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Auf der Suche nach der innovativen Nachhaltigkeit

Innovation und Nachhaltigkeit – (wie) passt das zusammen? Im zweiten Teil der Beitragsreihe zum Thema Innovation widmet sich Annett Baumast, Gründerin und Geschäftsführerin von baumast. kultur & nachhaltigkeit, dem allgegenwärtigen Thema Nachhaltigkeit. Brauchen wir Erneuerung, brauchen wir – ganz allgemein als Gesellschaft, aber auch spezifisch als Kultur- und Kreativschaffende – etwas Neues, um auf den Pfad einer nachhaltigen Entwicklung zu gelangen? Oder sollten wir, um es ketzerisch zu formulieren, nicht langsam mal mit dem Innovieren aufhören, um uns darauf zu konzentrieren, endlich auf eine nachhaltigere Zukunft zuzusteuern? Gibt es eine Variante dazwischen? Oder müssen wir für eine nachhaltige Entwicklung einen völlig anderen – innovativen – Umgang mit Innovationen finden?

Während der Begriff Innovation laut Duden die „Realisierung einer neuartigen, fortschrittlichen Lösung für ein bestimmtes Problem, besonders die Einführung eines neuen Produkts oder die Anwendung eines neuen Verfahrens“ beschreibt, umfasst der (über)strapazierte Nachhaltigkeitsbegriff die Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Soziales und manifestiert sich in den 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der UN. Zu den SDGs gehören Klimaschutz und Gesundheit genauso wie Geschlechtergerechtigkeit oder menschenwürdige Arbeitsbedingungen. Da die Ziele mit ihren insgesamt 169 Unterzielen bis zum Jahr 2030 erreicht werden sollen, firmieren sie oft auch als „Agenda 2030“.

Innovation – das leitet sich etymologisch her – hat also etwas mit Problemlösung durch Erneuerung zu tun. Und das Problem liegt klar auf der Hand: Unser Lebensstil ist nicht nachhaltig und wenn wir im Hinblick auf die 17 Ziele nicht umsteuern, verpassen wir die Chance, eine nachhaltigere Zukunft zu erreichen, die allen Menschen ein Leben im safe and just space for humanity bietet, wie Kate Raworth es in ihrer Donut-Ökonomie formuliert.

Halten wir also zunächst fest, dass ein „so weiter“ im Hinblick auf eine nachhaltigere Zukunft uns nicht ans Ziel bringt. Was den Klimawandel angeht, sind bereits die Pfade skizziert worden, die verschiedene Verhaltensweisen hervorbringen. Zwischen einem business as usual und einer massiven Reduktion von CO2-Emissionen weltweit sind hier verschiedene Szenarien durchgespielt worden. Ähnliches gilt auch für die anderen Themenfelder einer nachhaltigen Entwicklung, allen voran der Verbrauch nicht erneuerbarer Ressourcen bzw. der Übernutzung auch von erneuerbaren Ressourcen. Benötigen wir für ein Aufhalten dieses „so weiter“ Innovationen? Ja und nein. Ja, es sind innovative Technologien nötig, um in bestimmten Bereichen auf eine nachhaltigere Produktions- bzw. Verhaltensweise umzusteigen. Nein, zumindest nicht nur, denn innovative Technologien reichen für den Weg zu einer nachhaltigen Zukunft nicht aus.

Die Formen der Veränderung

Klaus Fichter, Professor für Innovationsmanagement und Nachhaltigkeit an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, weist zu Recht darauf hin, dass es neben Innovation weitere Formen der Veränderung braucht, um auf den Pfad einer nachhaltigen Entwicklung zu gelangen. Ganz konkret zählt er dazu die Variation, also die kontinuierliche Veränderung bzw. Verbesserung von Prozessen und Produkten. In eher kleinen Schritten werden hier nicht die sprunghaften Verbesserungen erzielt, wie dies vielleicht durch abrupte Maßnahmen möglich ist, sondern mit stetigem Engagement an der Verbesserung der eigenen Nachhaltigkeitsleistung gearbeitet. So arbeiten beispielsweise Nachhaltigkeitsmanagementsystemen zugrunde liegende Standards und Normen mit diesem kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP).

Zu den weiteren notwendigen Formen der Veränderung zählt Fichter die Imitation, die Nachahmung bekannter Lösungsansätze. Hier geht ein Ruf in Richtung der Kultur- und Kreativwirtschaft: Es existieren heute so viele Tools, Leitfäden, Good-Practice-Beispiele, dass es schlicht nicht notwendig ist, das Nachhaltigkeits-Rad für den Kultur- und Kreativbetrieb neu zu erfinden. Adaptionen sind sicher notwendig, um mit einigen Instrumenten sinnvoll arbeiten zu können, aber bei null anzufangen ist Zeitverschwendung. Ein aktuelles Beispiel für einen solchen Imitationsansatz ist die Überarbeitung der bewährten Creative Green Tools des gemeinnützigen britischen Beratungsunternehmens Julie‘s Bicycle durch das deutsche Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit in Kultur und Medien, das aktuell die ersten Pilotphasen der für die deutsche Kultur- und Kreativszene überarbeiteten CO2-Rechner startet.

Es fehlt ein Verbindungsbaustein, der dazu beiträgt, die kognitiven Dissonanzen, die die Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit oft hervorruft und die eher zu einer Schockstarre als zu einem Aktionswillen führen, abzubauen.

Annett Baumast

Ein weiterer Veränderungsansatz, der ganz besonders in Bezug auf das Thema Nachhaltigkeit zum Tragen kommt, ist die Renovation. Damit ist nicht die auf Bausubstanz bezogene energetische Sanierung gemeint, die für viele alte Kunst- und Kultureinrichtungen sicher dringend anstehen und einen wichtigen Beitrag zur Energieeinsparung im Gebäudebereich leisten würde. Renovation meint stattdessen das Wiederentdecken von althergebrachten und bewährten Lösungen. Back to the roots würde manche*r es vielleicht nennen. Den Sonntagsbraten wieder einführen, um den Fleischkonsum zu reduzieren, die Kunst des Reparierens wieder pflegen, um Kleidungsstücken und elektrischen Geräten ein längeres Leben zu geben, sich saisonal (und regional) ernähren, um den ökologischen Fußabdruck von Obst und Gemüse zu reduzieren – es gibt eine Fülle von Beispielen bewährter Praktiken für eine nachhaltigere Lebensweise, die heute wiederentdeckt und wieder gepflegt werden.

Und schließlich gilt es für eine nachhaltige Entwicklung auch die Exnovation zu berücksichtigen und etwas Bestehendes – in diesem Sinne etwas Nicht-Nachhaltiges – abzuschaffen. Als Beispiel muss man in Deutschland nur bis zum nächsten Kohlekraftwerk schauen, wenn man nach Prozessen und Produkten sucht, die für eine nachhaltigere Zukunft aus der Welt geschafft werden müssen.

Nachhaltigkeit braucht auch soziale Innovation

Wenn all diese Ideen, Gedanken, Ansätze, Produkte und Prozesse bereits existieren, zum Teil seit Jahrzehnten, warum haben wir dann noch immer nicht konsequent den Weg in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung eingeschlagen, wohl wissend, was passiert, wenn wir dies weiter vernachlässigen? Warum ist die unter anderem vom Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) geforderte Große Transformation immer noch nicht auf einem guten Weg?

Machen wir für einen ersten Beantwortungsversuch dieser Fragen doch noch einmal den Schlenker zum Thema Innovation, denn neben technologiebasierten Innovationen – von denen viele, aus Nachhaltigkeitssicht hilfreiche, bereits existieren – wird es soziale Innovationen geben müssen, um uns ins Handeln zu bringen und dem Ziel einer nachhaltigeren Gesellschaft näher zu kommen. Schon Joseph Schumpeter postulierte diese als Innovations-Begleiterscheinung. Denn es reicht ganz offenbar nicht aus, dass (innovative) nachhaltige Produkt- und Verfahrensalternativen vorhanden sind. Es reicht auch nicht aus, dass Informationen und Forschungsergebnisse zum Klimawandel und seinen Folgen bereitgestellt werden, wie beispielsweise vom sogenannten Weltklimarat, dem Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), das bereits 2007 (!) den Nobelpreis für seine Arbeit erhielt.

Es fehlt ein Verbindungsbaustein, der dazu beiträgt, die kognitiven Dissonanzen, die die Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit oft hervorruft und die eher zu einer Schockstarre als zu einem Aktionswillen führen, abzubauen. Können hier soziale Innovationen und andere Veränderungsformen einen Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung leisten? Oder läuft es doch auf das hinaus, was der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda kürzlich in einem Interview sagte: „Nachhaltigkeit muss bequemer werden“? Die stetig wachsende Zahl von Initiativen für nachhaltige soziale Innovationen gerade auch im Kultur- und Kreativbereich, der in manchen Bereichen sehr eng mit einer social business-Kultur verschmilzt, lässt immerhin hoffen. Und doch: Wir brauchen noch viel mehr davon.

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Innovation, ein zentraler Begriff, an dem kein Vorbeikommen ist. In unserer fortlaufenden Reihe wagen Expert*innen aus Wissenschaft und Wirtschaft eine Einschätzung zum. Hier finden Sie den Auftaktartikel von Prof. Dr. Martin Zierold, Leiter des Instituts für Kultur- und Medienmanagement der Hochschule für Musik und Theater Hamburg „Innovation braucht Innovation“.

Artikel 3: Keine Innovationsoffensive für die Innenstadt von Martina Löw, Professorin für Soziologie an der TU Darmstadt
Artikel 4:Getrieben von der sozialen Innovation‚ heißt es bei Jana Gioia Baurmann, Kommunikationsmanagerin Ashoka-Netzwerk. 

Credits

Text: Annett Baumast

Fotos: Unsplash

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Text: Annett Baumast

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Wie trägt Kultur- und Kreativwirtschaft zu mehr Kreislaufwirtschaft bei?

Prinzipien aus der Natur abzuschauen hat schon viele Erfindungen hervorgebracht. Insbesondere Kreislaufsysteme der Natur sind Vorbilder für ein nachhaltigeres Leben. Die Umgestaltung unserer Wirtschaft zu einem kreislaufwirtschaftlichen System stellt jedoch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar, die nur branchenübergreifend und ganzheitlich gelöst werden kann. Im Unterschied zum deutschen Begriff „Kreislaufwirtschaft“, der sich auf den Umgang mit Abfall fokussiert, ist der englische Begriff „Circular Economy“ (also „zirkuläres Wirtschaften“) bereits viel weiter gefasst und betrachtet das gesamte Produktsystem. Hier geht es um durchdachte Kreisläufe von Anfang an, die bereits beim Design von Produkten beginnt.

Innovative Ideen und praktische Ansätze für zirkuläres Wirtschaften finden sich schon seit Jahren in der Kultur- und Kreativwirtschaft, zum Beispiel in der Architektur, im Produkt- und Materialdesign, der Film- und Veranstaltungsindustrie sowie dem Modemarkt. Viele Beispiele werden Sie in diesem Magazinschwerpunkt kennenlernen können

In unserer Kurzreportage zur Kreislaufwirtschaft haben wir diesmal mit Architekt*innen Sandra Düsterhus (Point.Architektur) und Martin Haas (haascookzemmrich) über die Ansätze bei ihren Projekten in der Außen- und Innenarchitektur gesprochen und was der Fokus auf Kreislaufwirtschaft auch für die Gestaltung bedeutet.