matthias-wagner-QrqeusbpFMM-unsplash

Die gute Idee: Zusammen wegbleiben

Die Spendenaktion „Keiner kommt, alle machen mit" für die Hamburger Kulturszene hat in kürzester Zeit für nationale Aufmerksamkeit gesorgt und prominente Unterstützer*innen von Johannes Strate von Revolverheld bis zur Hamburger Polizei mobilisiert. Neben der guten Idee war für diesen Erfolg noch etwas maßgeblich: Ein tatkräftiges und solidarisches Netzwerk.

keinerkommt

Von den Beatles bis zu Billie Eilish: #keinerkommt

Die Beatles, ABBA und Billie Eilish werden bei diesem Festival nicht auf der Bühne stehen. Ebenso wenig die Ärzte, Green Day, Ed Sheeran oder die Foo Fighters – auch wenn ihre Namen prominent auf dem Plakat platziert sind. Ex-Fußballer Per Mertesacker, Scooter-Sänger H.P. Baxxter oder Johannes Strate von Revolverheld betonen extra in Videobotschaften , dass sie auf keinen Fall dabei sind beim Nicht-Festival Keiner kommt, alle machen mit. Der Clou? Das Festival hat einen Termin: am 12 Mai 2020 soll die Party nicht steigen und man soll Tickets kaufen. Diese gibt es ab 11 Euro.

Was das alles soll? Die privaten Hamburger Theater- und Musikbühnen, die Hamburger Filmwirtschaft, die Hamburger Clubkultur und freie Kulturschaffende aus Hamburg in Zeiten von Corona finanziell unterstützen. Dafür hat Lars Meier, Gründer des Vereins Mensch Hamburg  und Geschäftsführer der PR-Agentur Gute Leude Fabrik , das Solidaritäts-Nicht-Festival „Keiner kommt, alle machen mit“ auf die Beine gestellt. Das Prinzip dabei ist: Zuhause bleiben und damit Gutes tun. In diesem Fall bedeutet das, für das Nicht-Teilnehmen an einem Nicht-Festival Tickets zu kaufen. Man könnte es auch einfach einen Spendenaufruf nennen, doch wäre das nur halb so lustig. Denn bemerkenswerter Weise fühlt sich „Keiner kommt, alle machen mit“ trotz seines expliziten fiktiven Charakters sehr nach einem Gemeinschaftserlebnis an und hat bereits im Vorfeld die Anmutung eines lokalen Lagerfeuerevents.

Und dann ist es eigentlich auch schon wieder etwas mehr als ein Spendenaufruf: Die Tickets können ausgedruckt und an den Kühlschrank gehangen werden, außerdem wird Merchandise wie Festival-T-Shirts und Taschen angeboten – und es können auch Nicht-Getränke auf der Website gekauft werden. Wie gut die Idee ankommt, zeigt darüber hinaus, dass das „Keiner kommt, alle machen mit“ ursprünglich als Musik-Festival geplant war – mittlerweile durch das rege Interesse verschiedener Künstler*innen, unbedingt auch nicht mitzumachen, nun aber noch ein Literaturzelt, ein Familienprogramm und eine Podcast Arena mit prominenten Nicht-Teilnehmer*innen dazugekommen sind.

Im Interview mit Konrad Spremberg erzählte Initiator Lars Meier im April von seiner guten Idee:

keinerkommt

Von den Beatles bis zu Billie Eilish: #keinerkommt

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

 

Lars Meier ist in Hamburg kein unbeschriebenes Blatt. Mit dem Verein „Mensch Hamburg“ hat er schon verschiedene gemeinnützige Events mit Wiedererkennungswert erfunden und umgesetzt – wie den Welttrinkgeldtag, bei dem teilnehmende Gastronom*innen eine Spende in Höhe des an diesem Tag eingenommenen Trinkgelds abgeben. Das Kamelrennderby auf dem Hamburger Dom, deren Erlös an soziale Projekte geht. Oder die Kartenspiel-Meisterschaft Mau Mau-Masters. Was diese Projekte eint? Sie klingen allesamt auf eine charmante Art und Weise erst einmal ein wenig verrückt. Und funktionieren. Die Events locken eine illustre Gesellschaft: Teilnehmer*innen setzen sich aus Hamburger Politik, Wirtschaft und Entertainment zusammen. Dass das alles klappt, liegt natürlich auch daran, dass Meier PR-Profi ist. Sich selbst bezeichnet er als Kommunikator: „Ich bin Kreativer – ich überlege mir Ideen und versuche, dann Leute dafür zu begeistern.“

 

Lernen, wie Ideen sich wandeln können

Was im Fall „Keiner kommt, alle machen mit“ ausgesprochen schnell ging: Zwischen einem vorzeitig beendeten Mittagessen mit Kolleg*innen („Heute kein Dessert für mich – ich habe eine Idee!“) und dem ersten Line-up lagen 36 Stunden. „Der Erfolg dieser Idee lag darin, dass ich die richtigen Leute angerufen habe“, erklärt Meier. „Und der große Glücksfall war, dass ich in dem Kultursenator der Stadt Hamburg, Carsten Brosda, jemanden gefunden habe der gesagt hat: ‚Das ist richtig bekloppt, aber gut.‘“

Der zweite Anruf ging an Ole Adams, Leiter Zentrale Programmaufgaben beim NDR, der auch direkt seine Unterstützung zusagte. „Wenn es nicht die beiden gegeben hätte, sondern eher missmutige Menschen, dann wäre es schwierig geworden.“ Am frühen Abend wurden schon die ersten Künstler*innen kontaktiert und um eine Freigabe gebeten, damit ihr Name auf den Plakaten stehen darf – und in kürzester Zeit stand das komplette Musik-Line-Up fest. „Wobei ich dazu sagen muss: Ich habe weder Paul McCartney, noch Agnetha, Björn, Benny und Anni-Frid angerufen, deren Einverständnis habe ich einfach vorausgesetzt“, fügt Meier im Talk mit dem Kulturjournalisten Konrad Spremberg grinsend hinzu. Zudem hat ihm sein Netzwerk unter die Arme gegriffen: „Ich habe nur drei, vier Künstlermanager angerufen, die dann für mich die Arbeit mitgemacht haben. Denn man selber hat nicht die Handynummer von Johannes Oerding oder Aki Bosse im Telefon – andere Leute haben das.“

Lars-Meier

Ich sag immer: Eine Idee, die nicht umgesetzt wird, ist eine Scheißidee.

Lars Meier

Aber wie setzt man eine solches Projekt einfach aus dem Stand um? Wo fängt man an? „Einfach machen. Ich sag immer: Eine Idee, die nicht umgesetzt wird, ist eine Scheißidee.“ Wenn man eine Idee habe, solle man ruhig andere Leute damit konfrontieren – dann kriege man auch irgendwann ein Gefühl dafür, wie sie sich vielleicht auch wandeln kann. „So funktioniere ich zumindest: Ich stelle Ideen zur Verfügung und höre mir dann an, wie man das noch anders oder besser machen kann.“

 

revolverheld

Unterstützt wird das Projekt u.a. von Johannes Strate (Revolverheld)

Gemeinsam außergewöhnliche Maßnahmen entwickeln

Einen Gedankenanstoß möchte Meier geben: „Gerade in Krisenzeiten weiß ja jeder, das ist eine Binsenweisheit, dass wir alle zusammenhalten müssen. Und diese Solidarität leben und uns in diesen Zeiten auch auf Distanz bei der Hand halten müssen.“ Stattdessen würden viele noch ihr eigenes Süppchen kochen und an ihren eigenen Ideen festhalten: „Mich stört die Konkurrenz von Hilfsaktionen zur Zeit.“ Es müsste gerade viel mehr Austausch stattfinden, um in außergewöhnlichen Zeiten außergewöhnliche Maßnahmen zu entwickeln.

Das zeigt sich auch bei „Keiner kommt, alle machen mit“: Ohne die gute Idee geht es natürlich nicht. Aber um sie in Krisen wie diesen mit einer ungewöhnlich hohen Informations- und Newsdichte so umzusetzen, dass sie Gehör bekommt, dafür braucht es ein Netzwerk, dass daran glaubt – und einfach mitmacht. Solidarität in Reinform. „Die Leute, die dahinter stehen, schenken uns ganz viel Aufmerksamkeit über Social Media. Jetzt erhoffen wir uns noch auch noch im Endspurt eine ganze Menge Aufmerksamkeit – denn das bedeutet gleichzeitig auch viele Spenden.“ Der Kartenverkauf endet am 12. Mai. Und dann verpufft das gesamte Festival, bevor es überhaupt stattfinden konnte. Doch was danach an Strukturen und Möglichkeitsräumen bleibt, hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck: Inspiriert davon ist in Koblenz bereits ein weiteres Nicht-Festival unter dem Namen „Bleibt weg“  geplant.

Wer Spenden erhalten will, kann sich bis zum 11. Mai 2020 auf www.keinerkommt.de bewerben. Die Entscheidung über die Förderung soll bis zum 30. Mai fallen. Darüber wird ein 15köpfiges Kulturgremium gemeinschaftlich verantwortungsvoll beraten, denn, um ein letztes Mal Lars Meier zu zitieren: „[wir] sind mit sehr viel Humor dabei, aber da hört die Freude auf und wir wollen sehr gewissenhaft vorgehen, dieses Geld zu verteilen.“

revolverheld

Unterstützt wird das Projekt u.a. von Johannes Strate (Revolverheld)


 

Mit dem Format “Die gute Idee” wollen wir den Blick auf Ideen richten, die inmitten der Einschränkungen zur Eindämmung der COVID-19 Pandemie entstanden sind. Im Interview mit dem Radiomoderator und Journalisten Konrad Spremberg erzählen Gäste von ihren Projekten, die in und teilweise sogar durch die Krise entstanden sind. Welche weiteren guten Ideen dort bisher vorgestellt wurden, können Sie hier sehen.

Credits

Text: Kathrin Gemein

Fotos: Unsplash, #keinerkommt

Anstehende Veranstaltungen

  1. Dossier Live: Internationalisierung in der Kultur- und Kreativwirtschaft

    10. Oktober, 13:00 - 14:00
  2. Unboxing KI

    17. Oktober, 17:30 - 20:00
  3. Innovation Camp 2024 Creative Care

    24. Oktober - 26. Oktober
  4. 2. Fachkräftekongress der Kultur- und Kreativwirtschaft

    27. November

Credits

Text: Kathrin Gemein

Fotos: Unsplash, #keinerkommt

Künstliche Intelligenz als Werkzeug von Kreativen

Die fortschreitende Digitalisierung verändert tiefgreifend, wie wir leben, arbeiten und auch politisch partizipieren. Eine der großen Herausforderungen unserer Zeit ist, sowohl die politische Teilhabe zu stärken als auch die Demokratie vor digitalen Bedrohungen zu schützen.

Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz wird beispielsweise kreative Teilhabe für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich, indem komplexe Werkzeuge und Techniken auch ohne tiefe Fachkenntnisse genutzt werden können. KI ermöglicht es Menschen aus verschiedenen Hintergründen, ihre kreativen Ideen zu verwirklichen und neue Formen der künstlerischen Zusammenarbeit zu erkunden. Das fördert die Vielfalt und Innovation in der kreativen Landschaft. Gleichzeitig stellt diese Entwicklung die traditionellen Vorstellungen von Urheberschaft und Originalität infrage, da KI-gestützte Kreativität zunehmend die Grenze zwischen menschlicher und maschineller Schöpfung verwischt.

Auch die Fragen, was Kreativität bedeutet und wo die Kernkompetenzen der Kreativschaffenden liegen, werden an Wichtigkeit gewinnen und ihre Antworten sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich bringen. KI ist auf dem heutigen Stand eher nicht „kreativ“ – aber sie verändert kreative Prozesse. Sie kann Kreativschaffende in ihrer Kreativleistung unterstützen, sie erweitern und als Inspirationsquelle dienen.

In unserer Kurzreportage sprechen wir mit den Künstlern Julian van Dieken und Roman Lipski über das Potenzial von KI als künstlerische Muse und Werkzeug, das neue Zugänge und Innovationsprozesse ermöglicht.