Innovationcamp Gestaltungsmaschine

Wenn Maschinen lernen, dürfen Kreative nicht fehlen

Deutschland will sich als KI-Standort etablieren – welchen Beitrag leistet die Kultur- und Kreativwirtschaft? Ein Wochenende lang haben Teams aus Wirtschaft, Verwaltung und Kreativwirtschaft mit Expert*innen an neuen Ideen, Denkanstößen und Visionen für die Entwicklung von Anwendungen von Künstlicher Intelligenz und Machine Learning gearbeitet.

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Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie mal war. „Was uns heute als digitale Assistenten verkauft wird, verdient diesen Namen eigentlich nicht“, sagt der Produktdesigner Aeneas Stankowski. „Die Alexas und Siris funktionieren bei weitem nicht so gut, wie sie beworben werden.“ Kreative fragen beim Thema Künstliche Intelligenz nicht mehr angstvoll „was kommt da auf uns zu?“, sondern sagen ziemlich selbstbewusst „Da geht doch mehr!“ – das zeigt das „Innovationcamp Gestaltungsmaschine: Künstliche Intelligenz trifft Kultur- und Kreativwirtschaft“.

Die Idee: Drei Tage lang graben sich KI-Interessierte aus verschiedenen Branchen ein, in die Möglichkeiten von Spracherkennung, Machine Learning und KI. Und entwickeln dann Szenarien, Visionen und konkrete Projektideen – auch jenseits von Produktwelten, wie den Smart Speakers von Amazon, Google und Apple.

„Für uns ist das extrem spannend, weil wir im Austausch mit Kreativen auf Anwendungen unserer Technologie kommen, an die wir sonst nie gedacht hätten“, sagt Fulya Lisa Neubert von Mobius Labs. Das Berliner KI-Startup ist eine von elf Werkstätten, die an diesem Wochenende die Teams begleiten. Mobius hat eine weltweit führende Bilderkennungssoftware entwickelt, mit dem die Workshop-Teilnehmer*innen an diesem Wochenende ein Design-Assistenzsystem entwickeln, das die ästhetischen Vorlieben von Menschen erkennt und ihnen dann passende Gestaltungsvorschläge macht.

Aeneas Stankowski vom Designstudio Same sieht großen Nachholbedarf in der Design-Ausbildung, was KI-Kompetenz angeht: „Es gibt im Studium schon früh eine Spaltung zwischen denen, die sich mit der Technik auseinandersetzen und denen, die in die rein kreative Ecke gehen“, sagt er. „Wir sind selber als Produktdesign-Dozenten aktiv und zeigen den Studierenden, wie man mit ganz einfachen Mitteln eine KI bauen und trainieren kann. Wir müssen KI genauso als ein Werkzeug verstehen, mit dem wir unsere Lebenswelt gestalten, wie herkömmliche Tools für Möbeldesign, Architektur oder Stadtplanung.“

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Bernd-Wolfgang Weismann

Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist ein bisher unterschätzter Bereich, der einen starken Einfluss darauf haben kann, was man mit KI und Machine Learning machen kann.

Bernd-Wolfgang Weismann Leiter des Referats Kultur- und Kreativwirtschaft beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.

Weismann weist bei der Gelegenheit auf die Ende 2018 verabschiedete KI-Strategie der Bundesregierung hin. Insgesamt 3 Milliarden Euro Fördermittel will der Bund bis zum Jahr 2025 investieren. „Wir wollen mit KI nicht nur Effizienzen steigern“, sagt Weismann, „sondern ganz neue Anwendungsmöglichkeiten erschließen“.

„Ein überfälliges Umdenken“, sagt Sylvia Hustedt vom Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes: „Die traditionelle Wirtschaftsförderung hat immer nur auf die Technik geschaut, und später hat man sich dann die Kreativen geholt, um die Sache ein bisschen nutzerfreundlicher zu machen und mit Content zu bestücken“. Ohne kreative Inhalte wäre das iPhone „eine ziemlich langweilige Plattform.“

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Für einfache Anwendungen reichen ein paar Übungen vor der Kamera. Aeneas von Same entwickelt mit seiner Arbeitsgruppe eine Smart Home-Steuerung, die nicht auf Sprachbefehle reagiert, sondern darauf, wie die Menschen im Raum mit Gestik und Mimik interagieren: Du hebst die Hand, ich hebe die Hand, und die KI schaltet das Licht ein. In seiner Einfachheit spielerisch – aber schon die Szenarien, die zwei andere Gruppen entwickeln, treiben die Idee in eine Richtung weiter, die viele Fragen aufwirft.

Sie konzipieren eine KI, die als reguläre Mitarbeiterin Teil einer Unternehmung ist und Gesprächssituationen bei Konferenzen analysiert. Um dann einzugreifen, wenn sich Diskussionen im Kreis drehen oder der Ton ausfallend wird. Eine so komplexe Anwendung lässt sich nicht an einem Wochenende trainieren, die Rolle der moderierenden KI spielt in der Abschlusspräsentation darum ein Werkstatt-Mitglied. Das Plenum lacht herzlich, denn heute ist alles ein Experiment. Aber in den Diskussionen kommen immer wieder schon existierende Assistenz-Anwendungen zur Sprache, die kritisch diskutiert werden. Noch weiter denkt die Gruppe, die Dr. Diana Serbanescu vom Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft begleitet. Sie entwickelt das Szenario einer Gerechtigkeitsprüfung 4.0 einer KI, die über Schuld und Sühne befindet.

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Garbage in, garbage out

Wie rational, wie vernünftig und belastbar eine KI wirklich sein kann, auch diese Frage zieht sich durch viele Diskussionen in den Werkstätten. „Garbage in, garbage out“ – die alte Programmierweisheit, dass fehlerhafter Input immer zu fehlerhaften Resultaten führt, gilt für das maschinelle Lernen erst recht, das auf riesigen Datenmengen beruht. Und wenn sich in den Daten, mit denen die KI trainiert wird, schon Wertungen niederschlagen, wird auch die KI voreingenommen entscheiden – und die Vorurteile ins Extrem treiben, wie das Beispiel von Microsofts AI-Chatbot Tay zeigt, der schnell zum Rassisten mutierte.

Sauber arbeiten bei Auswahl und Aufbereitung der Daten, Fachwissen einbinden auch bei der Frage, welche Muster und Schlüsse denn eine KI überhaupt aus einem Datenbestand ziehen kann – das gehört zu den Grundregeln, die an diesem Wochenende wieder und wieder betont werden. Und bei viele Teilnehmer*innen den Wunsch hinterlassen, tiefer in die Materie einzusteigen und selbst verstärkt mit den Programmierwerkzeugen zu arbeiten, die sie bisher hauptsächlich im Schulterblick erleben konnten.

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Gestaltungsmaschine bei den Vereinten Nationen

Ansatzpunkte für weitere Zusammenarbeiten hat dieses Wochenende reichlich gebracht – und die nächsten Schritte sind schon geplant, unter anderem beim Museum für Naturkunde, das an Möglichkeiten arbeitet, seinen digitalen Fundus mithilfe von KI-Anwendungen zugänglicher zu machen.

Die Projekte des Museums für Naturkunde Berlin, Christian Mio Loclair von Waltz Binaire und Roman Lipski wurden auf Einladung der Vereinten Nationen auf dem AI for Good Global Summit in Genf in der vom STATE Studio kuratierten Art Corner ausgestellt. Gleichzeitig können die Resultate im Sommer 2019 im STATE Studio in Berlin Schöneberg betrachtet werden.
>> Mehr Informationen zur Ausstellung in Berlin 

In stiller Trauer und Anteilnahme gedenken wir Künstler und Denker Sascha Pohflepp. (1978 – 2019)

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„Es ist eine spannende Erkenntnis, dass KI nicht immer nur von Google kommen muss“, sagt ein Teilnehmer bei der Abschlussdiskussion. „Wir wissen jetzt, dass es viele Tools gibt, die wir alle nutzen können. Irgendwie sind wir jetzt auf Du und Du mit der KI“.

Credits

Text: Georg Dahm

Fotos: Anne Freitag, Rowan Farrell, Veronika Hubert Natter

Anstehende Veranstaltungen

  1. Dossier Live: Internationalisierung in der Kultur- und Kreativwirtschaft

    10. Oktober, 13:00 - 14:00
  2. Unboxing KI

    17. Oktober, 17:30 - 20:00
  3. Innovation Camp 2024 Creative Care

    24. Oktober - 26. Oktober
  4. 2. Fachkräftekongress der Kultur- und Kreativwirtschaft

    27. November

Credits

Text: Georg Dahm

Fotos: Anne Freitag, Rowan Farrell, Veronika Hubert Natter

Künstliche Intelligenz als Werkzeug von Kreativen

Die fortschreitende Digitalisierung verändert tiefgreifend, wie wir leben, arbeiten und auch politisch partizipieren. Eine der großen Herausforderungen unserer Zeit ist, sowohl die politische Teilhabe zu stärken als auch die Demokratie vor digitalen Bedrohungen zu schützen.

Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz wird beispielsweise kreative Teilhabe für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich, indem komplexe Werkzeuge und Techniken auch ohne tiefe Fachkenntnisse genutzt werden können. KI ermöglicht es Menschen aus verschiedenen Hintergründen, ihre kreativen Ideen zu verwirklichen und neue Formen der künstlerischen Zusammenarbeit zu erkunden. Das fördert die Vielfalt und Innovation in der kreativen Landschaft. Gleichzeitig stellt diese Entwicklung die traditionellen Vorstellungen von Urheberschaft und Originalität infrage, da KI-gestützte Kreativität zunehmend die Grenze zwischen menschlicher und maschineller Schöpfung verwischt.

Auch die Fragen, was Kreativität bedeutet und wo die Kernkompetenzen der Kreativschaffenden liegen, werden an Wichtigkeit gewinnen und ihre Antworten sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich bringen. KI ist auf dem heutigen Stand eher nicht „kreativ“ – aber sie verändert kreative Prozesse. Sie kann Kreativschaffende in ihrer Kreativleistung unterstützen, sie erweitern und als Inspirationsquelle dienen.

In unserer Kurzreportage sprechen wir mit den Künstlern Julian van Dieken und Roman Lipski über das Potenzial von KI als künstlerische Muse und Werkzeug, das neue Zugänge und Innovationsprozesse ermöglicht.