Zukunft der Gesellschaft

Experimente und Irritationen

Wir brauchen neue Kooperationen für die Gestaltung des Wandels. Im Workshop „Zukunft der Gesellschaft“ haben wir Kreative, die sich auf Techniken und Methoden sozialer und kultureller Innovationen spezialisiert haben, mit Akteuren zusammengebracht, die Gesellschaft gestalten.

Wenn es eine Erkenntnis aus dem Brexit, den Wahlen in den USA und dem Erstarken der rechtspopulistischen Parteien in Europa gibt, so sicherlich diese, dass die Menschen wieder mehr mitgenommen und beteiligt werden müssen. Doch wie macht man das erfolgreich? Wie kommen wir wieder miteinander ins Gespräch? Und welche Rolle spielt dabei die Kultur- und Kreativwirtschaft mit ihren innovativen Methoden und Techniken?

Eine ganz entscheidende, meint Karin Ellmer von der Designwerkstatt Coburg. „Ich halte die Kultur- und Kreativwirtschaft für die Schlüsselbranche der Zukunft“, sagt sie. Und um nichts weniger geht es an diesem Tag im Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes nämlich – um die Zukunft, die „Zukunft der Gesellschaft“. Rund 30 Akteure sind nach Berlin gekommen – Kreative aus verschiedenen Branchen treffen auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Stiftungen, Verbänden und Netzwerken, wie Goethe-Institut, Stiftung Mercator, openPetition, coopolis, Deutscher Journalisten-Verband, Stadtkultur Netzwerk Bayerischer Städte e.V. und dem Verein Tempelhofer Berg.

Zukunft der Gesellschaft
Zukunft der Gesellschaft
Zukunft der Gesellschaft
Zukunft der Gesellschaft
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Joscha Lautner

Es geht darum, an der Schnittstelle von Kultur- und Kreativwirtschaft und Gesellschaft Modelle und Ansätze für neue Wege der Meinungsfindung zu entwickeln. Ein Rezept für das Kollaborieren dieser beiden Bereiche gibt es nicht. „Wir haben keine Checkliste“, sagt Andrea Augsten, die zu Beginn einen Design Thinking-Impuls gegeben hat. „Einfach anfangen zu gestalten.“

Wie Orte und Formate für Kollaboration aussehen können, beschreibt Joscha Lautner vom Impact Hub München. Da gibt es so schlichte Formate wie „Sexy Salads“ und „Cakes’ Giving“, bei dem gemeinsam Essen zubereitet und diskutiert wird oder mit einem Kuchen auf dem Tresen aufgerufen wird, zusammen an einer Fragestellung zu arbeiten. „Kollaboration ist ein Experiment. Man weiß nie, was dabei herauskommt.“

Aber damit kennen sich die Akteure der Kultur- und Kreativwirtschaft aus. So auch die Autorin und Game-Designerin Christiane Hütter, die spielerische Formate für Menschen in der urbanen Gesellschaft entwickelt. Wie ein solcher experimenteller Erfahrungsraum aussehen kann, hat sie beispielsweise bei ihrem Spiel „Fertigmachen zum Weltübergang!“ bei der Langen Nacht der Ideen in Berlin gezeigt, über das sie im Workshop erzählt. Meinungen und Möglichkeiten wurden getauscht und somit kulturelles Kapital vermehrt.

Eva Kiltz

„Wir befinden uns in einem rasanten Wandel, der nach neuen Formen der Meinungsbildung, der Zusammenarbeit und vor allem der gemeinsamen Gestaltung verlangt.“

Eva Kiltz
Transfermanagerin Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Und genau für diesen Austausch waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch zum Workshop gekommen. Um neue Impulse und Lösungsansätze für aktuelle Fragestellungen zu erhalten. „Wir befinden uns in einem rasanten Wandel, der nach neuen Formen der Meinungsbildung, der Zusammenarbeit und vor allem der gemeinsamen Gestaltung verlangt“, beschreibt Transfermanagerin Eva Kiltz, die den Workshop organisiert hat, die Ausgangssituation. Eigentlich keine schlechte Voraussetzung, um sich selbst einzubringen, zu beteiligen und zu gestalten. Und manchmal gelingt dies auch, wie zum Beispiel die Facebookgruppe #Ichbinhier zeigt. Die von dem Hamburger Hannes Ley gegründete Gruppe ist innerhalb weniger Monate auf mehr als 35.000 Mitglieder angewachsen. Ihre Mission: gegen Hasskommentare und Hetze im Internet vorzugehen – mit freundlichen und sachlichen Kommentare. Hier wird also nicht über Counterspeech geredet, sondern umgesetzt. Ein anderes Beispiel ist die Aktion „Deutschland spricht“ von Zeit Online, bei der am 18. Juni 1200 Menschen mit jemand diskutiert haben, der politisch anders denkt als sie.

Was dennoch fehlt, ist ein „übergreifender Dialog“, merkt Eva Kiltz an. „Dieser fand früher im Kleinen in der Eckkneipe, im lokalen Chor oder beim Brötchenkaufen statt. Hier wurde über die Deutungshoheit dessen, was die Leitmedien berichteten, diskutiert und auch gestritten. Kneipe, Laienchor, Bäcker, das alles sind aussterbende Gattungen, besonders in ländlichen Regionen.“ Aber wie erreiche ich die Menschen wieder, die ich sonst nicht erreiche? Das war eine der Fragen, mit denen sich die Workshop-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer beschäftigten. Bereits bei der Gestaltung des Ablaufs wurde ein Schwerpunkt auf kollaborative und interaktive Formate gelegt, die es ermöglichen, das Thema aus verschiedenen Perspektiven zu diskutieren und die Fähigkeiten und Herangehensweisen möglichst vieler Teilnehmer erfahrbar zu machen, „ohne in weltanschauliche Debatten über Tagespolitik zu geraten“, so Eva Kiltz.

Zukunft der Gesellschaft
Zukunft der Gesellschaft
Zukunft der Gesellschaft
Workshop Zukunft der Gesellschaft

In den knapp gehaltenen World-Café-Runden ging es dann auch darum, wie wir in der Zukunft als Gesellschaft zusammenleben wollen, mit welchen Formaten wir demokratisch gesellschaftliche Grundwerte und Gemeinwesen sichtbar machen, wie das kreative Potenzial im ländlichen Raum gestaltet und sichtbar gemacht werden kann, wie ein kollaborativer Gestaltungsprozess am ehemaligen Flughafen Berlin-Tempelhof aussieht und wie ein regelmäßiger interdisziplinärer Austausch zwischen der Kultur- und Kreativwirtschaft und gesellschaftlichem Engagement stattfinden kann.

Dass dies nur über ein stabiles landesweites Netzwerk möglich sei, waren sich alle einig. „Es muss einen Ort geben, an dem man sich trifft“, betonte Sabine Hentzsch vom Hauptstadt-Büro des Goethe-Instituts. „Die persönliche Begegnung ist wichtig.“ Aber auch ein Name und ein Claim zur Identifikation müssten her, so Leonie Pichler. Und möglichst wenig Bürokratie.

Vielleicht auch ein entscheidender Punkt für die weiteren Überlegungen zum Tempelhofer Feld. Denn wer setzt sich schon gern mit Verwaltungswirrwarr auseinander? „Der Konflikt zwischen Bürgerschaft und Verwaltung ist nicht mit herkömmlichen Mitteln zu lösen“, ist sich Evelyn Bodenmeier, Verfahrenskoordinatorin Tempelhofer Feld, sicher. Querdenken sei jetzt gefragt.  „Sexy selling ist wichtig!“ Deshalb entstand beim Workshop die Idee eines Planspiels für Bürger und Verwaltung, der einen Perspektivenwechsel möglich macht. Und wer könnte dieses Querdenken besser als die Akteure der Kultur- und Kreativwirtschaft? Wie zum Beispiel die Theatermacherin Leonie Pichler von Bluespots Productions, für die Theater kein Raum ist, sondern eine Methode: „Wir wollen blaue Flecken produzieren. Wir wollen nicht unterhalten, sondern in Erinnerung bleiben.“

Verena Ringler

„Wir brauchen solche Experimente und Irritationen, um das Gemeinwesen von morgen denken zu können.“

Verena Ringler
Projektmanagerin der Stiftung Mercator

„Sie haben die Erlaubnis zu experimentieren qua ihrer Branchenzugehörigkeit“, sagt Verena Ringler, Projektmanagerin der Stiftung Mercator. „Wir brauchen solche Experimente und Irritationen, um das Gemeinwesen von morgen denken zu können. Das ist wie Akupunkturpunkte.“ Kultur- und Kreativwirtschaft müsse dort wirken, wo Konflikte stattfinden oder auch Gesetzgebung. „Wir müssen das Bewusstsein stärken, dass aus der Branche Lösungen entwickelt werden können, die uns helfen, die Zukunft zu bewältigen“, betont auch Dr. Christine Fuchs vom Stadtkultur Netzwerk Bayerischer Städte e.V.

Wie kann das gelingen? Zum Beispiel mit „Transferpiloten“, die die Kultur- und Kreativwirtschaft und die politische Ebene zusammenbringen.  Aber auch über die Angebote der Kultur-und Kreativwirtschaft, um das Verständnis für die Potenziale der Branche für Verwaltung, Politik, Gesellschaft durch Mentorenschaft zu verstärken. Erfahrungswissen aus den verschiedenen Branchen kann so auch für Institutionen und Verantwortliche zugänglich gemacht werden, die bisher keine Berührung mit Formaten und Prozessen der Kultur- und Kreativwirtschaft hatten. Die Branche bietet hier wertvolles Methoden- und Erfahrungswissen an und kann als wichtiger Mittler eingesetzt werden, um in oft noch sehr traditionell organisierten Strukturen neue Angebote zur Kollaboration zu machen

Zum Beispiel auf einem Festival für Demokratie, um einen Ort zu schaffen, der den Grundwerten und Grundlagen unserer Gesellschaft gewidmet ist, der das Verhandeln und Miteinander, wie es das Parlament und die Parteien anwenden, erlebbar und anfassbar macht.

Oder auch mit Tandems aus Bürgermeistern oder Ortsvorstehern und Kreativen, um neue Ideen für einen „Wissenstransfer“ im ländlichen Raum zu entwickeln, damit die Regionen nicht weiter benachteiligt werden. Alles Ideen aus dem Workshop.

„Ich bin überrascht, wie viele Akteure der Kultur- und Kreativwirtschaft über ihre Arbeit hinaus einem Gestaltungsauftrag folgen, den ich durchaus als politisch bezeichnen würde“, sagte Joscha Lautner vom Impact Hub in München. Und Eva Kiltz ergänzt: „Ich freue mich sehr darüber, dass nicht nur großes Interesse an der Zusammenarbeit von allen beteiligten Institutionen signalisiert wurde, sondern an vielen Stellen bereits miteinander gearbeitet wird.“

„Weitermachen“, „Themen vertiefen“, „weiter interdisziplinär arbeiten“ steht am Ende des Tages auf vielen bunten Post-Its. Bei diesem ersten Treffen soll es nicht bleiben. Denn wie Moderator Matthias Leitner zusammenfasst: „Die Ergebnisse sind keine fertigen Lösungen für die Zukunft oder die Gesellschaft, sondern eine gemeinsame Ebene für ein neues Netzwerk oder einen skizzierten Weg.“

Credits

Text: Bianca Loschinsky, Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Fotos: Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Anstehende Veranstaltungen

Es gibt derzeit keine bevorstehenden Veranstaltungen.

Credits

Text: Bianca Loschinsky, Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Fotos: Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Künstliche Intelligenz als Werkzeug von Kreativen

Die fortschreitende Digitalisierung verändert tiefgreifend, wie wir leben, arbeiten und auch politisch partizipieren. Eine der großen Herausforderungen unserer Zeit ist, sowohl die politische Teilhabe zu stärken als auch die Demokratie vor digitalen Bedrohungen zu schützen.

Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz wird beispielsweise kreative Teilhabe für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich, indem komplexe Werkzeuge und Techniken auch ohne tiefe Fachkenntnisse genutzt werden können. KI ermöglicht es Menschen aus verschiedenen Hintergründen, ihre kreativen Ideen zu verwirklichen und neue Formen der künstlerischen Zusammenarbeit zu erkunden. Das fördert die Vielfalt und Innovation in der kreativen Landschaft. Gleichzeitig stellt diese Entwicklung die traditionellen Vorstellungen von Urheberschaft und Originalität infrage, da KI-gestützte Kreativität zunehmend die Grenze zwischen menschlicher und maschineller Schöpfung verwischt.

Auch die Fragen, was Kreativität bedeutet und wo die Kernkompetenzen der Kreativschaffenden liegen, werden an Wichtigkeit gewinnen und ihre Antworten sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich bringen. KI ist auf dem heutigen Stand eher nicht „kreativ“ – aber sie verändert kreative Prozesse. Sie kann Kreativschaffende in ihrer Kreativleistung unterstützen, sie erweitern und als Inspirationsquelle dienen.

In unserer Kurzreportage sprechen wir mit den Künstlern Julian van Dieken und Roman Lipski über das Potenzial von KI als künstlerische Muse und Werkzeug, das neue Zugänge und Innovationsprozesse ermöglicht.