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Zwischen Größenwahn und Durchschnitt

Im zweiten Teil unseres Berichts zur Learning Journey im Rahmen des Projekts PHASE XI geht es um unseren Besuch in den Labs Microfactory, Utopien der Mobilität, Food Lab Münster, Testmärkte und dem Amt für unlösbare Aufgaben.

Reisen mit einem Oldtimer-Doppeldeckerbus auf der A7 mit 80 km/h. Was klingen mag wie Kaffeefahrten für Senioren, sind Trips in die Zukunft – Learning Journeys, organisiert vom Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes. Die drei Fahrten finden diesen Sommer im Rahmen des Projekts Phase XI statt.

Den ersten Teil des Berichts können Sie hier nachlesen.

 

Learning Journeys (Teil 2)

Bis zum Ende des Jahres werden deutschlandweit in acht Ideenlabs Antworten auf Zukunftsfragen erörtert. Die Themen sind vielfältig: Es geht um Arbeit, Mobilität, Ernährung und Bürokratie, um das Internet der Dinge, die Eroberung des ländlichen Raumes, um Wertevorstellungen und Weltbilder. Auch die Ansätze der Teams sind divers, aber immer zukunftsgerichtet, interdisziplinär, natürlich kreativ – und nicht technikgetrieben. Ziel ist, neue Perspektiven auf relevante Themen aus Wirtschaft und Gesellschaft zu eröffnen und konkrete Prototypen zu entwickeln.

Zeit also, sich einen Überblick zu verschaffen. Zusammen mit dem Kooperationspartner Bundesverband Mittelständische Wirtschaft (BVMW) lud das Kompetenzzentrum zu drei Expeditionen zu acht Zukunftsideen ein.

Hafven
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Hannover. Im Hafven – einem der größten Coworking- und Maker Spaces Deutschlands – stellen sich gleich zwei Labs vor: das Microfactory Lab und das Lab Utopien der Mobilität.

Das Microfactory Lab ist direkt im Hafven ansässig. In dem eigens erbauten Gebäude befindet sich, neben Büroflächen und einem Café, eben jener von einer 700 Personen starken Community und einem Start-Up getragene Maker Space: Eine offene Werkstatt zur Holz- und Metallverarbeitung. Daraus möchte das Lab nun eine Microfactory entwickeln, eine zukünftige Produktionsstätte, in der Einzelunternehmer, vom Handwerker bis zum Designer, ihre Produkte herstellen können. „Bei allem was hier passiert, geht es immer darum, Wissen zu teilen“, erläutert Kultur- und Medienwissenschaftlerin Pauline Raczkowski die Kernabsicht des Labs. Aus diesem Grund finden nicht nur Workshops und Vorträge statt, sondern liegen auch Bau-Anleitungen für Möbel vor. Zugegeben, wir würden auch gern direkt loslegen, aber wir haben noch viel vor uns. Während der Begehung blinzeln wir im Innenhof der zurückhaltenden Sonne entgegen und beißen in die Brote unserer Lunchpakete.

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Anschließend stellt sich das Lab Utopien der Mobilität vor. Ein Think Tank, das sich der Konzeption neuer Fortbewegungsmöglichkeiten widmet. Vorbilder sind natürlich Ferdinand Magellan oder Juri Gagarin, aber auch Felix Baumgartner und sein Sprung aus der Stratosphäre. Lutz Wöllert, Mitglied des Labs, erklärt den Grund dafür: „Die Geschichte der Mobilität hat vor allem mit Irrsinn zu tun.“ Ein bisschen von diesem Irrsinn möchte das Lab in die Diskussion um die mobile Zukunft einbringen. Das Lab möchte weiter denken und weiter gehen als Carsharing oder aufs kleinste zusammengeklappte Fahrräder. Darum entwickelt es gerade elf ikonische Pionierfahrten des 21. Jahrhunderts, darunter das Pionierparken über 22h 48min (das ist die Zeit, die ein Auto durchschnittlich täglich steht) oder das professionelle Spazierengehen. „Über Pioniere wurde zu ihrer Zeit immer erst gelacht und zum Teil gespottet“, meint Lutz Wöllert, „das gehört zum Größenwahn dazu.“

Zurück im Bus ist es nun doch wärmer geworden, die Sonne kommt zunehmend hinter den Wolken hervor, das Verdeck wird aufgemacht und die Sonnenbrillen hervorgeholt. Man spricht über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Labs, über unterschiedliche Methoden und Ansätze der Themenbearbeitung.

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Man spricht auch über den bevorstehenden Besuch des Foodlab Münster, das sich der problematischen Frage widmet, wie wir im Jahr 2050 zehn Milliarden Menschen ernähren können. Bis dahin sind es nur noch 34 Ernten. Es scheint also naheliegend, eine sachliche Präsentation zu erwarten, Statistiken über die Zukunft des Essens, visualisierte Horrorgeschichten über nahende Wasserknappheit, drohender Nahrungsnotstand, unterfüttert mit Bilanzauszügen. Dazu technologische Lösungskonzepte, Buzzwords wie Weltraumnahrung, 3D-Drucker, genmanipulierter Mais oder Super-Soja. Oder Tipps zum Eigenanbau von Gemüse, Bienenhaltung auf den Dächern der Großstädte.

Doch in Münster angekommen stehen wir in einem unscheinbaren, gefliesten Raum der Fachhochschule zwischen mehreren kleinen Tafeln und Tischen, auf denen sich Teller und Terrinen, Schalen und Schüsseln befinden – bestückt mit kleinen Tartes, Omeletts, wilden Blumen und Kräutern, Dips in unterschiedlich bunten Farben, sowie Gemüse in allen Formen und Varianten: Roh, gegrillt, gefüllt, glasiert, sautiert, mit Soßen und Ölen beträufelt, einzeln in dünnen Scheiben drapiert, zusammen in großen Schüsseln vermengt. Es sieht aus, als wäre man mitten hineingeraten in ein Fotoshooting für die neueste Sommerausgabe von Essen & Trinken.

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Die Erklärung dafür ist außergewöhnlich und eigentlich doch ganz einfach: Das Foodlab Münster stellt nicht die möglichst kostengünstige Nahrung für alle für die Einleitung einer Lebensmittelwende in den Fokus, sondern konzentriert sich auf den sozialen Aspekt des Essens, den sie als Weg zu mehr Wertschätzung von Lebensmitteln sehen. „Sozial“ bezieht sich dabei nicht nur auf den Verbrauch, sondern auch schon auf die Herstellung und Zubereitung von Lebensmitteln. Dafür hat das Lab sechs harte Kriterien für zukunftsorientierte Ernährungsoptionen entwickelt und erprobt diese – zum Beispiel durch gemeinsames Essen. Darüber hinaus auch durch gemeinsames Säen, Anbauen, Ernten. Gemeinsames Einkaufen, Auswählen, Zubereiten. Gemeinsames Kochen und eben vor allem gemeinsames Kauen, Riechen, Schmecken, Schlucken, Genießen. Essen. „Es geht um die Verknüpfung von Esskultur, Genuss und Wissenschaft“, erläutert Prof. Dr. Guido Ritter, Leiter des Teams, „um dadurch ein neues Verständnis für Ernährung aufzubauen.“  Zufrieden, satt und neugierig freuen wir uns auf die letzten verbleibenden Labs.

Bei offenem Verdeck wird die Fahrt nach Haßloch aufgenommen. In der Stadt angekommen steigt Bürgermeister Lothar Lorch zu und eröffnet die Stadtrundfahrt. Das Besondere an Haßloch ist, dass es nicht besonders ist. Es zählt neben fünf weiteren Kleinstädten zu den durchschnittlichsten Orten Deutschlands. Aus diesem Grund hat sich schon in den Achtzigerjahren die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) hier angesiedelt und Haßloch als sogenanntes deutsches „Testdorf“ bekannt gemacht.

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Das nehmen Christoph Brosius, Carolyn Braun, Antje Eichhorn und Marcus Pfeil vom Testmärkte zum Ausgangspunkt dafür, ihren eigenen Testmarkt zu eröffnen. Dort geht es jedoch nicht um Marktforschung im üblichen Sinn, sondern um Wertevorstellung der Durchschnittsdeutschen, denn: Wie kann es sein, dass die Marktforschung immer präziser wird, während zuletzt überraschend unzuverlässige Wahlprognosen aufgestellt wurden? Das Testmärkte Team möchte diesen Widerspruch aufgreifen, indem sie untersuchen, inwieweit diese Methoden zusammengebracht werden können. Was sagen die Produkte über mich aus, die ich kaufe? Lässt sich von unseren Konsumentscheidungen auf unsere Wertevorstellungen schließen? Und wenn ja, wie?

Während wir noch gedanklich durchspielen, worauf unser letzter Einkauf in Bezug auf die nahende Bundestagswahl schließen ließe, fahren wir zwischen grünen Hügeln und Weinbergen zum letzten Lab. Es ist windig, aus den Boxen tönt Roy Orbinsons „You got it“. Noch 15 km bis Heidelberg. Die Stimmung ist ausgelassen und jemand verteilt eisgekühlte Limonade.

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An einem großen runden Tisch sitzen Leonie Pichler, Matthias Burgbacher und Julia Wartmann vom Amt für unlösbare Aufgaben. Heute findet die offizielle Pressekonferenz statt, sowohl die lokale Presse als auch verschiedene Heidelberger Ämter sind anwesend. Das Lab scheint auf den ersten Blick das wahnwitzigste Projekt von Phase XI zu sein, hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit Bürokratie-Routinen zu brechen. Für diese Aufgabe hat sich das Team Heidelberg ausgesucht. Die Stadt, die auf dem Weg zur Smart City ist und gerade die Finalrunde des Bitkom-Wettwerbs „Digitale Stadt“ erreicht hat, könnte ja dem Projekt gegenüber aufgeschlossen sein, dachten sie – und behielten recht. Die Stadt Heidelberg fand die Idee sogar so bemerkenswert, dass sie kurzerhand ein Ämter-Team aufstellte, um gemeinsam handlungsfähig zu werden.

Als nächster Punkt, verkündigen sie, stehe nun die Einigung darüber auf der Liste, welche Themen symptomatisch für die Umsetzung in den Vordergrund treten werden: Standesämter oder Zwischennutzung, Steuererklärung oder Skateparks, Obdachlosigkeit oder Parkmöglichkeiten? „Denn wenn es um bürokratische Veränderungen geht, also um die Verwaltung der Zukunft, dann wollen alle mitsprechen und die Diskrepanz zwischen dem Interesse des Gemeinwohls und dem des Individuums wird groß“, erläutert Stadtentwickler Matthias Burgbacher mit einem Augenzwinkern, und Theaterregisseurin Leonie Pichler ergänzt: „Aber Mitsprache, Mitmachen und Bürgerbeteiligung sind gewollt.“ Um auch außerhalb von Heidelberg teilhaben zu können, gibt es eine extra eingerichtete Webseite, auf der eigene Bürokratie-Ideen und -Erfahrungen eingetragen werden können – mit dem passenden Namen: http://www.deutschland.brauchtdich.com/.

 

Quer durchs Land gibt es also diese Aufgaben, Mammutaufgaben, die es zu bewerkstelligen gilt. Aber es gibt eben auch diese acht Labs, Ideenwerkstätten, Standorte, an denen daran gearbeitet wird – innovativ, unkonventionell, akribisch, mit Listen und Lösungen.

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Credits

Text: Lin Franke / Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Fotos: Ariane Kaiser

Anstehende Veranstaltungen

Es gibt derzeit keine bevorstehenden Veranstaltungen.

Credits

Text: Lin Franke / Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Fotos: Ariane Kaiser

Künstliche Intelligenz als Werkzeug von Kreativen

Die fortschreitende Digitalisierung verändert tiefgreifend, wie wir leben, arbeiten und auch politisch partizipieren. Eine der großen Herausforderungen unserer Zeit ist, sowohl die politische Teilhabe zu stärken als auch die Demokratie vor digitalen Bedrohungen zu schützen.

Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz wird beispielsweise kreative Teilhabe für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich, indem komplexe Werkzeuge und Techniken auch ohne tiefe Fachkenntnisse genutzt werden können. KI ermöglicht es Menschen aus verschiedenen Hintergründen, ihre kreativen Ideen zu verwirklichen und neue Formen der künstlerischen Zusammenarbeit zu erkunden. Das fördert die Vielfalt und Innovation in der kreativen Landschaft. Gleichzeitig stellt diese Entwicklung die traditionellen Vorstellungen von Urheberschaft und Originalität infrage, da KI-gestützte Kreativität zunehmend die Grenze zwischen menschlicher und maschineller Schöpfung verwischt.

Auch die Fragen, was Kreativität bedeutet und wo die Kernkompetenzen der Kreativschaffenden liegen, werden an Wichtigkeit gewinnen und ihre Antworten sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich bringen. KI ist auf dem heutigen Stand eher nicht „kreativ“ – aber sie verändert kreative Prozesse. Sie kann Kreativschaffende in ihrer Kreativleistung unterstützen, sie erweitern und als Inspirationsquelle dienen.

In unserer Kurzreportage sprechen wir mit den Künstlern Julian van Dieken und Roman Lipski über das Potenzial von KI als künstlerische Muse und Werkzeug, das neue Zugänge und Innovationsprozesse ermöglicht.