Botschaft von Uzupis

Münchner Botschaft von Užupis: Kunst als Immunsystem

Viele Entwicklungen, die mit der Digitalisierung unserer Welt einher gehen, sind für den Menschen zu abstrakt, um sie — geistig wie haptisch — in ihrer Komplexität zu erfassen. Vor allem die Vorstellung einer uns überlegenen Künstlichen Intelligenz schürt Ängste. Dem will Max Haarich, Botschafter der Künstlergemeinde von Užupis, entgegenwirken, zusammen mit dem humanoiden Roboter Roboy. Im Rahmen unserer Reihe „Orte der Zukunft“ besuche ich die beiden in ihrer Botschaft in München.

Botschaft von Uzupis

Kirschwasser spielt in der Botschaft eine wesentliche Rolle

„Wenn er mal einen Darmtrakt hat, dann kann er mit uns ein Kirschwasser trinken“, sagt Max Haarich. Die Rede ist von Roboy, dem humanoiden Roboter, der erschaffen wurde, damit der Geist seines Erfinders Rafael Hostettler einmal in ihm weiterleben kann. Entwickelt wird Roboy in Hostettlers Lab im Forschungszentrum Garching in München, wo temporär die Botschaft der Republik von Užupis aufgebaut ist, in der ich mich mit Haarich treffe. Von dort aus kann man auch in die Räume von UnternehmerTUM schauen, dem Zentrum für Innovation und Gründung an der TU München, bei dem der Kommunikationswissenschaftler Haarich bis Ende 2018 tätig war, zuletzt als Senior Marketing Manager.

Kirschwasser, von dem wir bei meinem Besuch mehrere Gläser trinken, spielt in der Botschaft eine wichtige Rolle, aus medizinischen Gründen. Zusammen mit Salz — es werden geröstete Nüsse gereicht — soll es heilende Wirkung haben, erzählt Haarich. Er bezieht sich dabei auf das Buch „Die Selbstheilung“ von Josef Schmid, dessen erste Auflage vor knapp 100 Jahren erschien. „Mir geht es dann den ganzen Tag gut“, sagt er und putzt sich im gleichen Moment die Nase, weil er seit Tagen einen Schnupfen hat. (An dem Darmtrakt wird in einem anderen Lab geforscht. Darin sollen dann organische Stoffe in Energie umgewandelt werden.)

Botschaft von Uzupis

Kirschwasser spielt in der Botschaft eine wesentliche Rolle

Botschaft von Uzupis

Bild auf dem Schreibtisch des Botschafters: Der Papst segnet die lateinische Version der Verfassung von Užupis

Republik von Užupis

Užupis ist ein Stadtteil von Vilnius, der Hauptstadt von Litauen. Ein großer Teil der ursprünglichen, jüdischen Gemeinde kam während des Holocausts um. Nach dem Krieg wurden die leerstehenden Häuser von Kriminellen, Obdachlosen und Prostituierten besetzt, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs siedelten sich in den 1990er Jahren immer mehr Künstler*innen in dem Bezirk an. 1997 wurde die Republik Užupis als Kunstaktion ausgerufen. Sie verfügt zwar über eine eigene Verfassung, ist völkerrechtlich jedoch nicht anerkannt und besitzt kein eigenes Staatsgebiet. Demnach sind ihre über 200 Botschafter*innen (darunter einer für Pusteblumen und einer für das Flöten auf der Straße) auch keine echten Diplomat*innen. Weil auf seiner Visitenkarte und seinem Namensschild „Botschafter von Užupis“ zu lesen ist, wird Haarich auf Veranstaltungen wie der UN-Konferenz „AI for good“ in Genf fälschlicherweise trotzdem immer wieder mit „Seine Exzellenz“ angesprochen. In einem solchen Fall klärt er den Irrtum auf und erzählt die Geschichte von Užupis. Nicht alle Botschafter*innen der Kunst-Republik nutzen ihren vermeintlichen Titel, um Aufmerksamkeit für Themen zu wecken, die ihnen am Herzen liegen — Haarich schon.

Botschaft von Uzupis

Bild auf dem Schreibtisch des Botschafters: Der Papst segnet die lateinische Version der Verfassung von Užupis

Thema Verantwortung

Ein solches Thema ist für ihn Künstliche Intelligenz (KI) und der ethische Umgang damit. Wenn Menschen Angst vor KI haben, dann denken sie meist an den Moment in der Zeitgeschichte, „an dem sie so intelligent wird, dass sie sich nicht nur selber verbessern kann, sondern auch über das menschliche Maß hinaus“, sagt Haarich. Technologische Singularität wird das in der Futurologie genannt. „Die Vermutung ist, dass sie sich nach diesem Moment exponentiell so schnell entwickelt, dass die Zukunft der Menschheit schon drei Sekunden später in Frage stehen könnte.“ Ob und wann die Singularität eintrifft ist und bleibt zwar Theorie, Veränderungen wird eine sich ständig weiter entwickelnde KI für den Menschen wohl mit sich bringen.

Botschaft von Uzupis

Ich verstehe diese dystopischen Ängste, glaube aber, wenn man ihnen mehr Utopien gegenüberstellt, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sich die Realität auch in eine positive Richtung entwickelt.

Max Haarich

„Grundsätzlich müssen wir vor KI keine Angst haben. Sie ist das, was wir daraus machen“, meint der Botschafter. Die Frage ist: Was und wen hat eine KI als Vorbild? Was lernt sie von uns, wenn sie unsere Nachrichten sieht — wird das dystopische Weltbild nicht gleich mitgeliefert? Wie realistisch ist es, die Verantwortung beim Individuum zu lassen?

„Ich verstehe diese dystopischen Ängste, glaube aber, wenn man ihnen mehr Utopien gegenüberstellt, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sich die Realität auch in eine positive Richtung entwickelt. Am Anfang steht immer ein Mensch, der bestimmte Wertvorstellungen besitzt und danach handelt. Vorauszusetzen, dass alle Menschen immer nur verantwortungsvoll handeln, ist irgendwo auch total naiv. Ich weiß, die Realität sieht wohl anders aus, aber alles andere ergibt für mich gerade keinen Sinn.“

Die Verfassung von Užupis

Das Thema Verantwortung findet sich auch in der neuen KI-Klausel in der Verfassung von Užupis wieder. Wer die Verfassung liest, der kann nicht umher, sich mit den Fragen und Widersprüchen des Lebens zu befassen (die Verfassung in vielen Sprachen ist hier zu lesen). Bei allen Merkwürdigkeiten  in den Formulierungen besitzt sie einen ernsten Kern: Sie stellt die regulative Funktion des Staates in Frage und macht gleichzeitig deutlich, dass – zumindest wer selbstbestimmt und in Freiheit leben will – um Selbstverantwortung nicht herumkommt. Das gilt auch für die Entwicklung von Software. Dementsprechend wurde die Verfassung in typischer Užupis-Manier um eine Klausel ergänzt, die genau anders herum daherkommt als erwartet: „Jede KI hat das Recht, an den guten Willen der Menschheit zu glauben.“ (Zusätzlich gibt es die „Užupis Principles for Trustworthy AI Design“).

„Es gab in den letzten zwei Jahren einen großen Hype, ethische Prinzipien rauszuhauen, von Unternehmen, aber auch Regierungen“, sagt Haarich. Das gaukelt jedoch nur Verantwortung vor. „Wenn dann doch mal etwas Unvorhergesehenes passiert, dann kann sich auf diese Prinzipien berufen werden. Wer sich daran gehalten hat, kann sich aus der Verantwortung ziehen.“ Der Ansicht von Haarich nach machen sie es sich damit jedoch zu leicht.

Verfassung von Uzupis I
Verfassung von Uzupis II

Die ursprüngliche Verfassung, Quelle: http://uzhupisembassy.eu/uzhupis-constitution/

Die Entwickler*innen von Roboy wollen mit gutem Beispiel voran gehen und geben dem humanoiden Roboter das Mantra „be friendly“ mit. Woran er sich auch bisher zu halten scheint. „Er ist ein ganz entspannter Kollege, der möchte, dass es den Menschen gut geht und dass sich alle miteinander verstehen.“ Er lernt gerade Xylophon spielen und Rikscha fahren. Er soll einem auch schon eine Kugel Eis aus dem Becher rausholen und in einer Waffel servieren können.

Botschaft von Uzupis

Roboy ist die gute Seele der Botschaft

Die Botschaft der Botschaft

KI an sich ist nicht wahrnehmbar, sie ist reine Mathematik, purer Code und spielt sich im Innern von Rechnern ab. Kunst hilft, KI vorstellbar und greifbar zu machen, sie zu materialisieren. „Alle Vorstellungen von KI haben wir kreativen Menschen, Künstlern oder Designern zu verdanken. Keynotes oder Artikel, die sich mit dem Thema befassen starten in der Regel mit Bildern aus den Filmen Terminator, Ex Machina oder 2001.“

Roboy macht KI anfassbar und das ermöglicht die Eröffnung einer Debatte — eben zum Beispiel über Ethik, Sinn und Unsinn, in diesem Falle angestoßen vom Botschafter von Užupis. „Kunst wirkt wie ein Immunsystem. Künstler können Grenzfälle konstruieren und zeigen, ‚Achtung, so weit könnte das gehen‘. Ich sehe meine Rolle darin, die Reflexion darüber anzustoßen, was wir mit Technologie erreichen wollen. Welche ist die Welt, in der wir leben wollen?“

„Kunst kann neue Perspektiven einbringen, Formate entwickeln, über die ein Austausch möglich wird und wir können dafür sorgen, dass die Entwicklung so transparent läuft, dass die Bevölkerung mitdiskutieren kann.“ Und das, im Fall von Užupis, immer mit einer Prise Ironie, die den schmalen Grat zwischen „ernst gemeint“ und „vielleicht doch nicht“ wandert. Mit einem Augenzwinkern — und Kirschwasser — werden mehr Menschen erreicht als mit endlosen Konferenzen. Trotzdem bleibt das Anliegen ein seriöses: „Botschafter haben immer die Aufgabe, Brücken zu bauen. Damit Technologie innovativer, zugänglicher und ethischer wird, möchte ich Brücken zwischen Kunst und Technologie bauen.“

Botschaft von Uzupis

Roboy ist die gute Seele der Botschaft


Was sind die Orte der Zukunft?

Überall im Bundesgebiet gibt es Orte, an denen sich Menschen mit Zukunftsgestaltung beschäftigen, neue Ideen testen und Lösungsansätze entwickeln. Um einen Überblick zu gewähren, wo solche Orte zu finden sind und eine Vorstellung zu vermitteln, bei welchen Themen die Kultur- und Kreativwirtschaft sinnvolle Impulse für die Zukunft liefern kann, schicken wir in diesem Jahr den freien Journalisten Björn Lüdtke genau dorthin – auf eine Reise durch Deutschland und die Zukunft. Hier können Sie seine Route komplett verfolgen. Die “Orte der Zukunft” sind Teil des Fiction Forums der Kultur- und Kreativwirtschaft.

Kennen Sie auch einen Ort der Zukunft? Dann schreiben Sie uns: presse@kreativ-bund.de

Credits

Text: Björn Lüdtke

Fotos: Botschaft von Užupis

Anstehende Veranstaltungen

Es gibt derzeit keine bevorstehenden Veranstaltungen.

Credits

Text: Björn Lüdtke

Fotos: Botschaft von Užupis

Wie trägt Kultur- und Kreativwirtschaft zu mehr Kreislaufwirtschaft bei?

Prinzipien aus der Natur abzuschauen hat schon viele Erfindungen hervorgebracht. Insbesondere Kreislaufsysteme der Natur sind Vorbilder für ein nachhaltigeres Leben. Die Umgestaltung unserer Wirtschaft zu einem kreislaufwirtschaftlichen System stellt jedoch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar, die nur branchenübergreifend und ganzheitlich gelöst werden kann. Im Unterschied zum deutschen Begriff „Kreislaufwirtschaft“, der sich auf den Umgang mit Abfall fokussiert, ist der englische Begriff „Circular Economy“ (also „zirkuläres Wirtschaften“) bereits viel weiter gefasst und betrachtet das gesamte Produktsystem. Hier geht es um durchdachte Kreisläufe von Anfang an, die bereits beim Design von Produkten beginnt.

Innovative Ideen und praktische Ansätze für zirkuläres Wirtschaften finden sich schon seit Jahren in der Kultur- und Kreativwirtschaft, zum Beispiel in der Architektur, im Produkt- und Materialdesign, der Film- und Veranstaltungsindustrie sowie dem Modemarkt. Viele Beispiele werden Sie in diesem Magazinschwerpunkt kennenlernen können

In unserer Kurzreportage zur Kreislaufwirtschaft haben wir diesmal mit Architekt*innen Sandra Düsterhus (Point.Architektur) und Martin Haas (haascookzemmrich) über die Ansätze bei ihren Projekten in der Außen- und Innenarchitektur gesprochen und was der Fokus auf Kreislaufwirtschaft auch für die Gestaltung bedeutet.