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Unternehmensentwicklung mit Science Fiction

Angenommen wir schrieben bereits das Jahr 2048: Was ist heute besser als noch vor 30 Jahren? Welche Utopien sind inzwischen Wirklichkeit geworden? Essen wir noch Fleisch von Tieren? Gibt es mittlerweile Flugtaxis? Oder bewegen wir unseren Körper nur noch virtuell fort? Und ist etwas passiert, womit wir niemals gerechnet hätten? – Solche kreativen Gedankenspiele machen Spaß und regen dazu an, Möglichkeiten auszuloten. Bieten sie sich damit auch als Tool für die strategische Unternehmensentwicklung an? Wir haben es im Praxisworkshop “DO THE FUTURE – Science Fiction Prototyping” ausprobiert.

Eine Gruppe Affen kämpft um ihr nacktes Überleben, bis sie eines Morgens aus ungeklärten Gründen neben einem riesigen pechschwarz-glänzenden Monolithen aus der Zukunft erwacht. Können unsere Vorfahren auch anfänglich noch nichts mit ihm anfangen, wird er ihr Bewusstsein schließlich nachhaltig verändern.

Dies ist keine Anekdote aus dem Workshop, sondern eine Beschreibung der berühmten Eingangssequenz aus Stanley Kubricks „2001: A Space Odyssee“, mit der Storytelling-Experte Matthias Leitner den Tag beginnt. Wir befinden uns in der Deutschen Kinemathek und können durch die großen Glasfronten sehen, wie sich in den unteren Etagen die Heldinnen und Helden der Filmgeschichte tummeln. Was sich hier abspielt, ist der Prototyp eines Workshops für die strategische Organisationsentwicklung. Dafür verbinden sich Methoden der Zukunftsforschung, des Storytellings, der Wirtschafts-Kybernetik und des Game Design miteinander. Professionals aller Sparten, Unternehmen und NGOs werden ihn testen und weiterentwickeln. Sie kommen aus dem Bildungsbereich, sind Unternehmensberater, Zukunftsforscher oder bei großen Marken tätig.

Allerdings nur für die ersten paar Minuten, denn dann geben alle ihre eigentliche Identität auf und tauschen sie temporär gegen die von Avataren. In vier eigenständigen Welten werden nun jeweils ein Verwaltungsangestellter, ein Medienunternehmer, ein Politiker, ein Freelancer und ein Mittelständler die Weltentwicklung von der Gegenwart bis ins Jahr 2048 spielen. Nicht einfach so, sondern unter Berücksichtigung jeweils eines Trends, der aus zwölf von Zukunftsforschern definierten Megatrends zufällig ausgewählt wird. Es sind in diesem Fall: New Work, Silver Society, Gender Shift und Urbanität.

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„In diesem Setting können interdisziplinäre Teams gemeinsam komplexe zukünftige Welten entwickeln und mit allen Konsequenzen „durchspielen“ und dabei sehr frei denken, ohne den Realitätsbezug völlig zu verlieren“, erklärt die Game Designerin Christiane Hütter, die den interaktiven Rahmen des Workshops gestaltet hat. Nach kurzer Annäherung an die neue Rolle tragen die Figuren wenig später bereits Namen, haben eine eigene Biografie, Bedürfnisse, Alltagsprobleme und Missionen für die Zukunft. In allen vier Gruppen ist die Zeit reif für Veränderung und dementsprechend hitzig sind die Diskussionen in den einzelnen Welten. Prothesen zur flexiblen Genderentscheidung? Diktatur der „alten Eliten“ in der Silver Society? Bis zur Mittagspause haben sich die Gruppen bis ins Jahr 2033 vorgearbeitet. Die neuen Welten haben sich formiert und (zumindest halbwegs) arrangiert.

Doch dann brechen dramatische Ereignisse über sie herein, von der Digital Darkness über Kriege bis zur großen Seuche. Die gerade stabilisierten Verhältnisse geraten erneut gehörig ins Wanken. Die eintretenden düsteren Zeiten spiegeln jedoch weniger einen Pessimismus der Urheber des Workshops wider, sondern bieten vielmehr Anlass, die Szenarien auf ihre tatsächliche Zukunftsfähigkeit zu überprüfen. Was folgt sind neue Diskussionen, neue Aushandlungen. Manche Weltgeschichten schlagen eine neue Richtung ein, manche bilden sich komplett neu. Der Workshop-Tag endet am Indoor-Lagerfeuer mit Erzählungen aus den krisengebeutelten Gesellschaften, visuell unterstützt durch Julian Raul Kücklich von playability, der die Entwicklungen in den Welten fortlaufend zeichnerisch festgehalten hat.

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Am Detailreichtum der Geschichten und Visionen lässt sich ablesen, mit wie viel Konzentration, Ernsthaftigkeit und gleichzeitig Freude alle Beteiligten beim „Science Fiction Prototyping“ involviert waren. Aber eignet es sich auch als Herangehensweise für das Business Development? Kurz gesagt: Auf jeden Fall.

Bei der strategischen Unternehmensentwicklung müssen oft Entscheidungen unter Unsicherheit getroffen werden. Ein Grund dafür ist, dass der digitale Wandel inzwischen immer mehr Lebensbereiche durchdringt. Dabei hat er grundlegende Konventionen verändert und gänzlich neue Dinge hervorgebracht, mit denen der Umgang derzeit erst gelernt wird. Ein sehr prominentes Thema ist dabei die Künstliche Intelligenz und das Machine Learning, aber auch andere technische Entwicklungen verändern Bereiche wie die Ernährungsbranche, das Gesundheitswesen, Bildung oder Mobilität maßgeblich. Darüber hinaus geht die Digitalisierung mit Veränderungen in übergreifenden Bereichen wie Neuer Arbeit und neuen Produktionsverfahren einher.

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All diese Veränderungen für die Zukunft sind nur bedingt verlässlich absehbar, die Kriterien für Entscheidungen in der Unternehmensentwicklung demnach häufig abstrakt. Eine Stärke des Science Fiction Prototyping liegt darin, mithilfe kultur- und kreativwirtschaftlicher Techniken erfahrbar zu machen, was solche abstrakten Überlegungen und Trends für die Zukunft konkret bedeuten und welche neuen Möglichkeiten sich daraus ergeben könnten. Damit bietet die Methode als Tool großes Potenzial. Christoph-Daniel Jia, eigentlich international beschäftigter Markenstratege, aber kurz zuvor noch eine Freelancerin im New Work Szenario, sieht eine weitere Einsatzmöglichkeit des Science Fiction Prototyping im Training für ansprechendes Storytelling – ein Kommunikationsansatz, der in Unternehmen stark verfolgt wird. Allerdings zeigt sich bei den Beteiligten noch große Uneinigkeit darüber, welches Maß an Vorgaben bei einer Weiterentwicklung des Workshop-Prototypen optimal wäre. Während die einen jede Vorgabe als zu große Einschränkung beim world building empfinden, sehen sie die anderen als notwendiges Mittel zur Zielorientierung.

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Es zeigt sich, dass die Erkenntnisse aus diesem ersten praktischen Versuch sehr wertvoll sind, um die Potenziale des Science Fiction Prototyping auszuloten und Anhaltspunkte abzuleiten, nach denen das Konzept konkretisiert werden sollte, um ihn als zielführenden Workshop in Serie gehen zu lassen. Matthias Leitner nimmt dementsprechend alle hervorgebrachten Überlegungen dankend auf: „Das ist ja erstmal ein Prototyp. Wir haben jetzt sehr konstruktives Feedback bekommen, was mich freut und das wir für die nächste Version des Workshops einfließen lassen werden. Ich möchte jetzt gerne ausprobieren, wie dieser Prozess in einer ‚eigenen Welt‘ wie der Gesundheitsbranche funktionieren würde, wenn dort dann adaptierte ‚Rollen‘ vergeben und Zukunftsszenarien getestet werden, die den Prognosen der Branche entsprechen.“, fasst er seine Schlüsse aus dem ersten Versuch zusammen. „Im Grunde kann man diesen Prototyp als eine Art Vanilla Client verstehen, bei dem sich die Parameter (Rollen, Megatrends, Ereignisse) flexibel nach Fragestellung variieren lassen“, fügt Christiane Hütter hinzu.

Die Neuverortung der eigenen Person durch den Einsatz von Avataren im ‚Spielfeld‘ der Gesundheitsbranche bewirkt einen Perspektivwechsel. Dieser wiederum würde eine Neubetrachtung und -bewertung der Situation ermöglichen und könnte damit zu neuen Lösungen und Ansätze für bestehende Herausforderungen im Bereich Health Care führen. Zugegeben, noch sind das vornehmlich theoretische Überlegungen. Umso spannender wäre daher ein zweiter Testlauf, z.B. im Rahmen eines Innovation Camps, wie es vergangenes Jahr in Heilbronn stattgefunden hat.

Die Entwicklung von Veranstaltungsformaten wie „DO THE FUTURE – Science Fiction Prototyping“ ist ein Mittel, mit dem das Kompetenzzentrum Akteuren verschiedener Bereiche die Möglichkeit bietet, die Kernkompetenzen der Kultur- und Kreativwirtschaft an Schnittstellen zu erleben und für sich nutzbar zu machen – in diesem Fall für die strategische Unternehmensentwicklung. Ebenso bieten Game-Thinking, Creative-Thinking und weitere besondere Arbeits- und Denkweisen neue Ansätze für den Umgang mit der Zukunft. Das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft wird sich daher weiterhin intensiv mit der Entwicklung neuer Erzähltechniken und -technologien sowie deren Nutzung auseinandersetzen.

Credits

Text: Wiebke Müller

Fotos: Wiebke Müller, Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Anstehende Veranstaltungen

Es gibt derzeit keine bevorstehenden Veranstaltungen.

Credits

Text: Wiebke Müller

Fotos: Wiebke Müller, Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Künstliche Intelligenz als Werkzeug von Kreativen

Die fortschreitende Digitalisierung verändert tiefgreifend, wie wir leben, arbeiten und auch politisch partizipieren. Eine der großen Herausforderungen unserer Zeit ist, sowohl die politische Teilhabe zu stärken als auch die Demokratie vor digitalen Bedrohungen zu schützen.

Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz wird beispielsweise kreative Teilhabe für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich, indem komplexe Werkzeuge und Techniken auch ohne tiefe Fachkenntnisse genutzt werden können. KI ermöglicht es Menschen aus verschiedenen Hintergründen, ihre kreativen Ideen zu verwirklichen und neue Formen der künstlerischen Zusammenarbeit zu erkunden. Das fördert die Vielfalt und Innovation in der kreativen Landschaft. Gleichzeitig stellt diese Entwicklung die traditionellen Vorstellungen von Urheberschaft und Originalität infrage, da KI-gestützte Kreativität zunehmend die Grenze zwischen menschlicher und maschineller Schöpfung verwischt.

Auch die Fragen, was Kreativität bedeutet und wo die Kernkompetenzen der Kreativschaffenden liegen, werden an Wichtigkeit gewinnen und ihre Antworten sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich bringen. KI ist auf dem heutigen Stand eher nicht „kreativ“ – aber sie verändert kreative Prozesse. Sie kann Kreativschaffende in ihrer Kreativleistung unterstützen, sie erweitern und als Inspirationsquelle dienen.

In unserer Kurzreportage sprechen wir mit den Künstlern Julian van Dieken und Roman Lipski über das Potenzial von KI als künstlerische Muse und Werkzeug, das neue Zugänge und Innovationsprozesse ermöglicht.