Dinge, die zu nichts mehr nutze sind?

Ohne Storytelling bist du nichts

Der Schlüssel wieder besser, anders oder überhaupt wahrgenommen zu werden, liegt darin, ein neues Storytelling zu kreieren. In unserem Medienworkshop haben wir Geschichtenerzähler unterschiedlicher Branchen mit ihrem 6. Sinn für Leerstellen und Freiräume zusammengebracht. Ging da was?

Das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes hat zu einem Workshop zum Thema „Geht da noch was? Ohne Storytelling bist du nichts“ in seine schönen Räume in unmittelbarer Nähe zur Friedrichstraße geladen. Das deutsch-türkische Online-Magazin renk. ist Kooperationspartner und so hat Melisa, die Herausgeberin des Magazins, zwei ihrer Autorinnen, Seyda und mich, kurzerhand mitgebracht. Ich bin neugierig auf die anderen Teilnehmer und weiß noch nicht so recht, was mich in den nächsten Stunden an diesem verregneten Donnerstag erwartet. Im Vorbereitung auf den Workshop waren wir darum gebeten worden, einen Gegenstand mitzubringen, von dem wir glauben, dass er zu nichts nutze ist. Ich hatte hektisch meine Wohnung abgesucht, aber nichts Passendes gefunden, da ich erst vor wenigen Wochen umgezogen bin und vorher kräftig ausgemistet habe.

Die Vorstellungsrunde

Bei der Vorstellungsrunde lerne ich die anderen Teilnehmer und ReferentInnen kennen und bin beeindruckt: Von JournalistInnen aus interessanten Online- und Print-Redaktionen (wie Edition F oder Krautreporter) über Start-up-GründerInnen bis zu einem „Animateur zum Andersdenken“ sind lauter spannende Menschen dabei. Fast alle haben auch einen Gegenstand mitgebracht, der zu nichts mehr nutze ist: Da werden ausgediente Handys aus den Taschen hervorgeholt, eine Zahnbürste mit Steckkopf, den es aber nicht mehr zu kaufen gibt, sowie das eine oder andere Souvenir aus dem letzten Urlaub – nutzloses Zeug eben. Was damit passiert, erfahren wir später.

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Der Einstieg

Zum Einstieg in den Nachmittag gibt es eine kurze Einführung von Melisa Karakus, der Herausgeberin von renk. Sie stellt ihre sieben wichtigsten Regeln zum Storytelling vor, die sie aus ihren eigenen Erfahrungen mit der Gründungsgeschichte von renk. entwickelt hat. Idee, Motivation, Spannungsbogen und Zielgruppe sind nur einige davon, die uns zum Nachdenken über dieses Thema anregen.

Im Anschluss folgen drei kurze Impulsvorträge von ReferentInnen mit verschiedenen Blickwinkeln: Felicia Reinstädt, Projektleiterin des Radioformats Bremen Next von Radio Bremen, präsentiert diverse medial umgesetzte Arten von Storytelling: Da gibt es z.B. die „Multimedia Stories“ (oder auch longreads) – aufwendig recherchierte, informative Texte zu einem bestimmten Thema mit animierten Bildern, kleinen Clips und  eingebundenen Graphiken. Oder die „Data Stories“, die alltägliche Polizeimeldungen auswerten und für den Leser interessant mit Grafiken und Bildern aufbereiten.

Den „Audio Stories“ (Podcasts) schreibt sie ein großes Potenzial zu, das bisher noch nicht voll ausgeschöpft wurde und wo noch Luft nach oben ist. Und auch die sogenannten „Picture Stories“ sind eine neue Art der Nachrichtenvermittlung, der sich zum Beispiel die Tagesschau seit Kurzem bedient: Starke, gut fotografierte Momentaufnahmen mit einer kurzen, informativen Geschichte dahinter kommen heutzutage besser beim User an als eine schnöde Nachrichtenmeldung.

Wie kann man Menschen wieder motivieren, sich für Demokratie zu interessieren und ihre Partizipation an der Gesellschaft bewusst anzugehen?

Der Konzeptkünstler und Sozio-Designer Norbert Krause versteht sich als „Animateur zum Andersdenken“ und ist der nächste Impulsgeber. Er kommt aus Mönchengladbach, wo er seit vielen Jahren mit seinen ungewöhnlichen Aktionen im öffentlichen Raum Dinge ad absurdum führt und gesellschaftliche Prozesse beschleunigt oder diese erst möglich macht – alles mit viel Humor und Spaß, versteht sich. So musste zum Beispiel das Stadttheater Mönchengladbach nach erfolglosen Protesten aus der Bevölkerung 2012 dem Bau einer Shoppingmall weichen. Norbert Krause nahm dies zum Anlass, ein Schild mit der Aufschrift „Die letzte Ehre“ sowie einen kleinen roten Teppich vor dem Eingang des Theaters aufzustellen – 150 Bürger kamen, stellten sich geduldig in die Reihe und nahmen Abschied von „ihrem“ Theater. Mit seiner unkonventionellen Art der Herangehensweise an Themen möchte er heute eine der Gruppen bei der Konzeptfindung unterstützen.

Christoph Brosius ist Spieleentwickler und hat mit seinem Team u.a. das Therapietool RADIUS entwickelt, das Klienten und Therapeuten während der nachstationären Behandlung unterstützt. Er macht uns die Merkmale von Spielen deutlich: Sie haben Aktivität, Regeln und Ziele, aber auch Konflikte. Also alles, was man für gutes Storytelling braucht, sodass auch er einer der Gruppen mit seiner Sichtweise auf ein Thema helfen kann.

Die Gruppenarbeit

Nach diesen interessanten Denkanstößen geht es dann endlich in die Gruppenarbeit. Vorher muss aber noch ein Thema gefunden werden, das wir alle anschließend in drei Gruppen bearbeiten wollen. Nach einigen Vorschlägen gewinnt mit deutlicher Mehrheit das Thema das Jahres: die Bundestagswahl 2017. Wir finden uns in den Gruppen zusammen und nehmen uns viel vor für die nächsten knapp zwei Stunden: Es sollen Konzeptansätze für Formate entwickelt werden, mit denen man die Menschen zu diesem Thema erreichen kann.

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Rein intuitiv zieht es mich zu der Gruppe von Felicia Reinstädt, da mir ihr Vortrag gut gefallen hat und mich das Medium Fernsehen aufgrund meiner eigenen Biographie (Schauspielerin) am meisten reizt. In der Kleingruppe legen wir gemeinsam die Zielgruppe fest, die wir ansprechen wollen. Das ist nicht ganz einfach, denn wie uns auffällt, gibt es da sehr viele spannende Zielgruppen: die Bildungsfernen, die Nichtwähler, Kinder und Jugendliche, Migranten und Geflüchtete… Nach einigem Hin- und Her einigen wir uns auf die „politisch Frustrierten“, die sich abgehängt, von den PolitikerInnen verraten und auf der Strecke geblieben fühlen.

Wie kann man diese Menschen wieder motivieren, sich für Demokratie zu interessieren und ihre Partizipation an der Gesellschaft wieder bewusst anzugehen? Welche Art von Format muss es sein, damit man diese Menschen zum Nachdenken und Reflektieren bewegen kann? Wir sind der Meinung, dass es ein Vorabendformat im öffentlich-rechtlichen Regionalfernsehen sein sollte, welches genügend Interaktion über den Facebook-Kanal ermöglicht. Dann geht es ans Brainstormen, und es ist erstaunlich, wie viele Konzeptansätze wir in den gut 90 Minuten entwickeln – gut zehn verschiedene Ideen stehen am Ende auf dem Flipchart. Nach einer kurzen Abstimmung einigen wir uns auf den „Demokratie-Container“: Eine regionale Elefantenrunde trifft auf lokale Gruppen und für 48 Stunden à la Big Brother oder Dschungelcamp gibt es dann Lokalpolitiker hautnah zum Anfassen mit Spielen, Diskussionen und Alltagslangeweile.

Die Präsentation der Ergebnisse

Bei der anschließenden Präsentation sehen wir, dass auch die anderen zwei Gruppen fleißig waren: Die Gruppe um den Spieleentwickler Christoph Brosius möchte ebenfalls die Zielgruppe mit „AfD-Wähler-Potenzial“ ansprechen und hat sich dafür ein Spiel überlegt mit dem Titel „Talk to them“. Ziel soll sein, dass jeder Teilnehmer vor der Bundestagswahl mit möglichst allen Parteien gesprochen und sich über deren Ziele informiert hat – um dann am 24.9. diesen Jahres ganz bewusst in die Wahlkabine zu gehen. Über Rollenspiele sollen auch die Perspektiven verändert werden, damit eine Bewusstseinswerdung erreicht werden kann.

Es ist erstaunlich, wie sehr man plötzlich „anders“ denken und auf diese Weise festgetretene „Trampelpfade“ im Gehirn verlassen kann.

Und Norbert Krause hat mit seiner Gruppe die Frage danach aufgelöst, warum wir Gegenstände mitbringen sollten, von denen wir glauben, dass sie nutzlos sind: Die TeilnehmerInnen hatte die Aufgabe, immer zwei dieser scheinbar nutzlosen Gegenstände in Bezug zueinander zu bringen, um auf diese Weise neue Blickwinkel einzunehmen. Es ist erstaunlich, im Ergebnis zu sehen, wie sehr man plötzlich „anders“ denken und auf diese Weise festgetretene „Trampelpfade“ im Gehirn verlassen kann, um offen zu sein für neue Impulse und Ideen.

Der Ausklang

Zum Ausklang gibt es noch ein ausgefallenes Buffet von „The Real Junk Food Project Berlin“, das sich dafür einsetzt, dass weniger Lebensmittel im Müll landen, weil weltweit immer noch ein Drittel aller Lebensmittel verschwendet wird. Bei frittierten Pastinaken und Kartoffelsalat mit Fenchel lasse ich meine Gedanken schweifen: Und ich? Was nehme ich aus diesem Workshop mit für meine Arbeit bei renk.? Ich stelle fest, dass sich die Technik des Storytellings in vielen verschiedenen Branchen wiederfindet, was mir vorher nicht klar gewesen ist.

Das war auch die Intention des Workshops, wie mir Eva Kiltz, Transfermanagerin für Kultur, Arbeit und Gesellschaft im Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes, beim gemeinsamen Essen erzählt: „Unsere Kerntätigkeit ist es, Themen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft zu filtern und begreifbarer zu machen. Was machen Unternehmer aus der Kultur- und Kreativwirtschaft wirklich und wie können sie andere Branchen befruchten?“ Dieser Workshop sei deshalb so besonders, „weil wir diesmal in der Kreativwirtschaft geblieben sind und den Versuch starten wollten, jene Techniken aus der Medienbranche in die Kreativwirtschaft zu tragen, die wir in anderen Branchen wie Games (Brosius) und Intervention (Krause) gefunden haben.“

Das ist ihnen durchaus gelungen, wie ich finde. Ich habe verschiedene Blickwinkel zum gleichen Thema kenngelernt. Storytelling ist natürlich auch im Journalismus anwendbar und ich werde versuchen, diese interessanten Impulse aus den drei Gruppen mitzunehmen und umzusetzen. Am Ende des Tages möchten wir alle eine gute Geschichte erzählen, denn das ist es doch, was die Menschen tatsächlich interessiert: Die Geschichte hinter der Geschichte.

Der Text von Türkiz Talay-Dietrich wurde zuerst im Online-Magazin renk. veröffentlicht. renk. war Kooperationspartner des Medienworkshops „Geht da noch was? Ohne Storytelling bist du nichts“.

Credits

Text: Türkiz Talay-Dietrich, renk.

Fotos: Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Anstehende Veranstaltungen

Es gibt derzeit keine bevorstehenden Veranstaltungen.

Credits

Text: Türkiz Talay-Dietrich, renk.

Fotos: Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Künstliche Intelligenz als Werkzeug von Kreativen

Die fortschreitende Digitalisierung verändert tiefgreifend, wie wir leben, arbeiten und auch politisch partizipieren. Eine der großen Herausforderungen unserer Zeit ist, sowohl die politische Teilhabe zu stärken als auch die Demokratie vor digitalen Bedrohungen zu schützen.

Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz wird beispielsweise kreative Teilhabe für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich, indem komplexe Werkzeuge und Techniken auch ohne tiefe Fachkenntnisse genutzt werden können. KI ermöglicht es Menschen aus verschiedenen Hintergründen, ihre kreativen Ideen zu verwirklichen und neue Formen der künstlerischen Zusammenarbeit zu erkunden. Das fördert die Vielfalt und Innovation in der kreativen Landschaft. Gleichzeitig stellt diese Entwicklung die traditionellen Vorstellungen von Urheberschaft und Originalität infrage, da KI-gestützte Kreativität zunehmend die Grenze zwischen menschlicher und maschineller Schöpfung verwischt.

Auch die Fragen, was Kreativität bedeutet und wo die Kernkompetenzen der Kreativschaffenden liegen, werden an Wichtigkeit gewinnen und ihre Antworten sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich bringen. KI ist auf dem heutigen Stand eher nicht „kreativ“ – aber sie verändert kreative Prozesse. Sie kann Kreativschaffende in ihrer Kreativleistung unterstützen, sie erweitern und als Inspirationsquelle dienen.

In unserer Kurzreportage sprechen wir mit den Künstlern Julian van Dieken und Roman Lipski über das Potenzial von KI als künstlerische Muse und Werkzeug, das neue Zugänge und Innovationsprozesse ermöglicht.