“Gehen sie mal so weit weg von den Menschen, die sie kennen, wie möglich. Und dann stellen Sie sich in Vierer-Grüppchen zusammen”. Mit diesen Worten beginnt Christoph Brosius den Hauptteil seines Workshops. In der nächsten Stunde soll es darum gehen, sich mit Personen auszutauschen, die bestenfalls in einer ganz anderen Branche arbeiten als man selbst – mit dem Ziel, voneinander zu lernen. Denn: Um aktuelle Krisen meistern zu können, braucht es gebündelte Kompetenzen und Zusammenhalt. Christoph Brosius hat deshalb eine Methode entwickelt, die spielerisch dazu anregt, auch über ungewöhnliche Fusionen nachzudenken, um so neue Lösungswege zu entdecken.
Potenziale erforschen
Brosius‘ Leidenschaft für interdisziplinäre Zusammenarbeit und die spielerische Komplexitätsreduktion durch Game Thinking kommt nicht von ungefähr: Der Videospielproduzent und Scrum Master ist ebenfalls gelernter Werbekaufmann, arbeitete bereits in der Druckerei seiner Eltern, als Aufnahmeleiter beim Fernsehen und als Regieassistent beim Film. Heute hilft er unter anderem Akteur*innen der Kultur- und Kreativbranche und anderen Branchen dabei, durch den Einsatz von Game Thinking spielerisch verborgene Potenziale zu entdecken und weiterzuentwickeln, denn er ist sich sicher: Ansätze und Methoden aus der Kultur- und Kreativwirtschaft können ungewohnte Perspektiven auf bekannte Herausforderungen eröffnen – gerade wenn sie auf den ersten Blick absurd wirken mögen. Aber kann das auch in einem Live-Spiel klappen?
Mit spielerischer Kritik aus Fehlern lernen
Für Brosius’ Gedankenexperiment liefert die Zukunftswerkstatt, die sich die Vernetzung unterschiedlicher Akteur*innen aus dem Mittelstand, der Kreativwirtschaft und der Startup-Szene zum Ziel gesetzt hat, die perfekte Ausgangssituation: An diesem Tag finden sich Menschen jeglichen Alters aus unterschiedlichen Berufsgruppen im Paderborner Technologiepark zusammen – von zukünftigen Gründer*innen bis zu Vorständen von Mittelstandsunternehmen – um sich branchenübergreifend auszutauschen. Dazu hat Brosius Fragen vorbereitet, die innerhalb von Kleingruppen diskutiert werden und dabei helfen sollen, die Perspektive zu wechseln: Welche Fragen würden die Teilnehmer*innen ihren Mitarbeitenden in Bezug auf Ihr Produkt bzw. Ihre Dienstleistung stellen? Wie ließe sich in ihrer Branche schnellstmöglich ein Prototyp entwickeln? Wie können Belohnung und Kritik im Beruf kommuniziert werden?
Ein teilnehmender Unternehmer erzählt die Anekdote von einem Auszubildenden in seinem Unternehmen, der eine 250.000 Euro teure Maschine kaputt gemacht hatte. Statt ewig darüber zu schimpfen, habe man gesagt: “Das war die teuerste Ausbildung der Firmengeschichte”. Laut Brosius ein tolles Beispiel dafür, wie Kritik spielerisch verpackt werden kann. Er selbst kenne eine Agentur, in der monatlich ein Preis für das größte Scheitern an die Person vergeben würde, die den gröbsten Fehler gemacht habe. Zur Preisverleihung gäbe es Drinks für alle und eine kleine Party. Im Kern gehe es darum, in einem gesunden Setting die Kernessenz der Kritik für den Rest des Teams einprägsam zu machen, damit sich der Fehler in Zukunft nicht wiederholt – ohne dabei ein Umfeld aus Angst zu schaffen, weil eine Person für einen Fehler öffentlich an den Pranger gestellt wird. Ein Learning, das auf etliche Berufsgruppen adaptierbar ist.
Durch Game Thinking zu neuen Potenzialen
Die eigene Bubble auch mal verlassen und Outside the Box denken – dafür stehen alle Fragen, die Brosius stellt. Denn kreativwirtschaftliche Potenziale sind in Kooperationen mit vielen Branchen zu finden. Ein tolles Beispiel dafür ist Virtual Reality. Als Brosius alle Teilnehmer*innen bittet, darüber nachzudenken, wie Virtual Reality in ihrer Branche von Nutzen sein könnte, um beispielsweise Risiken zu minimieren, herrscht die ersten Minuten Ratlosigkeit in den Gesichtern der Teilnehmer*innen – bei Virtual Reality denkt man schließlich eher an Videospiele als daran, wie sie den Berufsalltag von z.B. Fahrzeuglackierer*innen erleichtern könnte.
Wie gut genau das funktionieren kann, zeigt eine Anwendung, die in dem umgebauten Doppelstockbus des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes, der im Rahmen der Roadshow vor Ort ist, zu finden ist. Auf zwei Ebenen lassen sich konkrete Einsatzmöglichkeiten von Methoden aus der Kultur- und Kreativwirtschaft finden, von denen viele eine Schnittstelle aus unterschiedlichen Bereichen bilden. So besteht zum Beispiel die Möglichkeit, virtuell eine Motorhaube zu lackieren – und zwar innerhalb eines Programms, mit dem Fahrzeuglackierer*innen im Rahmen ihrer Ausbildung tatsächlich das Lackieren einer Motorhaube üben können. Das Programm zeigt an, welcher Abstand und welche Menge Lack optimal sind und bietet am Ende eine Fehleranalyse. Auf diese Weise kann das Risiko verringert werden, in der realen Welt Fehler zu machen, die durch einen erhöhten Lackverbrauch die Umwelt schädigen und Schäden in Höhe mehrerer tausend Euro anrichten können.
Nach einigen Minuten werden die Gespräche unter den Workshop-Teilnehmer*innen lebhafter. Auch innerhalb der Gruppe von Franziska Gottwald. Aktuell steckt sie in der Gründungsphase ihres Startups, das sich mit der Entwicklung einer App für Demenzkranke, Angehörige und Ärzt*innen befasst. Nachdem alle Teilnehmer*innen einige Minuten Zeit hatten, sich in ihren Gruppen auszutauschen, und Brosius in die Runde fragt, wem das Gedankenspiel eine spannende Erkenntnis verschafft hat, meldet sie sich und erzählt, dass Virtual Reality beispielsweise dabei helfen könnte, die Herausforderungen von Demenzkranken für ihre Angehörigen sichtbar und damit nachvollziehbarer zu machen. Außerdem habe der Musikproduzent in der Runde sie inspiriert, Präsentationen in Zukunft mit Musik zu untermauern, um Stimmungen zu transportieren.
Obwohl sie sich vorher keine Gedanken über diese Methoden gemacht hatte, hatte der Austausch mit zwei Menschen, die in völlig anderen Branchen arbeiten als sie selbst, ihr doch dabei geholfen, neue, spannende Felder aus der Kreativwirtschaft in Betracht zu ziehen. Und genau darum sollte es in dem Workshop von Christoph Brosius gehen. Er hat einen kleinen Auszug dessen gezeigt, was möglich ist, wenn sich Menschen darauf einlassen, auch über untypische Fragestellungen nachzudenken: neue Potenziale für innovative Lösungsansätze und gebündeltes Know-How. Für alle Interessierten, die nicht am Workshop teilnehmen konnten, gibt es die Möglichkeit, Christoph Brosius Gedankenspiel hier auch online zu erleben.
Credits
Text: Yannah Alfering
Fotos: Wirtschaftsförderung Paderborn