Creative Bureaucracy

Jetzt wird es amtlich!

Kultur- und Kreativwirtschaft kann Bildung reformieren, Ökologie revolutionieren und Digitalisierung humanisieren. Wieso also nicht über Veränderungsprozesse in der Verwaltung nachdenken? Letztes Jahr hat das Amt für unlösbare Aufgaben des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft gezeigt, dass das geht.

Verwaltung gestaltet die formellen und rahmengebenden Aspekte gesellschaftlichen Zusammenlebens. Damit hat die öffentliche Hand die Chance, die Rolle der Vorreiterin und Ermöglicherin von Fortschritt und Veränderung zu übernehmen. Eine Chance, die genutzt werden sollte, da auch das Bedürfnis und die Notwendigkeit, den Kunden und Mitarbeitern neue Konzepte und Handlungsspielräume anzubieten, ständig steigt.

Der Raum für Innovationen und Neues wird jedoch paradoxerweise sowohl intern als auch extern nahezu ausschließlich auf der Seite der „Kunden“, nicht aber in den Strukturen und Ansätzen der öffentlichen Hand selbst gesehen: Gerade nach eigenen Angaben erlebt sich Verwaltung selbst häufig als nicht ausreichend innovativ und zu stark in Strukturen verhaftet.

Oliver Rack

Organisationen, insbesondere die öffentliche Verwaltung, befinden sich in einer dynamisierten Phase des Wandels. Technologische und gesellschaftliche Veränderungen wie die informationelle Vernetzung und die Demokratisierung von Möglichkeiten sowie veränderte Ansprüche an Teilhabe und globale Nachhaltigkeit fordern als äußere Parameter die Wandelfähigkeit und Struktur von Organisationen heraus.

Oliver Rack, Open Government Partnership und Fellow des Kompetenzzentrums

Tatsächlich gibt es innerhalb der Verwaltungs-Institutionen eine Vielzahl von Menschen, die gern neue Wege gehen würden und ein Interesse haben, Veränderung anzutreiben, neue Ideen auszuprobieren und mit gutem Beispiel voranzugehen. Gleichzeitig steht die öffentliche Verwaltung aber ganz konkreten Problemen gegenüber, wie dem enormen Fachkräftemangel. Vor allem der IT-Bereich ist davon stark betroffen. D. h. der Wunsch nach Veränderung kann auch durch die bestehende Arbeits-Situation verhindert werden.

Die sich dadurch erschließenden Handlungsfelder werden an sehr unterschiedlichen Stellen wahrgenommen. Unter anderem auch als interessantes wirtschaftliches Betätigungsfeld, wie der Herausgeber des Tagesspiegels, Sebastian Turner, in einem Artikel betont.

Sebastian Turner, Herausgeber des Tagesspiegel, zu Gast beim Fellow-Forum im Oktober 2017

Was sehen wir dann, wenn wir an die Bürokratie denken? Die größte Branche der Erde. Die wirkmächtigste Kraft, um das Schicksal der Menschheit zu verbessern. Mehr als hunderttausend Menschen in Berlin, ein paar Millionen Bürokraten im Land und Hunderte von Millionen von Menschen weltweit, die vieles, wenn nicht fast alles bewirken könnten, mehr als jede andere Gruppe.

Sebastian Turner in seinem Artikel "Innovation aus Berlin. Die Bürokratie ist eine Zukunftsbranche."
https://www.tagesspiegel.de/politik/innovation-aus-berlin-die-buerokratie-ist-eine-zukunftsbranche/21134544.html

Um die Potenziale, die in Verwaltung und Bürokratie stecken, zu betonen, setzen Akteure der Kreativwirtschaft an unterschiedlichen Stellen Impulse und erschließen neue Möglichkeitsräume. Zugespitzt geht es um die Fragestellung: „Wie bekommen wir Menschlichkeit, eine ansprechende Sprache, Wertschätzung, Design, Humor und Identifikation in die Bürokratie?“ (Leonie Pichler, Bluespot Productions / Amt für unlösbare Aufgaben). Also geht es um viel umfassendere Innovationsprozesse, die weit über den digitalen Wandel hinausreichen und die ein besonderes Potenzial erfordern.

AuA

Das Amt für unlösbare Aufgaben bei der ersten Pressekonferenz, Juli 2017. Foto: Ariane Kaiser

Ein Amt für unlösbare Aufgaben

Was zunächst absurd klingen mag, hat mit dem Projekt PHASE XI des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes im letzten Jahr wichtige Impulse in die Entwicklung der Heidelberger Stadtverwaltung gebracht. Und das mit einfachen Mitteln: Umgestaltung von Hinweisschildern und Informationstexten, mehr räumliche Atmosphäre und eine Lange Nacht der Bürokratie, bei der zu DJ-Klängen der Reisepass nach 20 Uhr verlängert werden konnte, sind erlebbare Beispiele für die Modernisierung des Verwaltungsapparates. Möglich wurde das, weil in Heidelberg das „Amt für unlösbare Aufgaben“ (AuA) , bestehend aus einer Theatermacherin, einer Architektin, einer Musikproduzentin und eines Stadtentwicklers, für sechs Wochen einen festen Platz in der Städtischen Verwaltung erhielt. Auf Augenhöhe wurden Strukturen betrachtet, hinterfragt und Handlungsräume definiert.

AuA

Das Amt für unlösbare Aufgaben bei der ersten Pressekonferenz, Juli 2017. Foto: Ariane Kaiser

Mit der Auseinandersetzung und Suche nach Lösungsansätzen tauchen vielschichtige Fragen auf: Wie erschließen wir Ressourcen systematisch? Wie lassen sich neue Formen von Kollaboration – wie z. B. ein AuA – in Verwaltungsvorgänge dauerhaft einbinden? Welche Strukturen braucht Verwaltung, um ein Gleichgewicht aus ordnenden Regeln und gestaltender Freiheit zu erreichen? Welche neuen Tätigkeitsbereiche wird es geben? Welche Fähigkeiten und Qualifikationen werden zukünftig benötigt?

Für die Transformation der Verwaltung und für die Herausforderungen, die Politik und Verwaltung bewältigen müssen, liegen die Antworten in der Kombination aus der Fähigkeit zur Gestaltung, technischen Möglichkeiten der Digitalisierung und einem mensch-zentrierten Ansatz.

In Europa entwickeln sich zunehmend dritte Kräfte, neue Bürgerbewegungen. Menschen möchten, auch in Bezug auf ihren städtischen Kontext, ernst genommen werden. Dies macht die kreative Bürokratie so wichtig! Europäische Bürokratie, wie sie aktuell praktiziert wird, steht unter enormem Druck, da sie Innovation bisher meistens eher hemmt.

Charles Landry, Städteforscher und Publizist
http://www.zukunftsinstitut.de/artikel/wohnen/menschen-wollen-beides-urbane-und-rurale-lebensqualitaet/

What if?

Kultur- und Kreativwirtschaft kann in diesem Prozess ein entscheidender Partner sein. Die Kernaufgabe von Verwaltung, gesellschaftliches Zusammenleben zu organisieren, zu verwalten und zu modifizieren, zielt letztlich darauf ab, die Weichen zu stellen für die Gestaltung der Zukunft. Und Zukunft gestalten heißt Antworten geben auf die Frage: „What-if?“ Das erfordert die Schaffung von Möglichkeitsräumen, in denen es gilt, Bestehendes aus neuen Perspektiven zu betrachten und unter Ungewissheit in Bezug auf das, was kommt, Entscheidungen zu treffen und Veränderung umzusetzen.

Diese What-if?-Kompetenz ist genauso wie Erlebnis- und Prozessgestaltung, Gamification, Szenografie und Dramaturgie eine Kernkompetenz der Kultur- und Kreativwirtschaft.

Insofern ergibt sich aus dem Status quo eine zukunftsweisende Schnittstelle für die Zusammenarbeit zwischen Staat, Verwaltung und Kultur- und Kreativwirtschaft.

Wir haben zwei Wünsche offen: 1. die deutsche Bürokratie wird immaterielles UNESCO Kulturerbe, 2. jede Stadt bekommt ein AMT FÜR UNLÖSBARE AUFGABEN, welches sich um Wertschätzung, Menschlichkeit, Design, Humor, Teams, Identifikation und andere außerordentliche Anforderungen kümmert.

Auszug aus dem Buch: "Amt für unlösbare Aufgaben" von Matthias Burgbacher, Leonie Pichler, Julia Wartmann und Lilia Kleemann

Die Branche entwickelt Methoden und Handlungsoptionen, um mit dem Neuen umzugehen. Begegnet sie unvorhergesehenen Herausforderungen, entwickelt sie neue Strategien, um diese erfolgreich zu meistern. Ihr Wert bemisst sich neben ihren wirtschaftlichen Kennzahlen vor allem auch in dem Impact, den sie generiert. Sie schafft geschützte Räume, in denen sie Szenarien erprobt, in schnellen Experimenten Thesen und Vermutungen testet und Anwendungsfälle schafft. Dadurch minimiert sie Risiken und entwickelt schnell Handlungsoptionen. Über ihre Fähigkeit, zum Beispiel Ideen in Bildern, Zusammenhänge in Spielen oder Prozesse in erlebbaren Designs abzubilden, schafft sie niedrigschwellige Zugänge auch zu komplexen Sachverhalten.

Insofern kann sie ein wertvoller Partner sein, um gemeinsam mit Bürgern und Verwaltung Instrumente und Methoden zu entwickeln, die die in der Gesellschaft aber auch der Verwaltung vorhandene Innovationskraft und Dynamik als Ressource nutzbar macht.

In diesem Zuge kann Bürokratie durchaus als „größte Branche der Welt“ betrachtet werden und als Chance für die Kultur- und Kreativwirtschaft, mit neuen Geschäftsmodellen den digitalen Wandel zu begleiten und den wachsenden gesellschaftlichen Anforderungen zu begegnen.

Kann das funktionieren? Die einen sagen, das sei ambitioniert und vielleicht ein wenig naiv – die anderen sagen, das sei visionär und eine enorme Chance für den Innovationsstandort Deutschland.

 

Veranstaltungshinweise:

Zukunftskongress Staat & Verwaltung 2018 + Praxisworkshop Creative Bureaucracy

Beim Zukunftskongress Staat & Verwaltung 2018 – der Leitveranstaltung des Public Sectors für Digitalen Wandel – lädt das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft am 20.6. zur Grenzüberschreitung beim Frühstück ein: In drei Inspirational Talks à 6 Minuten stellen Julia Köhn und Johannes Tomm vom Kompetenzzentrum sowie Hendrik Haase und Lutz Woellert aus dem Fellow-Netzwerk Bereiche und Schnittstellen vor, an denen Kollaborationen zwischen der Kultur- und Kreativwirtschaft und anderen Sektoren erfolgreich umgesetzt wurden. Zum Dessert wird der Transfer auf Staat & Verwaltung diskutiert.

Daran anknüpfend findet am 4. Juli der Praxisworkshop Creative Bureaucracy statt. Darin wird besprochen, wie öffentliche Verwaltung in Zeiten tiefgreifenden Wandels ein effizienter und verlässlicher Partner von Wirtschaft und Gesellschaft sein kann und welchen Beitrag Akteure aus Kultur- und Kreativwirtschaft und Open Government leisten können, damit diese Transformation gelingt.

Mehr zum Praxisworkshop und zur Anmeldung gibt es hier.

Credits

Text: Eva Kiltz, Julia Köhn, Johannes Tomm

Fotos: Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes, Ariane Kaiser, Oliver Rack

Anstehende Veranstaltungen

Es gibt derzeit keine bevorstehenden Veranstaltungen.

Credits

Text: Eva Kiltz, Julia Köhn, Johannes Tomm

Fotos: Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes, Ariane Kaiser, Oliver Rack

Wie trägt Kultur- und Kreativwirtschaft zu mehr Kreislaufwirtschaft bei?

Prinzipien aus der Natur abzuschauen hat schon viele Erfindungen hervorgebracht. Insbesondere Kreislaufsysteme der Natur sind Vorbilder für ein nachhaltigeres Leben. Die Umgestaltung unserer Wirtschaft zu einem kreislaufwirtschaftlichen System stellt jedoch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar, die nur branchenübergreifend und ganzheitlich gelöst werden kann. Im Unterschied zum deutschen Begriff „Kreislaufwirtschaft“, der sich auf den Umgang mit Abfall fokussiert, ist der englische Begriff „Circular Economy“ (also „zirkuläres Wirtschaften“) bereits viel weiter gefasst und betrachtet das gesamte Produktsystem. Hier geht es um durchdachte Kreisläufe von Anfang an, die bereits beim Design von Produkten beginnt.

Innovative Ideen und praktische Ansätze für zirkuläres Wirtschaften finden sich schon seit Jahren in der Kultur- und Kreativwirtschaft, zum Beispiel in der Architektur, im Produkt- und Materialdesign, der Film- und Veranstaltungsindustrie sowie dem Modemarkt. Viele Beispiele werden Sie in diesem Magazinschwerpunkt kennenlernen können

In unserer Kurzreportage zur Kreislaufwirtschaft haben wir diesmal mit Architekt*innen Sandra Düsterhus (Point.Architektur) und Martin Haas (haascookzemmrich) über die Ansätze bei ihren Projekten in der Außen- und Innenarchitektur gesprochen und was der Fokus auf Kreislaufwirtschaft auch für die Gestaltung bedeutet.