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Wie wir (anders) über Zukunft denken

Wir brauchen neue Erzählungen von der Zukunft, um sie zu gestalten. Zukunftsforscher Wenzel Mehnert über die Notwendigkeit, sich von bestehenden dystopischen Vorstellungen zu lösen, und Möglichkeiten, mit kreativen Methoden Zukunft neu zu denken.

Das Nachdenken über die Zukunft ist eine merkwürdige Sache. Wenn ich zehn verschiedene Menschen frage, wie sie sich die Zukunft vorstellen, bekomme ich auch zehn unterschiedliche Antworten. Dabei ist nicht das erstaunliche, dass sich die Antworten unterscheiden, sondern dass die Befragten überhaupt in der Lage sind, eine Antwort zu formulieren. Wir alle meinen eine Ahnung davon zu haben, was die Zukunft bringt, gleichzeitig war noch keiner von uns da, um eine tatsächliche Aussage darüber treffen zu können.

Das, was wir als Zukunft verstehen, ist eine Vorstellung. Und das, was wir uns vorstellen können, ist das, was wir für die Zukunft erwarten und woraufhin wir die Zukunft gestalten. In der Zukunftsforschung spricht man hier auch von Zukünften und meint damit, die vielen unterschiedlichen Zukunftsvorstellungen, die in unserer Gesellschaft existieren.

Auch wenn diese Vorstellungen sehr divers sind, so sehen sie in Anbetracht der gegenwärtigen Herausforderungen wie Klimawandel, einer globalen Pandemie oder politischen Demagog*innen oftmals düster aus. Der Zukunftsforscher Geoff Mulgan[1] spricht hier von einer Imaginations-Krise und diagnostiziert, dass wir verlernt haben, unter Zukunft etwas anderes als die Katastrophe zu begreifen. So fällt es vielen Menschen heute schwer, sich eine plausible und wünschenswerte Gesellschaft auszumalen, die ein oder zwei Generationen in der Zukunft liegt.

Wenn wir dem Credo folgen, dass wir nur die Zukünfte gestalten können, die wir uns auch vorstellen können, müssen wir unser Zukunftsdenken neu lernen, um die Imaginations-Krise zu überkommen. Ein Weg dahin läuft über die Art und Weise, wie wir uns die Zukunft erzählen.

1. Die Trägheit der Dystopie

Die Vorstellung der Zukunft als Katastrophe ist eine sehr präsente Metapher in unserer Kultur. Sie wird unter anderem durch die Unterhaltungsindustrie verstärkt. In der Science-Fiction, vor allem im Hollywoodkino, sehen wir Antworten auf die Fragen: Was wäre, wenn die Temperatur um 3 Grad steigt, wenn Künstliche Intelligenzen die Menschen versklaven oder wenn noch schlimmere Pandemien zum Alltag werden? Die Filme präsentieren uns unsere größten Ängste und dienen damit als Moment der Katharsis. Keines der Hollywoodszenarien sieht besonders lebenswert aus – prägen allerdings ganz nebenbei unseren negativen Blick auf die Zukunft.

Dieser Zusammenhang wurde in einer Studie der Universität Erfurt untersucht. Die Wissenschaftler*innen haben sich die Frage gestellt, wie Zukunftsängste durch dystopische Unterhaltungsmedien kultiviert werden.[2] Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, dass dystopische Darstellungen wie Überbevölkerung oder die Auswanderung auf Raumstationen bei Menschen, die viel dystopische Medien konsumieren (sogenannte Vielseher*innen), mehr Angst hervorrufen als bei Wenigseher*innen und jene, die dystopischen Fiktionen als plausible Entwicklung für die Zukunft begreifen.

Der Zukunftsforscher Geoff Mulgan spricht hier von einer Imaginations-Krise und diagnostiziert, dass wir verlernt haben, unter Zukunft etwas anderes als die Katastrophe zu begreifen. So fällt es vielen Menschen heute schwer, sich eine plausible und wünschenswerte Gesellschaft auszumalen, die ein oder zwei Generationen in der Zukunft liegt.

Wenzel Mehnert

Psychologisch lässt sich diese Reaktion mit dem Konzept der Verfügbarkeitsheuristik erklären. Demnach greifen wir auf Wissen zurück, das für uns leicht verfügbar ist. Das heißt, die Dinge, an die wir uns leicht erinnern, erscheinen uns als wahrscheinlicher als die Dinge, an die wir uns nur schwer erinnern können oder für die wir einen höheren kognitiven Aufwand aufbringen müssen. Wenn wir also gefragt werden, wie wir uns die Zukunft vorstellen, greift unser Gehirn auf die erste Sache zurück, an die es sich erinnert und leitet daraus unsere Zukunftsvorstellung ab. Bei Vielseher*innen kommen hier mit hoher Wahrscheinlichkeit dystopische Vorstellungen raus.

Unser Zukunftsdenken steht somit in direktem Bezug zu den Medien und Geschichten, die wir über die Zukunft konsumieren. Da unsere Unterhaltungsindustrie und auch die mediale Berichterstattung voll von dystopischen Erzählungen ist, ist auch unser Zukunftsdenken in diese Richtung geprägt. Um Zukünfte anders zu denken, müssen wir weg von der Frage „Wie wird die Zukunft auf der Grundlage aktueller Trends aussehen?“ und hin zu der Frage „Wie wollen wir, dass die Zukunft aussehen wird?“. Wir müssen die Dystopie hinter uns lassen.

2. Der Weg von der Dystopie zur Utopie

Auch wenn dystopische Erzählungen ihre Berechtigung und Notwendigkeit haben, so hat noch keine Dystopie jemals das dargestellt Szenario daran gehindert, zur Wirklichkeit zu werden. George Orwells „1984“ hat staatliche Überwachung nicht verhindert, der Film „Blade Runner“ konnte die Zerstörung der Umwelt durch Unternehmen nicht aufhalten und Margret Atwoods „Handmaid‘s Tale“ schaffte die misogynen Verhältnisse nicht aus der Welt.

Die Science-Fiction Expertin Isabella Hermann unterstreicht diesen Aspekt und sagt, dass Dystopien über die Kritik an der Gegenwart hinaus keine Angebote für die Gestaltung einer besseren Zukunft schaffen.[3] Vielmehr führen sie in Resignation und Selbstgefälligkeit, weil sie den Anschein vermitteln, die negativen Zukünfte wären eh nicht mehr abzuwenden. Sie denken die Zukunft von der Gegenwart weiter, statt die Zukunft neu zu erfinden.

Dystopien zeigen somit nur die eigenen Denkblockaden auf und sind Ausdruck einer kognitiven Faulheit. Keine Frage, es ist Aufwand und Arbeit, die bekannten Denkmuster zu verlassen und sich die Welt anders vorzustellen. Hierfür braucht es kreative Prozesse und vor allem einen geschützten Raum, in dem Denken außerhalb der Dystopien gestattet ist und in dem wir für einen Moment all die gegenwärtigen Probleme, Sorgen und Herausforderungen hinter uns lassen können. Welche Möglichkeiten wären dafür besser geeignet als kreative Methoden des Science-Fiction Schreibens?

3. Sich trauen, zu spekulieren

Das Entwerfen von hoffnungsvollen Zukunftsvorstellungen lässt sich über verschiedene angeleitete Formate lernen. Science-Fiction Storytelling oder auch World-Building, also die Kreation fiktiver Welten, erlaubt es, abstrakte Visionen anschaulich zu gestalten. Gute Vorbilder dafür liefert die Literatur bereits jetzt. So finden sich zum Beispiel unter dem Label Solarpunk[4] Geschichten, die positive Vorstellungen über die Zukunft erzählen. Die Solarpunk-Bewegung versteht sich als politisch und zielt bewusst darauf ab, neue Visionen für eine andere Zukunft zu schaffen.

Denn die unbequeme Wahrheit ist, dass die Zukunft auch schön sein kann – aber das geht nur, wenn wir unser Zukunftsdenken verändern und neue Wege finden unsere Zukunftsvorstellungen mitzugestalten.

Wenzel Mehnert

Die Entwicklung von eigenen Zukunftsgeschichten kann auch dabei helfen, die eigenen Zukunftsvorstellungen zu reflektieren. An der TU Berlin entwickeln wir zum Beispiel kreative Methoden, um mit Ingenieur*innen und Entwickler*innen Visionen für die Zukunft zu entwerfen und dabei die eigenen Annahmen kritisch zu hinterfragen. Über unterschiedliche Workshopformate bringen wir dafür die Teilnehmer ins Spekulieren über positive Zukünfte. Die Visionen, die hierbei entstehen, dienen den Entwickler*innen wiederum als Leitbilder für die eigene Praxis. So werden aus den Fiktionen in nicht allzu ferner Zukunft Fakten – und die Welt ein kleines Stück besser.

Um eine Zukunft zu gestalten, braucht es proaktive Leitbilder, denen wir folgen können. Dafür sind vor allem drei Dinge wichtig:

  • Hinterfragen Sie die Erzählungen, mit denen Sie die Zukunft denken.
  • Fragen Sie sich „Wie möchte ich, dass die Zukunft aussieht und wie kann ich sie gestalten“?
  • Schaffen Sie einen Raum für die spielerische und kreative Gestaltung von hoffnungsvollen Zukünften.

Der österreichische Zukunftsforscher Robert Jungk hat mal gesagt, dass die Utopie es ermöglicht, sich die Zukunft wieder anzueignen und sie somit selbst zu gestalten. Wenn wir Lösungswege finden wollen, um aus der Imaginations-Krise zu gelangen, müssen wir uns erlauben, auch das Unmögliche zu denken. Denn die unbequeme Wahrheit ist, dass die Zukunft auch schön sein kann – aber das geht nur, wenn wir unser Zukunftsdenken verändern und neue Wege finden, unsere Zukunftsvorstellungen mitzugestalten. Der Anfang läuft dabei über die Erzählung. Denn wenn wir hoffnungsvolle Zukünfte erzählen, erhöhen wir auch die Wahrscheinlichkeit, dass diese Zukünfte tatsächlich eintreffen.

 


 

Über den Autor:

 

Wenzel Mehnert ist Kultur- und Medienwissenschaftler und arbeitet an der Universität der Künste Berlin und der Technischen Universität Berlin. In seiner Forschung bewegt er sich an der Schnittstelle zwischen soziotechnischen Imaginären und technologischer Entwicklung. Neben der analytischen Auseinandersetzung mit Technikzukünften in unterschiedlichen Diskursen entwickelt er kreative Methoden zur Reflexion gegenwärtiger Zukünfte mit gestalterischen Mitteln aus Design und Literatur und gibt Seminare zur medialen Darstellung von Zukunftsvorstellungen. In seiner Doktorarbeit widmet er sich dem Science-Fiction Subgenre Neuropunk und untersucht die gegenwärtigen und vergangenen Imaginäre des Neurointerfaces in der Popkultur.

 

Quellen:

 

[1] Mulgan, G., & Helsinki, D. (o. J.). The Imaginary Crisis (and how we might quicken social and public imagination). 37.

[2] Herbst, S., et al., (2018). Kultivierung von Zukunftsängsten durch dystopische Unterhaltungsmedien.

[3] Hermann, Isabella (i.E): Die Dystopie ist da, die Utopie ist tot – es lebe die Anti-Dystopie. Zeitschrift für Fantastikforschung.

[4] Mehnert, W. (2021). Solarpunk oder wie SF die Welt retten will. In H. Kettlitz & M. Wylutzki (Hrsg.), Das Science Fiction Jahr 2021.

Credits

Text: Wenzel Mehnert

Fotos: Unsplash

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Text: Wenzel Mehnert

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