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Aufbruch zu neuen Werten: eine Annäherung an den Begriff Transformation

Wir befinden uns mitten in einer großen Transformation. Unsere Welt wird sich bis 2030 grundlegend verändert haben, da ist sich die Wissenschaft einig. Werden bestimmte Kipppunkte überschritten, wird eine unumkehrbare Kettenreaktion in Gang gesetzt. Die Technologie und das Wissen, um die Transformation aktiv zu gestalten, stehen bereit. Aber auf die Theorie folgt bisher wenig Praxis. Es fehlen eine Kultur des Wandels, neue Formen von Orientierung und eine Transformation der Werte. Hier liegt ein Wirkungsfeld für die Kultur- und Kreativwirtschaft.

Transformationsprozesse geraten oftmals erst in das Bewusstsein, wenn wir die (teilweise dramatischen) Auswirkungen sehen – aktuell in der Corona- Pandemie, aber auch bei z. B. Waldbränden oder Überschwemmungen infolge des Klimawandels. Denn die Krux ist: Die Ursachen, die Transformationsprozesse anstoßen, sind häufig schwer wahrnehmbar. Künstliche Intelligenz oder CO2-Gase kann man nicht sehen, nicht anfassen und deshalb nur schwer begreifen. Vielleicht erklärt das unser zögerliches Handeln in den letzten Jahrzehnten. Und doch sind diese grundlegenden Veränderungen in vollem Gange.

Bei einer Transformation geht es um die Suche nach neuen Rahmenbedingungen für das große Ganze, nach einem neuen Weltregelwerk der Menschheit auf dem Planeten Erde. Darin unterscheiden sich Transformation und Innovation. Im Zentrum steht das Suchen und Forschen, das Erneuern und Verbessern. Doch für eine Innovation ist entscheidend, ob sie einen Markt im bestehenden Gesamtsystem findet. Die Transformation ist viel weitreichender. Über den Erfolg entscheidet hier, ob wir als Weltgesellschaft in der Lage sind, auf die komplexen Herausforderungen zu reagieren und ein neues Zivilisationsnarrativ sowie neue Handlungsschemata zu etablieren. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sprechen von einem Mindshift (Göpel, 2016), einer Zivilisationswende (Schneidewind, 2019) oder einem Paradigmenwechsel (Reckwitz, 2019).

Vor diesem Hintergrund entsteht, angetrieben von Wissenschaft (Wuppertal Institut, 2021), Politik (United Nations, 2021) und Klimaaktivistinnen und -aktivisten (Fridays4Future, 2021), ein neues globales Narrativ: Transformationsprozesse sind keine naturgegebenen, von außen auf uns zukommenden Veränderungen, sondern eine Aufforderung zum Handeln. Eine Chance, Entwicklungsverläufe und -richtungen anzupassen, Fehler zu korrigieren, neue Wege zu suchen, die Herausforderung optimistisch anzunehmen. Kurz: den Wandel zu gestalten.

Ohne lebendiges Gestalten und die letztliche Rekonstruktion des Vorhandenen im Sinne der Visionen und Leitbilder des Morgens bleiben Leitbilder nachhaltigen Lebens und Wirtschaftens seltsam leer, kaum lebensnah und nicht erfahrbar. Sie werden nicht als erstrebenswert erlebt. Eine Transformation zu mehr gewagter Nachhaltigkeit benötigt Erlebnisse, Erfahrungen und Erzählungen dessen, was gutes Leben bedeutet.

Liedtke, Kühlert, Huber & Baedeke, 2019

Transformationsprozesse greifbar machen

Die Entwicklung und Erprobung neuer Narrative, Erlebnisse und Erfahrungen gehört zu den Kerndisziplinen der Kultur- und Kreativwirtschaft. Neben Büchern, Filmen, Bildern, Podcasts, Blogs oder Dokumentationen, die Komplexität reduzieren, neue Perspektiven aufzeigen und neue Vorstellungen von der Welt erzeugen, öffnen interaktive Formate wie Festivals, Hackathons, Multiplayer- Spiele, virtuelle Welten sowie prozessbasierte und erlebnisorientierte Performances Räume für gemeinsame Erzählungen, kollektives Experimentieren und die Erfahrung von Selbstwirksamkeit. Diese Bewegung verläuft momentan überwiegend intuitiv, ungeplant und unmoderiert. Geben wir der Erzähl-, Erfahrungs- und Erlebniskraft den richtigen Rahmen und schaffen hybride Bezugssysteme zu anderen Handlungsbereichen, lässt sich die Wirksamkeit der Kultur- und Kreativwirtschaft deutlich erhöhen.

Weitere konkrete Ansatzpunkte für die Methoden der Kultur- und Kreativwirtschaft bei Transformationsprozessen:

  • Räume gestalten: Experimente und Reallabore durchführen
  • Kollektiv neue Narrative erschaffen: Komplexität reduzieren durch Storytelling, Visualisierung, Gamification, Makertum
  • Technik Richtung und Sinn geben: Durch Erlebnisse neue Handlungsoptionen aufzeigen
  • Positive Zukünfte erdenken: Antworten im Handeln finden, Prototyping
  • Neue Lösungen und neues Wissen schaffen: Plattformen kollektiven und kooperativen Handelns entwickeln
  • Transformationswissen anwenden und weitergeben: Echte Transdisziplinarität anbieten

Wer nur auf das einzelne Produkt sieht oder sogar nur auf einen einzelnen Aspekt des Produkts, verkennt, dass es einen Gesamtrahmen gibt, in dem wir uns bewegen. Dieser umfasst auch die Überlegungen, wie sich denn das größere Gefüge verändert, in das einzelne Technologien hineinerfunden werden. So zu denken, heißt in der Wissenschaft, systemisch zu denken.

Göpel, 2020

Systemisch denken

Ähnlich wie die Wissenschaft ist auch die Kultur- und Kreativwirtschaft in der Lage, systemisch zu denken. Sie ist eine Kraft, die Fehler im System erkennt, sichtbar macht und Alternativen entwickelt. Das hat sie mit der Forschung gemeinsam. Die Kultur- und Kreativwirtschaft hilft uns, Systeme zu verändern, uns an neue Gegebenheiten anzupassen.

Es geht um Leadership und Gestaltung. Nicht um Bewahren und Konservieren. Das sind die Kreativen. Holistisch. Interdisziplinär. Co-kreativ. Ich sehe die Kreativen in der aufklärenden Rolle. Auf Augenhöhe. Es ist eine Zeit zum Gestalten. Die Politik will etwas von den Kreativen. Nicht andersherum

Indset, 2020

Um notwendige Veränderungsimpulse zu setzen, Komplexität zu reduzieren und Probleme auf den Punkt zu bringen, bieten sich neue Formen dieser kollektiven Praxis der Kreativschaffenden an: Modelle bauen, Prototypen anlegen, Szenarien aufmachen, Labore öffnen und Verständnis schaffen. Es geht darum, Menschen durch künstlerisch-performante Praktiken über die Grenzen von Berufen, Überzeugungen und Kulturen hinweg miteinander ins Gespräch zu bringen, gemeinsame Ziele zu definieren und zusammen ins Tun zu kommen. Und es geht darum, schnelle kooperative kollaborative Prozesse anzulegen.

Damit werden die Akteurinnen und Akteure der Kultur- und Kreativwirtschaft nicht nur eine Art Change Agents, sie verlassen auch ihre herkömmlichen Disziplinen und greifen ein in die Neugestaltung von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft. Sie begeben sich auf unbekanntes Terrain, experimentieren mit den eigenen Einstellungen, Lebensentwürfen, Perspektiven, Fertigkeiten, Kompetenzen und Methoden. Künstlerische Forschung ist vielleicht der Begriff, der diese Tätigkeit am ehesten trifft.

Integrieren wir die Kultur- und Kreativwirtschaft in die Transformationsprozesse, können sie ihre Wirkung entfalten. Wo immer Transdisziplinarität, das Verlassen des Silodenkens, Diversität und systemisches Neudenken erforderlich sind oder gelernt werden müssen, können Akteurinnen und Akteure aus der Kultur- und Kreativwirtschaft mit ihrer ganzheitlichen Sicht, durch ihre Fähigkeiten, Kompetenzen und ihre Art, Fragen an die Welt zu stellen, entscheidende Impulse setzen.

Bisher finden die Zukunfts- und die Transformationsforschung allerdings weitgehend ohne Beteiligung von Kultur- und Kreativschaffenden statt. Wenn wir Experimentalplattformen wie Reallabore oder Testräume verstetigen wollen, sollten Kulturund Kreativschaffende „by default“ in die Prozesse eingebunden werden. Dann wird ihre Transformationskompetenz von unschätzbarem Wert für die Entwicklung wertebasierter, kollaborativer und transdisziplinärer Prozesse in Wissenschaft und Gesellschaft sein.


 

Literatur

• Fridays4Future. (04.02.2021). Fridays4Future. Von https://fridaysforfuture.org
abgerufen
• Göpel, M. (2016). The Great Mindshift – How a New Economic Paradigm
and Sustainability Transformations go Hand in Hand. Springer International
Publishing.
• Göpel, M. (2020). Unsere Welt neu denken. Ullstein Taschenbuch Verlag.
• Indset, A. (18.12.2020). „Zivilisation am Wendepunkt – was sich ändert und
wie wir uns ändern müssen“. CLUK.SALOON CHRISTMAS 2020 „Creators
for Future“, Frankfurt am Main, Deutschland.
• Liedtke, C., Kühlert, M., Huber, K., & Baedeke, C. (2019). Transition Design
Guide – Design für Nachhaltigkeit. Gestalten für das Heute und Morgen.
Von https://epub.wupperinst.org/frontdoor/deliver/index/docId/7335/file/
WS55.pdf abgerufen
• Reckwitz, A. (2019). Das Ende der Illusionen – Politik, Ökonomie und Kultur
in der Spätmoderne. edition suhrkamp.
• Schneidewind, U. (2019). Die Große Transformation – Eine Einführung in die
Kunst gesellschaftlichen Wandels. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch.
• United Nations. (04.02.2021). United Nations – Department of Economic
and Social Affairs Sustainable Development. Von https://sdgs.un.org abgerufen
• Wuppertal Institut. (04.02.2021). Wuppertal Institut.
Von https://wupperinst.org/das-institut abgerufen

Credits

Text: Eva Kiltz (threenuts,org)

Fotos:

Anstehende Veranstaltungen

  1. Sommerpavillon der Kultur- und Kreativwirtschaft

    21. Juni - 4. Oktober

Credits

Text: Eva Kiltz (threenuts,org)

Fotos:

Künstliche Intelligenz als Werkzeug von Kreativen

Die fortschreitende Digitalisierung verändert tiefgreifend, wie wir leben, arbeiten und auch politisch partizipieren. Eine der großen Herausforderungen unserer Zeit ist, sowohl die politische Teilhabe zu stärken als auch die Demokratie vor digitalen Bedrohungen zu schützen.

Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz wird beispielsweise kreative Teilhabe für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich, indem komplexe Werkzeuge und Techniken auch ohne tiefe Fachkenntnisse genutzt werden können. KI ermöglicht es Menschen aus verschiedenen Hintergründen, ihre kreativen Ideen zu verwirklichen und neue Formen der künstlerischen Zusammenarbeit zu erkunden. Das fördert die Vielfalt und Innovation in der kreativen Landschaft. Gleichzeitig stellt diese Entwicklung die traditionellen Vorstellungen von Urheberschaft und Originalität infrage, da KI-gestützte Kreativität zunehmend die Grenze zwischen menschlicher und maschineller Schöpfung verwischt.

Auch die Fragen, was Kreativität bedeutet und wo die Kernkompetenzen der Kreativschaffenden liegen, werden an Wichtigkeit gewinnen und ihre Antworten sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich bringen. KI ist auf dem heutigen Stand eher nicht „kreativ“ – aber sie verändert kreative Prozesse. Sie kann Kreativschaffende in ihrer Kreativleistung unterstützen, sie erweitern und als Inspirationsquelle dienen.

In unserer Kurzreportage sprechen wir mit den Künstlern Julian van Dieken und Roman Lipski über das Potenzial von KI als künstlerische Muse und Werkzeug, das neue Zugänge und Innovationsprozesse ermöglicht.