebbar gemacht werden? Unter Einsatz kreativwirtschaftlicher Erzähltechnologien begeben wir uns auf eine Reise in fremde Welten, die mit dem FICTION FORUM das ganze Jahr 2019 über fortgesetzt werden wird.

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Im Jahr 2025, eine Stadt wie Duisburg. Auf den Äckern der City-Hochhausdächer ziehen, wie von Geisterhand gesteuert, landwirtschaftliche Maschinchen ihre Bahnen; sie säen, düngen, ernten und pflügen. Unten, auf den breiten Radwegen zwischen den Häuserschluchten – Autos mit Benzin- oder Dieselmotor dürfen seit Jahren nicht mehr in die Innenstadt – nehmen Sensoren die Reibungsenergie der Velos auf und speisen sie wieder ins Stromnetz ein. Hier, umgeben von den Wahlplakaten der national-radikalökologischen Sonnenblumenpartei, wohnen jene Duisburger, die gute Arbeit haben und sich das Leben in der Stadt noch leisten können. Die Digitalisierungs-Verlierer dagegen, die Heloten der Data Society, hausen in heruntergerockten Vororten. Sie beziehen ein bedingungsloses Grundeinkommen, treten dafür aber jegliches Verfügungsrecht über ihre Daten an den Staat und die Internetkonzerne ab. Viele tragen den ganzen Tag über VR-Brillen, die ihnen ursprünglich von der Arbeitsagentur zur Verfügung gestellt wurden, um neue Jobs virtuell zu erkunden. Jetzt liefern sie ein nicht endendes, auf die persönlichen Präferenzen perfekt zurechtgeschnittenes Entertainment-Programm, das primär der sozialen Ruhigstellung dient.

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Ein bedrückendes Szenario, ganz zu Anfang kreiert von Teilnehmer*innen der zweiten Auflage des Science-Fiction-Prototyping-Workshops „Do The Future“ des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes. Ziel des von Matthias Leitner (Leitung des Storytelling Labs des Bayerischen Rundfunks) und der Spiel-Designerin und Co-Initiatorin von Invisible Playground Christiane Hütter konzipierten Formats – eine Synthese von Methoden der Zukunftsforschung, des Storytelling und des Game Design – war es, insbesondere neue Narrative zu Zukunftsszenarien zu entwickeln und Kernkompetenzen der Kultur- und Kreativwirtschaft erlebbar zu machen. Es ging – ähnlich wie beim Prototypen eines neuen Automobils – ums Testen, Ausloten und Ausprobieren: Wie funktioniert das gemeinsame Bauen von Zukunftsszenarien in der Praxis? Wie tief lassen sich die Teilnehmer auf die von ihnen gebauten imaginären Welten ein? Und wo sind die Fallstricke?

Wie funktioniert das gemeinsame Bauen von Zukunftsszenarien in der Praxis? Wie tief lassen sich die Teilnehmer*innen auf die von ihnen gebauten imaginären Welten ein? Und wo sind die Fallstricke?

Beim Start in ihre Science-Fiction-Welt schlüpften die Workshop-Teilnehmer*innen in die Rolle von Avataren – im Duisburger Beispiel die Ingenieurin eines Energieunternehmens, das bislang an den Klimazielen gescheitert ist; ein Verwaltungsangestellter, der die Digitalisierung seiner Behörde vorantreiben soll; ein Politiker einer radikalökologischen, rechtspopulistischen Partei, für den der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen absolute Priorität hat; eine Architektin mit vielen progressiven Ideen, aber wenigen Aufträgen und zu guter Letzt ein Kettensägenfabrikant, dessen angestammtes Geschäft in die Krise gerutscht ist und der deshalb jetzt auf Smart Gardening und Smart Farming umschwenkt. Industriebrachen und Dächer nutzt er als Entwicklungslabor für autonom fahrende, intelligente roboterisierte Helfer, die allesamt miteinander vernetzt sind und untereinander kommunizieren.

Zu Beginn werden die Avatare mit gesellschaftlichen Megatrends wie „Urbanisierung“ und „Globalisierung“ konfrontiert – Vorgaben der Workshop-Macher*in für die Kreation der Phantasiewelten. Dann beginnen sie, ausgehend vom Jahr 2019, ihre Welten zu errichten – in Gedanken, Worten und Werken, letzteres nach dem bewährten Prinzip der „denkenden Hände“ unter Einsatz von Knetgummi. Auch die Art der Entscheidungsfindung in der fiktiven Gesellschaft muss noch beschlossen werden. Wer befindet beispielsweise darüber, ob es im Jahr 2025 ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt? Oder ob sich das mittelständische Food-Unternehmen des Avatars Dieter Reingold auf rein ökologisch und regional erzeugte Babybreie spezialisiert? Entscheiden alle Avatare gemeinsam, also streng basisdemokratisch? Oder gibt es einen wohlmeinenden Diktator? Und wenn ja – hat immer der gleiche Avatar das Sagen oder geht es reihum?

Manchmal sind die Workshop-Teilnehmer*innen hinter den Avataren fast erschrocken von der Radikalität ihrer eigenen Gedanken und Entscheidungen.

Manchmal sind die Workshop-Teilnehmer hinter den Avataren fast erschrocken von der Radikalität ihrer eigenen Gedanken und Entscheidungen. In Duisburg beispielsweise, wo die Data Society zu einer Spaltung der Gesellschaft in digitale Elite und pauperisierte Heloten führt, befindet der städtische Verwaltungsangestellte: „Wer als Arbeitslose*r die Herausgabe seiner*ihrer Daten verweigert, gibt doch ein klares Signal, dass er*sie nicht arbeiten will. Damit verwirkt er auch das Recht, mit einem Grundeinkommen alimentiert zu werden.“ Die anderen Avatare nicken zustimmend.

Die Immersion in die Erlebens- und Gedankenwelt der Avatare empfindet das Gros der Teilnehmer*innen als geradezu elektrisierend. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich so in diese Zukunftswelt eintauchen kann“ – so oder ähnlich heißt es bei der abschließenden Feedbackrunde immer wieder. Auch dass die Welten nicht nur gedacht, sondern – mit Hilfe der Knete – tatsächlich gebaut und modelliert werden, findet großen Zuspruch: „Man kommt so richtig ins Machen.“

Und darum geht es genau beim Science Fiction Prototyping: In die Lage versetzt zu werden die ungewisse Zukunft erfahrbar und einschätzbar zu machen. Das Prototyping soll seine Anwender*innen befähigen in Unternehmen strategisch richtige Entscheidungen zu treffen. KI, Energiewende und neue Arbeit heute so einzusetzen, dass sie im Sinne des Wachstums, der Wertschöpfung und ihrer Verantwortung  eingesetzt werden. Veranstaltungsformate wie das des Science-Fiction-Prototyping-Workshops sind ein Instrument, mit dem das Kompetenzzentrum Akteur*innen verschiedenster Professionen die Gelegenheit bietet, die Kernkompetenzen der Kultur- und Kreativwirtschaft an Schnittstellen zu erleben und für sich zu nutzen. Schließlich bitten Game-Thinking und Creative-Thinking ganz neue Ansätze für einen produktiven Umgang mit zukünftigen Herausforderungen.

In der fiktiven Welt kommt der Einschlag, der alles verändert,  zur Halbzeit des Workshops, im Jahr 2025 . Globale Katastrophen, sogenannte X-Events, erschüttern die sorgsam konstruierten Gesellschaftsgebäude. Eine weltweite Hungerkatastrophe. Ein globaler Finanzcrash. Der totale Zusammenbruch des Internet inklusive sämtlicher Server. Wie durchkreuzt das die Pläne der Avatare? Wie werden sie ihre Strategien modifizieren? Wie wandeln sich die Welten? Kollabieren sie? Oder kommen sie mit dem Schock klar? Welche Überlebensstrategien werden entwickelt?

Die Immersion in die Erlebens- und Gedankenwelt der Avatare empfindet das Gros der Teilnehmer*innen als geradezu elektrisierend. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich so in diese Zukunftswelt eintauchen kann“.

In Duisburg geht in der ersten Zeit nach „Digital Darkness“ so gut wie nichts mehr. Die globalen Warenströme sind versiegt, nicht einmal die Stromversorgung funktioniert. Verzweifelt ruft der Kettensägenfabrikant: „In den letzten zehn Jahren hab ich nur noch KI-Spezialist*innen eingestellt, damit sie intelligente Pflüge und Mähdrescher entwickeln – was mach ich jetzt mit den Maschinen ohne Internet, wo sie nicht mal mehr auf die Wetterdaten von Google zugreifen können?“

Die drastischen Folgen der „Digital Darkness“ werden den Avataren sofort klar. „Das ist schlimmer als eine Atomkatastrophe“, meint die Architektin. Gesetzlosigkeit, Revolte, Terror und Plünderungen drohen – wenn nicht eingegriffen wird. „Polizei und Armee müssen mit vorgehaltener MP dafür sorgen, dass die Leute sich nicht gegenseitig umbringen und dass die knappen Nahrungs- und Arzneimittelvorräte gesichert werden“, befindet der Kettensägenfabrikant. „Es muss schnell klar werden, dass Plünderer*innen sofort erschossen werden.“ Die Verwaltung gibt derweil Lebensmittelkarten heraus und sorgt für die Verteilung des Nötigsten. Man habe die X-Events bewusst so konzipiert, erklärt Matthias Leitner, „dass die Avatare fast zwangsläufig Mittel einsetzen, die einem ansonsten völlig zuwider sind“. Kommentar eines der Duisburger Avatare zum Schießbefehl auf Plünderer*innen: „Das ist ja alles schlimm, aber waren die Zustände in der Data Society nicht viel totalitärer – nur haben die Menschen es nicht so direkt gespürt?“

Doch wie geht es weiter, nachdem die unmittelbare Krise bewältigt ist? Auf welche Tugenden besinnt man sich? Versteckt sich in der Krise auch eine Chance? Bauen die Avatare möglichst schnell alles wieder so auf, wie es vor dem Crash war? In allen drei fiktiven Welten entscheiden sich die Teams gegen diese Option. Unternehmer Dieter Reingold etwa stellt seine Babybreifabrik – nach der knapp überwundenen weltweiten Nahrungsmittelknappheit – auf die Produktion eines Nahrungspulvers aus Algen und Insekten um, das mit Drohnen an die Bürger*innen verteilt wird. In Duisburg entstehen lokale Netzwerke, weil sie schneller wieder funktionieren und widerstandsfähiger gegen externe Einschläge sind als globale. In der Stadtverwaltung bastelt eine Rebellengruppe an einem dezentralen Internet. Nachbarschaften zuvor entfremdeter Bürger*innen praktizieren Solidarität. „Jeder muss seine Fähigkeiten einsetzen, damit die Leute nicht auf der Straße verhungern“, heißt es. Handwerkliche Fertigkeiten sind gefragt. „Die Handwerker sind die neuen Hipster.“ Wer kann tauschen? Ansätze einer Sharing Economy kommen zum Vorschein. An jeder Haus- und Wohnungstür, auch beim ehemals ruhiggestellten Vorstadt-Prekariat, hängt ein Schild mit den Fertigkeiten der Bewohner*innen. Weizen und Rotkohl auf den Dächern werden weiterhin geerntet – vorübergehend halt mit Sense und Hacke. Die Energieversorgung wird auf lokale Netzwerke umgestellt – natürlich ausschließlich aus regenerativen Quellen. Im Jahr 2031 ist Duisburg energieautark. Außerdem entstehen Initiativen, die soziale Spaltung zu überwinden: „Wir brauchen Zentren, in denen die Menschen wieder lernen, vernünftig miteinander zu reden“, schlägt die Architektin vor. Eine „Mensch-zu-Mensch-Universität“ wird eingerichtet.

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In allen drei Fällen geht das fiktive, durch das X-Event herausgeforderte Gemeinwesen letztlich gestärkt aus der Krise hervor – ganz wie in der klassischen „Heldenreise“ nach dem Muster des amerikanischen Mythenforschers Joseph Campbell, die großen Einfluss in Literatur und Film erlangt hat: vom anfänglichen Ruf des Abenteuers bis zum glorreichen Finale, in dem der*die Held*in die Welt zu neuer Freiheit führt.

Gemeinsam mit Matthias Leitner und Christiane Hütter wird das Kompetenzzentrum den Prototypen des Science-Fiction-Workshop weiterentwickeln: „Wir möchten das Format dahingehend noch weiterentwickeln, dass es sich auch in der strategischen Unternehmensentwicklung einsetzen lässt“, erläutert Anne Kammerzelt, die das Projekt Fiction Forum verantwortet. „Gerade auch im unternehmerischen Handeln ist die Zukunft nur bedingt absehbar und müssen viele Entscheidungen unter großer Unsicherheit gefällt werden, sodass ein Austesten von Zukunftsszenarien mit kreativwirtschaftlichen Erzähltechniken im geschützten Workshop-Raum sehr hilfreich sein kann.“

Was im Kleinen während des Praxisworkshops erprobt wurde, wird über das ganze Jahr 2019 eine Fortsetzung und Weiterentwicklung im FICTION FORUM des Kompetenzzentrums erfahren. Denn auch in seinem Rahmen werden Fragen nach der Zukunftsgestaltung unter Einbezug von Innovationen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft verhandelt werden. Narrative und kreative Technologien der Kultur- und Kreativwirtschaft sollen dort branchenübergreifend erlebbar und zielgruppenspezifisch vermittelt werden, um so ihre Unabdingbarkeit für die Beantwortung zukünftiger gesellschafts- wie wirtschaftspolitischer Fragestellungen darzustellen.

Die große Erzählung von der Zukunft hat gerade erst begonnen.

Das sagen die Autoren

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Anstehende Veranstaltungen

  1. Wissenschaftliche Fachkonferenz 2024: Berufsbilder der Kultur- und Kreativwirtschaft im Wandel

    19. März, 10:00 - 16:15
  2. Schulterblick des Creative Labs #7 Kreislaufwirtschaft

    5. April, 16:00 - 21:00

Credits

Text: Andreas Molitor

Fotos: Laura Müller

Wie trägt Kultur- und Kreativwirtschaft zu mehr Kreislaufwirtschaft bei?

Prinzipien aus der Natur abzuschauen hat schon viele Erfindungen hervorgebracht. Insbesondere Kreislaufsysteme der Natur sind Vorbilder für ein nachhaltigeres Leben. Die Umgestaltung unserer Wirtschaft zu einem kreislaufwirtschaftlichen System stellt jedoch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar, die nur branchenübergreifend und ganzheitlich gelöst werden kann. Im Unterschied zum deutschen Begriff „Kreislaufwirtschaft“, der sich auf den Umgang mit Abfall fokussiert, ist der englische Begriff „Circular Economy“ (also „zirkuläres Wirtschaften“) bereits viel weiter gefasst und betrachtet das gesamte Produktsystem. Hier geht es um durchdachte Kreisläufe von Anfang an, die bereits beim Design von Produkten beginnt.

Innovative Ideen und praktische Ansätze für zirkuläres Wirtschaften finden sich schon seit Jahren in der Kultur- und Kreativwirtschaft, zum Beispiel in der Architektur, im Produkt- und Materialdesign, der Film- und Veranstaltungsindustrie sowie dem Modemarkt. Viele Beispiele werden Sie in diesem Magazinschwerpunkt kennenlernen können

In unserer Kurzreportage zur Kreislaufwirtschaft haben wir diesmal mit Architekt*innen Sandra Düsterhus (Point.Architektur) und Martin Haas (haascookzemmrich) über die Ansätze bei ihren Projekten in der Außen- und Innenarchitektur gesprochen und was der Fokus auf Kreislaufwirtschaft auch für die Gestaltung bedeutet.