Kompetenzzentrum, Gründungswoche, 17.11.21/ 18.11.21, Bustour

Creative Lab: Zukunft ergründen

Unabhängig agieren, die eigene Ideenwelt in der Umsetzung sehen oder die einmalige Chance nutzen, Personen zu empowern: Die Motivationsfaktoren im Gründungsgeschehen der Kultur- und Kreativwirtschaft sind so individuell und vielfältig wie die Unternehmer*innenpersönlichkeiten hinter den Geschäftsideen. In Vorbereitung auf das dritte Creative Lab zum Thema „Gründung & Teilhabe“ tourte das Kompetenzzentrum mit der Roadshow durch Nordrhein-Westfalen und sprach zur Gründungswoche mit Unternehmer*innen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft und Vertreter*innen der Gründungsförderung in Köln über ihre Erfahrungen mit dem Thema. Es ging um treibende Faktoren auf dem Weg in das Unternehmer*innentum, aktivierende Teilhabeprozessen im Gründungsgeschehen und den Umgang mit Hürden. Dabei wurde die vom Kompetenzzentrum in den Raum gestellte These „Jeder Mensch ist ein*e Unternehmer*in“ von den Zukunftsgestalter*innen auf unterschiedlichste Art be- und widerlegt.

Eine Idee, ein Geschäftsmodell und ein Intensivkurs zum Finanzierungsplan – fertig ist das erfolgreiche Gründungskonzept? Eine solche Schablonenlösung trifft auf die neue Unternehmer*innengeneration schon lange nicht mehr zu. Das Mindset hat sich verändert, der Ruf nach diverseren, unkonventionellen und transparenteren Gründungsnarrativen wird immer stärker. Doch wenngleich die Existenz-Gründungsquote in Deutschland 2019 einen leichten Anstieg verzeichnet, werfen die langfristig rückläufigen Zahlen die Grundsatzfrage auf, warum immer weniger Menschen den Schritt in die Selbstständigkeit wagen. Eine bedeutende Rolle spielt dabei die Pandemie: Sie hat die Gründungsdynamik erheblich verändert; während Kleinstunternehmer*innen und Soloselbstständige aufgrund konjunktureller Aspekte besonders hart getroffen wurden, sind krisenbedingt mehr Not- und Chancengründungen entstanden, Innovationszyklen wurden verkürzt und digitale Geschäftsmodelle aus dem Boden gestampft.

Mit Blick auf das New Normal nach der Pandemie einmal mehr klar geworden, dass besonders im Umgang mit noch nie dagewesenen Krisenphänomenen kreative Herangehens- und innovative Denkweisen gebraucht werden – und wer, wenn nicht die Akteur*innen der Kultur- und Kreativwirtschaft, sind darin geübt? Es ist ein entscheidender Zeitpunkt, die Weichen der kultur- und kreativwirtschaftlichen Unternehmensgründung zu reflektieren und Transformation anzustoßen, wo es sinnvoll erscheint.

Kompetenzzentrum, Gründungswoche, 17.11.21/ 18.11.21, Bustour

Meine Haltung ist, jede*r ist Unternehmer*in seines*ihres eigenen Lebens – ja das unterschreibe ich. Aber ich unterschreibe nicht, dass jede*r gründen kann. Es ist ein schöner Gedanke, absolut, aber meine persönliche Empfindung ist, jede*r sollte zunächst die Skills beherrschen und befähigt werden zu verstehen, wie Projekte selbst initiiert werden können und wie ein visionärer Blick entwickelt werden kann.“

Zerrin Börcek

Aktivierende Teilhabeprozesse in der Kultur- und Kreativwirtschaft

In diesem Diskurs hat sich das Kompetenzzentrum im Rahmen des Creative Labs #3 vorgenommen, die Möglichkeiten zur Teilhabe am kultur- und kreativwirtschaftlichen Gründungsgeschehen zu untersuchen. Denn um es in den Worten von Alexander Lenz, Mitgründer von STYLIQUE, der ersten Online-Boutique zum Bauen, und einer*m der Interviewpartner*innen zu sagen: „Vielfalt ist gut, aber noch nicht jede Vielfalt wird akzeptiert. Von daher ist es in Deutschland leider noch nicht möglich, dass alle die gleichen Zugänge zur Gründungsförderung haben.“

Die These, dass jeder Mensch ein*e Unternehmer*in ist, kann auch Zerrin Börcek, erfahrene Coachin und Gründerin von Teresa.AI, einer Sprachassistentin für Senioren, sowie dem fe:male Innovation Hub in Düsseldorf, so nicht stehen lassen. „Meine Haltung ist, jede*r ist Unternehmer*in seines*ihres eigenen Lebens – ja das unterschreibe ich. Aber ich unterschreibe nicht, dass jede*r gründen kann. Es ist ein schöner Gedanke, absolut, aber meine persönliche Empfindung ist, jede*r sollte zunächst die Skills beherrschen und befähigt werden zu verstehen, wie Projekte selbst initiiert werden können und wie ein visionärer Blick entwickelt werden kann. Die Ausbildung von Kompetenzen und die Befähigung zum Gründungsprozess sind wichtige Schlagworte, die immer wieder im Rahmen der Tour aufkamen.

Nicola Deuticke, Projektkoordinatorin für Act Now II (Migrafrica e.V.), einem Qualifizierungsprogramm zur Ausbildung von unternehmerischer Kompetenz für Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrungen, betont, dass die Chance zur Gründung nicht jeder*m zu Teil wird. Ein undurchsichtiges Bürokratiesystem, enorme Behördenangst, fehlende finanzielle Mittel und unzureichende Beratungsangebote, definiert sie hierbei als die größten Schwierigkeiten. Eine Gründungsberatung, die neben der Idee, vor allem den Menschen in seiner Ganzheit sieht, die persönlich, bedarfsorientiert, sowie kultur-, sprach- und diskriminierungssensible ist, wünscht sie sich auch in anderen Förder- und Beratungsinstitutionen.

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Die Stadt als Netzwerk

Im Aufbau des eigenen Unternehmens ist vor allem eins wichtig: die Vernetzung. Das wissen nicht nur die Gründer*innen, sondern auch die Institutionen der Förderinfrastruktur. In NRW bringen 80 vom Land zertifizierte Startercenter das Thema Gründung voran. Exemplarisch in Köln sind die drei vernetzten STARTERCENTER, betrieben von Industrie- und Handelskammer (IHK), Handwerkskammer und Wirtschaftsförderungs-GmbH KölnBusiness, der Hauptanlaufpunkt für (potenzielle) Gründer*innen. Das Kompetenzzentrum hat sich mit den beiden Gründungsexpert*innen Petra Göbbels von der IHK und Andreas Severin von KölnBusiness über eine bedarfsorientierte Ansprache- und Beratung, die Veränderung im Gründungsmindset und Zukunftswünsche ausgetauscht.

Bei der Frage: was macht eine Unternehmer*innenpersönlichkeit aus, sind sich beide Interviewpartner*innen einig: Risikoaffinität und Veränderungsbereitschaft. Auch wenn die Motivationsfaktoren der angehenden und bestehenden Unternehmer*innen stark variieren, lässt sich ein veränderndes Mindset festhalten. Eine neue Gründer*innengeneration, die Dinge bewegen wollen, die Impact und Wirkung in den Mittelpunkt stellen und die sich an den SDGs orientieren. Diese neue Generation hat ein starkes Lerninteresse und sucht die Vernetzung nach außen. Hierzu führt Andreas aus: „Die Stadt und das Netzwerk fungieren als ein großer Co-Working-Space. Es braucht kein physisches vor Ort sein. Vielmehr baut sich so ein dichtes Netzwerk durch die digitalen Kommunikationsmittel und häufig internationalen Hintergründe der Unternehmer*innen auf und ermöglicht eine starke Sharing-Kultur und Wissensweitergabe.“ Vor allem die Verbindung der nächsten Gründer*innengeneration mit etablierten Unternehmer*innen-Netzwerken in Form von Mentor*innenschaften sieht Petra hier als einen entscheidenden Unterstützungsfaktor auf dem Weg in die Selbstständigkeit.

Kompetenzzentrum, Gründungswoche, 17.11.21/ 18.11.21, Bustour

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Treibstoff Aktivismus

Wie aus einem aktivistischen Engagement und einer klaren Haltung eine Gründung entstehen kann, wissen Jamilah Bagdach und Viviane Fatoumata Camara. Für die beiden Mitgründerinnen von stolzeaugen.books, der ersten Bi_PoC-Verlagsgesellschaft Deutschland, lag der Gründungsmoment vor allem darin, eine gesellschaftliche Veränderung herbeizuführen. Viviane führt dazu aus: „Die Stimmen von Bi_PoCs sind in der Gesellschaft aber auch in der Verlagswelt unterrepräsentiert. Texte und Perspektiven werden verfälscht oder nicht als relevant und wichtig anerkannt und genau hier wollen wir stolzeaugen.books ansetzen und einen Raum für diese Stimmen schaffen.“ Gemeinsam mit zwei weiteren Gründungspersonen haben die beiden Studentinnen stolzeaugen.books bewusst am 8. Mai, für sie der Tag des Widerstandes, im Jahr 2020 ins Leben gerufen. Empowert durch ihre Mitgliedschaft und die preisgekrönte Arbeit von Holla e.V., einem Verein der sich für intersektionale Gesundheit in Köln einsetzt, konnten die beiden den Schritt in die Gründung machen.

Kompetenzzentrum, Gründungswoche, 17.11.21/ 18.11.21, Bustour

Wir haben die erste Bi_PoC-Verlagsgesellschaft Deutschland gegründet und das müssen wir uns immer wieder vor Augen führen. Wir sind jung, wir sind neu in diesem Geschäft, aber wir wissen ganz genau was wir machen und wir machen das gut.“

Jamilah Bagdach

Sowohl das Medium Buch, etwas Anfassbares und Langlebiges, als auch die erste Veröffentlichung „Texte nach Hanau“, ein Sammelband von 50 Bi_PoC-Autor*innen, haben sie im Rahmen einer aktiven Erinnerungskultur gewählt. Sie wollen den Themen Raum und möglichst vielen Bi_PoC-Autor*innen von Anfang an eine unzensierte Stimme geben. Mit der starken Unterstützung des sozialen Umfelds haben sich die beiden das Gründungs-Know-How selber beigebracht.

Dabei war der Prozess nicht immer einfach, wie Jamilah Bagdach betont: „Wir hatten das Gefühl, dass wir nicht das Unternehmen sind, wie es sich die weiße Mehrheitsgesellschaft vorstellt, nicht so professionell.“ Ein Rat an weitere Gründer*innen ist ihnen deshalb besonders wichtig: an sich glauben und Fehler zuzulassen. Erst durch den Zuspruch von außen, sowie durch zahlreiche Freunde und Bekannte und durch die Dankbarkeit und Freude der Autor*innen ihres ersten Buches, ist ihnen bewusst geworden, welchen entscheidenden Schritt sie gemacht haben: „Wir haben die erste Bi_PoC-Verlagsgesellschaft Deutschland gegründet und das müssen wir uns immer wieder vor Augen führen. Wir sind jung, wir sind neu in diesem Geschäft, aber wir wissen ganz genau was wir machen und wir machen das gut.“ Mit Blick in die Zukunft sind ihnen zwei Punkte besonders wichtig: Erstens, der Wunsch von dem Verlag leben zu können, um so noch weiteren verschiedenen Perspektiven und Lebensrealitäten im Team einen Platz zu geben. Zweitens, mit dem Anspruch rassismussensibel und intersektionalitätsbewusst zu arbeiten, ein Vorbild sein zu können: „Denn diesen Ansatz braucht es eigentlich in jedem Unternehmen.“

Weitere Hintergründe zur Gründungsmotivation und Vision hinter stolzeaugen.books führen die beiden Mitgründerinnen beim Kongress „Diversität & Inklusion“ vom Kompetenzzentrum aus.

Kompetenzzentrum, Gründungswoche, 17.11.21/ 18.11.21, Bustour

Einfach machen!

Dass „Einfach machen“ ein lohnenswerte Herangehensweise an das Gründen ist, bestätigen die Erfahrungen von Alexander Lenz, Mitgründer von STYLIQUE, und Emily von der Osten von der Marke Milux aus dem Produkt- und Designbereich. STYLIQUE ist eine allround Online- Plattform für den Innenausbau und bei Milux handelt es sich um ein Accessoire-und Bekleidungsmarke die vor allem durch das Key-Produkt, die Handyhülle mit abnehmbarer Kordel bekannt geworden ist.

„Beim Gründen ist es nicht wie beim Sport, wo das Tor geschossen wird und das ist der entscheidende Moment. Unternehmer*in zu sein ist es ein fortlaufender Prozess und eine längere Periode, in der es ganz viele Momente gibt, die wichtig sind“, blickt Alexander zurück. Motiviert hat ihn dabei, zu sehen, wie die Idee in die Umsetzung gelangt, und die Möglichkeit, unabhängig zu sein, seinen Tag selbst gestalten zu können und Herausforderungen zu meistern. Einen Tipp für potenzielle Gründer*innen muss er nicht lange überlegen: „Einfach machen! Und die Idee schnellstmöglich auf dem Markt testen und Feedback einholen. Und das nach kurzer Konzeption, sie muss noch in keiner Vollendung sein.“

Feedback spielt auch bei Emily von der Osten und ihrer Gründung eine Schlüsselrolle. Gegründet hat Emily im Nebenerwerb nach wenigen Gesprächen mit Förderinstitutionen und vor allem nach dem Ansehen von vielen YouTube-Tutorials und unter Einbezug des Feedbacks ihrer Instagram-Community. Warum die Sozialen Medien nicht als Vertriebskanal nutzen oder das Produkt gemeinsam mit den Nutzer*innen entwickeln? Mittlerweile hat sie die MILUX Handyhüllen so optimiert, dass sie kompostierbar sind und wer weiß, was sie nächstes Jahr noch alles können. Wenn man eines von Emily lernen kann, dann ist es die Leichtigkeit und die Freude am Unternehmer*innentum. Für zukünftige Gründer*innen hat sie den Tipp: „Sprich mit jeder*m über deine Idee, jeder*m, den du vertraust und versuche sie nicht auf Krampf geheim zu halten. Du kannst nicht alles wissen, also versuche in den Dialog zu gehen und stell die Fragen, deren Antworten du brauchst.“

Stetiges Feedback, der Coworking-Space ‚Netzwerk‘, die Vision einer Veränderung oder die Umsetzung einer Idee – motivierende Faktoren zum Gründungsprozess gibt es unzählige. Dass jedoch nicht alle Menschen gleichermaßen Teil haben können an diesem Prozess ist nicht zuletzt durch die Ausführungen der Interviewpartner*innen deutlich geworden. Die Gespräche zur Gründungswoche waren nur der Beginn eines Plädoyers für einen kreativeren und diskriminierungssensibleren Gründungsprozess in der Kultur- und Kreativwirtschaft, welches im Rahmen des #3 Creative Labs Anfang 2022 weitergeführt wird.

Kompetenzzentrum, Gründungswoche, 17.11.21/ 18.11.21, Bustour

An dieser Stelle gilt ein besonderer Dank CREATIVE NRW für die partnerschaftliche Unterstützung bei der Vorbereitung und Planung der Roadshow nach Köln. Als das Netzwerk der Kreativen in NRW, das im Auftrag des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Wirtschaft agiert, bilden sie das Kompetenzzentrum des Landes NRW und sind Ansprechpartner für Selbstständige, Unternehmen, Institutionen und Kommunen. Sie bauen Brücken zwischen Kreativwirtschaft und anderen Branchen, vermitteln Informationen und Wissen, Kontakte und Kooperationen.

Credits

Text: Linn-Maria Filous

Fotos: Annika Schönfeldt

Anstehende Veranstaltungen

  1. Wissenschaftliche Fachkonferenz 2024: Berufsbilder der Kultur- und Kreativwirtschaft im Wandel

    19. März, 10:00 - 16:15
  2. Schulterblick des Creative Labs #7 Kreislaufwirtschaft

    5. April, 16:00 - 21:00

Credits

Text: Linn-Maria Filous

Fotos: Annika Schönfeldt

Wie trägt Kultur- und Kreativwirtschaft zu mehr Kreislaufwirtschaft bei?

Prinzipien aus der Natur abzuschauen hat schon viele Erfindungen hervorgebracht. Insbesondere Kreislaufsysteme der Natur sind Vorbilder für ein nachhaltigeres Leben. Die Umgestaltung unserer Wirtschaft zu einem kreislaufwirtschaftlichen System stellt jedoch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar, die nur branchenübergreifend und ganzheitlich gelöst werden kann. Im Unterschied zum deutschen Begriff „Kreislaufwirtschaft“, der sich auf den Umgang mit Abfall fokussiert, ist der englische Begriff „Circular Economy“ (also „zirkuläres Wirtschaften“) bereits viel weiter gefasst und betrachtet das gesamte Produktsystem. Hier geht es um durchdachte Kreisläufe von Anfang an, die bereits beim Design von Produkten beginnt.

Innovative Ideen und praktische Ansätze für zirkuläres Wirtschaften finden sich schon seit Jahren in der Kultur- und Kreativwirtschaft, zum Beispiel in der Architektur, im Produkt- und Materialdesign, der Film- und Veranstaltungsindustrie sowie dem Modemarkt. Viele Beispiele werden Sie in diesem Magazinschwerpunkt kennenlernen können

In unserer Kurzreportage zur Kreislaufwirtschaft haben wir diesmal mit Architekt*innen Sandra Düsterhus (Point.Architektur) und Martin Haas (haascookzemmrich) über die Ansätze bei ihren Projekten in der Außen- und Innenarchitektur gesprochen und was der Fokus auf Kreislaufwirtschaft auch für die Gestaltung bedeutet.