Europa und KKW

Besser werden in Europa: „So kann Behörde Spaß machen“

Die Frage danach, was die Kultur- und Kreativwirtschaft anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft zur Wiedererstarkung der europäischen Idee beitragen kann, war Gegenstand vielschichtiger Diskussionen beim Workshop „Europa und die Kultur- und Kreativwirtschaft – Botschaften aus der Praxis“. Dabei galt ein besonderes Interesse auch den Förderprogrammen der EU. Am Ende gab es etliche konkrete Ideen für kreative Formate und Projekte – und hilfreiche Anregungen für eine Reform der bisherigen Förderpraxis.

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Es gibt Ideen, die auf Anhieb zünden, bei denen jeder am liebsten sofort mitmachen würde. Zum Beispiel diese hier.

„Wenn man auf die Webseite der EU gerät, dann klickt man nach ein paar Sekunden gleich wieder weg“, beschreibt ein Workshop-Teilnehmerin ihren Eindruck „Das ist alles viel zu kompliziert, überhaupt nicht intuitiv und in sperriger Behördensprache verpackt. Kein Mensch will das lesen.“ Das war sie noch nicht, die Idee, sondern eine Aussage auf dem Workshop, die bei nahezu allen Teilnehmer*innen sofort einhelliges Kopfnicken verursachte – aber hier kommt sie: „Lasst uns doch die Webseite zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft spiegeln und all die Inhalte in einem parallelen Internetauftritt anders erzählen, mit den Instrumenten und Kompetenzen, die wir als Kultur- und Kreativunternehmer*innen haben, als Film oder Comic, als Blog oder Podcast, als Song oder gefilmtes Theater. Jeden Tag eine kreative Intervention. So kann Behörde Spaß machen.“

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Eine Behörden-Webseite, inhaltlich gespeist aus den Storytelling-Kompetenzen der Kultur- und Kreativwirtschaft – das klingt nach großem Kino. Vorführsaal war ein großer Tagungsraum im Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes in Berlin. Die kreativ gedrehte EU-Webseite zählte zu den herausragenden Formatideen zum Thema „Europa und die Kultur- und Kreativwirtschaft – Botschaften aus der Praxis“.

Grundlage hierfür bildeten die Diskussionen im Plenum und in den Arbeitsgruppen, die vor allem um zwei Themen-Schwergewichte kreisten. Im Fokus standen zunächst die europäischen Förderprogramme für die Branche, die von vielen Akteur*innen nach wie vor als unübersichtlich, intransparent, zu kompliziert, zeitfressend und bürokratiebeladen empfunden werden. Beim zweiten Schwerpunkt stand dann nicht der Beitrag der EU zur Förderung der Kreativen zur Debatte – die Frage lautete umgekehrt: Was kann die Kultur- und Kreativwirtschaft zur Stärkung der europäischen Idee beitragen? Anlass ist die im Juli kommenden Jahres beginnende deutsche EU-Ratspräsidentschaft, eine Mission in schwieriger Zeit. Die Idee des geeinten, demokratischen Europa ist umkämpft wie noch nie seit der Gründung der EU und droht zwischen nationalen Egoismen zerrieben zu werden. Julia Köhn, stellvertretende Projektleiterin im Kompetenzzentrum, sieht da ein Chancenfenster für die Kultur- und Kreativwirtschaft – „die europäischste aller Branchen“ – dem negativ geprägten Europabild der Populist*innen und Nationalist*innen „ein positives Narrativ entgegenzusetzen und gleichzeitig die Kreativwirtschaft während der deutschen Präsidentschaft prominent zu platzieren“.

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Workshop "Zukunft ist Europa" | Europäische Kommission, Berlin-

Info: Im Oktober 2019 trafen Akteur*innen der Kultur- und Kreativwirtschaft sowie Vertreter*innen aus Politik, Wirtschaft und Institutionen zu einem vom Kompetenzzentrum ausgerichteten Workshop zusammen, um „Ansätze und Visionen für die Einbindung der Kultur- und Kreativwirtschaft in der europäischen Politik“ zu erarbeiten. Nach dem Workshop „Zukunft ist Europa“ im November 2017 hatte das Kompetenzzentrum erneut die europäische Idee auf die Agenda gesetzt.

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Wo immer Vertreter*innen der Branche zusammentreffen und über Förderinstrumente diskutieren, dominiert ein kritischer Unterton. So auch hier. Den Ruf nach vereinfachten, kürzeren und weniger bürokratischen Antragsverfahren bei den EU-Förderprogrammen dürfte Barbara Stacher, die als Fachreferentin bei der Generaldirektion Bildung und Kultur der EU-Kommission aus Brüssel zum Workshop angereist war, kaum überhört haben. „Wir haben einen Antrag bei Creative Europe gestellt“, berichtete ein Teilnehmer, „das waren 260 Seiten. Der ablehnende Bescheid kam nach einem dreiviertel Jahr. Warum muss es so viel Papier sein? Und warum dauert das so lange?“ Den zeitlichen und personellen Aufwand für einen derartigen Antragsmarathon, so ein anderer Kreativunternehmer, „können sich kleine Projekte überhaupt nicht leisten. Also bekommen wieder nur die Großen etwas.“

Allerdings entwickelten die Teilnehmer*innen auch etliche Ansätze für eine Reform der bisherigen Förderpraxis. „Die EU sollte mehr Mut haben, in radikalere Themen zu gehen“, hieß es. Zustimmendes Kopfnicken. Gemeint ist beispielsweise ein größerer Raum für ergebnisoffene Projekte ohne vorab definiertes Wunschergebnis, für experimentelle Innovation, die der bisherigen Förderlogik zuwiderläuft. Und ist es so abwegig, analog zu Kochrezepten (einfach, mittelschwer, knifflig) auch für die verschiedenen Förderprogramme eine Art Aufwandsindex zu entwickeln – damit ein Antragsteller auf den ersten Blick erkennt, was auf ihn zukommt? Schließlich ging es ins Grundsätzliche: Bessere Arbeitsbedingungen für die Akteur*innen der Branche müssen her – wer mochte da widersprechen? Doch was bedeutet das konkret? Ein bedingungsloses Grundeinkommen für Kreative? Neue Bewertungskriterien bei der Förderung, die den – sozialen oder ökologischen – Impact von Projekten berücksichtigen? Barbara Stacher machte sich viele Notizen, berichtete aber auch, dass eine Neujustierung der EU-Förderung bereits eingesetzt habe. So berücksichtige beispielsweise die Förderung von Digital Innovation Hubs künftig auch Vorhaben, „die in die kulturelle und kreative Richtung gehen“. Bislang war dieses Fördersegment eine Exklusivveranstaltung für Hardcore-Tekkies.

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Was kann und will die Branche?

Anfängliche Skepsis war bei den Arbeitsgruppen zum Subthema „Deutsche EU-Ratspräsidentschaft“ fast greifbar. „Geht es hier um die Imagepflege der Branche?“, fragte ein Teilnehmer irritiert, ein anderer stichelte: „Soll die Kultur- und Kreativwirtschaft jetzt für die deutsche Ratspräsidentschaft die Kohlen aus dem Feuer holen?“ Bei derartigen Anlässen flammt die Diskussion über das Selbstverständnis der Branche zwangläufig auf. Der eine oder andere spürt „ein gewisses Unbehagen, dass die Kunst immer wieder verdonnert wird, gesellschaftliche Probleme zu lösen, obwohl sie sich doch eigentlich ihre Zweckfreiheit erkämpft hat“. Andererseits wollen viele Kreativunternehmer*innen ausdrücklich einen Impact erzielen – über dessen Genotyp sie aber souverän entscheiden möchten.

Bei der Formatentwicklung in den Arbeitsgruppen wurde schnell klar, dass kein PR-Nebel gewünscht war, sondern die originäre Kompetenz der Branche bei der Entwicklung konkreter Projekte. Innerhalb weniger Stunden führte die Arbeit im Workshop-Katalysator zu etlichen realisierbaren Formatideen.

KKW für Europa

Zum Beispiel „Eurocraft – Rebuilding Europe“, ein Beitrag zur Integration der „Next Generation Creatives“ in die europäischen Problemlösungen. Pate bei der Ideenfindung stand der Computerspiel-Blockbuster „Minecraft“, bei dem sich täglich weltweit mehr als 100 Millionen Kinder und Jugendliche virtuell zusammenfinde und neue Welten errichten. Vor allem Kinder und Jugendliche sollen, beginnend mit einem Hackathon zum Ratspräsidentschaftswechsel in Brüssel, gemeinsame Visionen für ein Europa der Zukunft bauen – und damit ein Gefühl für Ownership an der europäischen Idee bekommen.

Ko-Kreation und Open Innovation wiederum standen im Mittelpunkt von „Pass the creative torch“. Die Erfinder des Formats planen die gemeinsame, iterative Entwicklung eines Produkt-Prototypen – beispielsweise ein Mobilitätsprodukt, das möglichst viel CO2 einspart – durch Kreativunternehmen aus allen EU-Ländern. Nach jeweils einigen Wochen Arbeit am Projekt gibt ein Unternehmen den Prototypen zur Weiterentwicklung an das jeweils nächste Unternehmen – wie bei einem Fackellauf.

Bernd-Wolfgang Weismann, Leiter des Referats Kultur- und Kreativwirtschaft im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und aufmerksamer Beobachter der Veranstaltungen des Kompetenzzentrums, hatte sich vom Workshop „Input für unser Agendasetting im Hinblick auf die Ratspräsidentschaft“ erhofft. „Was hier erarbeitet wird, wollen wir mit dem EU-Rat und dem Europäischen Parlament diskutieren.“ Als er die Tagung am späten Nachmittag verließ, machte er einen durchaus zufriedenen Eindruck.

Credits

Text: Andreas Molitor

Fotos: Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Anstehende Veranstaltungen

Es gibt derzeit keine bevorstehenden Veranstaltungen.

Credits

Text: Andreas Molitor

Fotos: Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

Wie trägt Kultur- und Kreativwirtschaft zu mehr Kreislaufwirtschaft bei?

Prinzipien aus der Natur abzuschauen hat schon viele Erfindungen hervorgebracht. Insbesondere Kreislaufsysteme der Natur sind Vorbilder für ein nachhaltigeres Leben. Die Umgestaltung unserer Wirtschaft zu einem kreislaufwirtschaftlichen System stellt jedoch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar, die nur branchenübergreifend und ganzheitlich gelöst werden kann. Im Unterschied zum deutschen Begriff „Kreislaufwirtschaft“, der sich auf den Umgang mit Abfall fokussiert, ist der englische Begriff „Circular Economy“ (also „zirkuläres Wirtschaften“) bereits viel weiter gefasst und betrachtet das gesamte Produktsystem. Hier geht es um durchdachte Kreisläufe von Anfang an, die bereits beim Design von Produkten beginnt.

Innovative Ideen und praktische Ansätze für zirkuläres Wirtschaften finden sich schon seit Jahren in der Kultur- und Kreativwirtschaft, zum Beispiel in der Architektur, im Produkt- und Materialdesign, der Film- und Veranstaltungsindustrie sowie dem Modemarkt. Viele Beispiele werden Sie in diesem Magazinschwerpunkt kennenlernen können

In unserer Kurzreportage zur Kreislaufwirtschaft haben wir diesmal mit Architekt*innen Sandra Düsterhus (Point.Architektur) und Martin Haas (haascookzemmrich) über die Ansätze bei ihren Projekten in der Außen- und Innenarchitektur gesprochen und was der Fokus auf Kreislaufwirtschaft auch für die Gestaltung bedeutet.