Foto:  Creative Gaming / PLAY16 / Bente Stachowske

Spiele müssen durch Spielen vermittelt werden

Mit dem Format „Generation Game“ war das Kompetenzzentrum 2016 zu Gast auf dem PLAY-Festival in Hamburg und auf dem Next Level Festival in Düsseldorf. Man konnte sich auf interaktive Weise mit Spielen auseinandersetzen.

Creative Gaming Festival Vernissage Play16

© Creative Gaming / PLAY16 / Bente Stachowske

Über Hamburg steht eine graue Decke aus kaltem Novembernieselregen. Der Vorplatz der Hamburger Zentralbibliothek ist weitläufig, das dunkelrote Gebäude mit seinen zwei Flügeln erhebt sich über dem Platz, der mit feuchten, grauen Steinen ausgelegt ist.

Im Untergeschoss der Bibliothek findet eine Retro-Games-Börse statt, Teil des Programms des „PLAY“ Festivals für digitale Spiele, in dessen Rahmen auch „Generation Game“ des Kompetenzzentrums für Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes stattfinden soll. Es ist eines der größten und wichtigsten Festivals seiner Art.

Mit dem Format „Generation Game“ war das Kompetenzzentrum 2016 neben dem PLAY-Festival in Hamburg auch zu Gast auf und auf dem Next Level Festival in Düsseldorf. Für die Veranstaltungen wurde ein interaktiver Ansatz gewählt. Game Designer, Wissenschaftler, Akteure und Kreativschaffende stellten in kurzen Sessions ihre Projekte und Arbeiten praxisnah vor.

Spiele ernst nehmen

Creative Gaming Festival Vernissage Play16

© Creative Gaming / PLAY16 / Bente Stachowske

„Spiele“, sagt Lutz Woellert, „müssen sich durch Spiele erklären.“ Innen ist die Bibliothek – einer von sieben Orten in Hamburg, an denen die „PLAY“ stattfindet – gemütlich, still, indirekt beleuchtet von Neonröhren. Es gibt keinen besseren Ort, um einen grauen Novembernachmittag auszusperren. Der Raum, in dem Lutz Wollert seinen Einführungsvortrag hält, ist ganz hinten im dritten Stock, die Präsenzbibliothek Abitur ist hier untergebracht. Woellert fasst die Grundgedanken von „Generation Game“ zusammen: Spiele seien längst in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen, sagt er, dort müssten sie auch verstanden werden. Nicht als graue Theorie – sondern als dynamischer Bestandteil des täglichen Lebens. Vor allem aber sei die Kreativwirtschaft – die auch Spiele beinhaltet – in Deutschland an Umsatz etwa gleichauf mit der Autoindustrie. Spiele müssten ernst genommen werden – aber eben auch spielerisch durchdrungen. Dies, so schließt er, sei Aufgabe der sieben folgenden Vorträge.

Zwischen Woellerts Einführung und dem Beginn der Vorträge habe ich selbst, sowohl auf der „PLAY“ wie auch auf der „Next Level“ jeweils aus meinem Essay „Ready. Wie ich mit digitalen Spielen erwachsen wurde“ gelesen. Die Lesung war als interaktives Textadventure konzipiert. In dem Essay geht es darum, wie sich digitale Spiele bei der Generation, die ab 1980 geboren ist, schon in frühester Jugend als kulturelle Artefakte ins Leben eingeschrieben haben, was das eigentlich bedeutet, und wie es sich anfühlt.

Viele Ideen, dicht komprimiert

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© NRWKS / Foto Božica Babić

Aber nun zu den Vortragsstationen: Drei davon sind in dem Raum aufgebaut, die anderen vier über zwei Stockwerke der Bibliothek verteilt. Die Gäste beginnen, für die sieben Kurzvorträge in kleinen Gruppen zu den Stationen zu gehen.

Christoph Brosius, beispielsweise, hat in seiner Vortragsecke einen Tatort aufgebaut, mit gelbem Absperrband, und lässt seine Zuhörer aus verschiedenen „Fällen“ auswählen, also verschiedenen Projekten, die er mit seiner „Game Thinking Agentur“ namens Die Hobrechts verwirklicht hat:  Es geht um Game Thinking und Game Development – Gamifizierung des Alltags, mit Mehrwert für Unternehmen und ihre Kunden. So wie die Erfahrung beim Zugfahren durch Statusleisten oder Nutzung der Fenster als Augmented-Reality-Screens zu verbessern. An jeder der sieben Vortragsstationen stecken solche Ideen, solche Firmen: Causa Creations, repräsentiert durch Michael Hobmeier, enwickelt politische Spiele, in denen es beispielsweise um Recycling von Smartphones oder Aufarbeitung kolonialer Vergangenheit geht, oft im Auftrag von Museen oder Ausstellungen.

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© NRWKS / Foto Božica Babić

Leonie Pichler

Irritation macht Menschen aufnahmebereiter. Das ist auch Programm bei unseren Stückentwicklungen, die oft das Publikum mitspielen lassen.

Leonie Pichler
Bluespots Productions

Sebastian Quack, Mitglied des Kollektivs aus Künstlern, Designern und Wissenschaftlern „Invisible Playground“ stellt Konzepte für Spiele im öffentlichen Raum vor – und lässt seine Zuhörer gleich auch in der Bibliothek „Turtle Wushu“ spielen, in dem es darum geht, den Mitspielern kleine Plastikschildkröten von der Hand zu schlagen. Friedrich Kirschner, Professor für Digitales Puppenspiel, hat sich ein Zahlenspiel ausgedacht und führt damit in die Theorie der Spielregeln ein. Vera Marie Rodewald stellt die Initiative Creative Gaming e.V. vor, die Jugendliche spielerisch an die Spielentwicklung heranführen möchte.  Leonie Pichler von der multimedialen Theatergruppe bluespot productions sorgt in ihrem Vortragsraum gleich für Irritation, indem sie alle Stühle umgedreht hat. Irritation, sagt sie, mache Menschen aufnahmebereiter, und das sei auch Programm bei ihren Stückentwicklungen, die oft auch das Publikum mitspielen lassen. Der Kulturwissenschaftler Christian Huberts unterfüttert das Gehörte noch mit einem Vortrag über die Fairness von Spielregen im digitalen Spiel, die – im Vergleich zu realen Welt – geradezu utopisch gerecht seien.

Sandro Engel von Urban Invention, die unter anderem für gamifizierte Ampeln verantwortlich sind, an denen die Wartenden während der Rotphasen gegeneinander „Pong“ spielen können, lässt seine Gäste mit einem Würfel entscheiden, über welches seiner Projekte er spricht. Daniel Pflieger von der Geheimpunkt GmbH, einer Firma, die spielerische Geocaches für Unternehmen entwickelt, hat einen Mechanismus mitgebracht, der für Starbucks entwickelt wurde und nur aufgeht, wenn ein Heißgetränk in einem Coffee-to-Go-Becher darauf gestellt wird. Und wie große Blockbuster-Spiele entwickelt werden, und wie viele Menschen daran beteiligt sind, fasst an diesem Tag Karsten Lehmann von der Blue Byte GmbH zusammen, die zu Ubisoft, einem der größten Spielentwickler weltweit, gehört.

Creative Gaming Festival Vernissage Play16

© Creative Gaming / PLAY16 / Bente Stachowske

Eine Menge neue Ideen

Jeder dieser Vorträge dauert 10 Minuten, und danach kann man die Gedanken der Zuhörer rasen hören, und das Lächeln auf ihrem Gesicht sehen. Es ist viel Input, ja, aber er lohnt sich: Kleine Blicke über den Tellerrand, in denen jeweils viel drinsteckt, zum Nachdenken und zum Nachspielen: Ideen-Speed-Dating, das selbst fast schon wieder ein Spiel ist, in dem wiederum, in fast jedem Vortrag, noch einmal andere Spiele stecken.

Draußen ist der graue Novembernachmittag mittlerweile in eine feuchte Novembernacht übergegangen, der Nieselregen steht immer noch über der Stadt. Die Zuschauer treten aus der Bibliothek, stellen ihre Kragen auf, setzen ihre Kapuzen auf den Kopf, spannen die Regenschirme auf und strömen zum Festivalzentrum, auf der Suche nach Bier oder Wein, mit einer Menge neuer Ideen im Kopf, die erst einmal sortiert werden müssen.

Creative Gaming Festival Vernissage Play16

© Creative Gaming / PLAY16 / Bente Stachowske

Creative Gaming Festival Vernissage Play16
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Creative Gaming Festival Vernissage Play16
Creative Gaming Festival Vernissage Play16
Creative Gaming Festival Vernissage Play16
Creative Gaming Festival Vernissage Play16
Creative Gaming Festival Vernissage Play16

Credits

Text: Jan Fischer

Fotos: Titelbild und Galerie: © Creative Gaming / PLAY16 / Bente Stachowske

Anstehende Veranstaltungen

Es gibt derzeit keine bevorstehenden Veranstaltungen.

Credits

Text: Jan Fischer

Fotos: Titelbild und Galerie: © Creative Gaming / PLAY16 / Bente Stachowske

Künstliche Intelligenz als Werkzeug von Kreativen

Die fortschreitende Digitalisierung verändert tiefgreifend, wie wir leben, arbeiten und auch politisch partizipieren. Eine der großen Herausforderungen unserer Zeit ist, sowohl die politische Teilhabe zu stärken als auch die Demokratie vor digitalen Bedrohungen zu schützen.

Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz wird beispielsweise kreative Teilhabe für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich, indem komplexe Werkzeuge und Techniken auch ohne tiefe Fachkenntnisse genutzt werden können. KI ermöglicht es Menschen aus verschiedenen Hintergründen, ihre kreativen Ideen zu verwirklichen und neue Formen der künstlerischen Zusammenarbeit zu erkunden. Das fördert die Vielfalt und Innovation in der kreativen Landschaft. Gleichzeitig stellt diese Entwicklung die traditionellen Vorstellungen von Urheberschaft und Originalität infrage, da KI-gestützte Kreativität zunehmend die Grenze zwischen menschlicher und maschineller Schöpfung verwischt.

Auch die Fragen, was Kreativität bedeutet und wo die Kernkompetenzen der Kreativschaffenden liegen, werden an Wichtigkeit gewinnen und ihre Antworten sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich bringen. KI ist auf dem heutigen Stand eher nicht „kreativ“ – aber sie verändert kreative Prozesse. Sie kann Kreativschaffende in ihrer Kreativleistung unterstützen, sie erweitern und als Inspirationsquelle dienen.

In unserer Kurzreportage sprechen wir mit den Künstlern Julian van Dieken und Roman Lipski über das Potenzial von KI als künstlerische Muse und Werkzeug, das neue Zugänge und Innovationsprozesse ermöglicht.