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Orte der Zukunft: Ende und Anfang

Während in der Berliner Invalidenstraße im vergangenen Sommer das Fiction Forum der Kultur- und Kreativwirtschaft langsam Gestalt annahm, begab ich mich auf die Suche nach weiteren Orten im ganzen Bundesgebiet, an denen die Zukunft schon heute erlebbar ist, an denen sich Menschen den Herausforderungen unserer Zeit entgegenstellen. Nun findet meine Reise zu den Orten der Zukunft ein Ende.

Das ermutigendste Takeaway meiner gesamten Tour vorweg: Es gibt zahlreiche Menschen da draußen, die etwas bewegen wollen, die nicht im Angesicht der Komplexität unserer Herausforderungen erstarren, sondern anpacken, den ersten Schritt machen, auch ohne zu wissen, wohin die Reise geht.

Das habe ich gleich bei meiner ersten Station im Bayerischen Wald erleben dürfen, wo ein Sänger und ein Architekt mit großem persönlichen Risiko ein ultra-modernes Konzerthaus aus Granit mitten in das Dorf Blaibach gebaut haben – dort, wo die Gemeinde sonst Pläne für einen Parkplatz umgesetzt hätte. Das Beispiel zeigt plakativ und eindrucksvoll, nach was ich mich auf die Suche machte: Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit, die nicht rein technischer Natur sind, sondern kultur- und kreativwirtschaftlichen Ansätze verfolgen. In diesem Beispiel: ein Konzerthaus als Maßnahme gegen verödende ländliche Räume. Außerdem zeigte sich hier in beeindruckender Weise, was Unternehmertum braucht: Vision und Mut.

Nach diesem ersten Glücksgriff folgten jedoch auch ernüchternde Phasen meiner Suche, in denen sich herausstellte, dass sie nicht so einfach werden würde, wie ich mir das vorgestellt hatte (und unter anderem deswegen auch länger dauerte als geplant). Technologische Innovation? Kein Problem, denn „Made in Germany“ steht immer noch für Verlässlichkeit in genau diesem Bereich. Nicht-technologische Innovation? Schon schwieriger.

Viele Orte hätte ich im Ausland gefunden. Wird den Kultur- und Kreativwirtschaften dort mehr zugetraut? Sind sie dort stärker in gesellschaftliche Strukturen verwebt? Gilt Kreativität dort als selbstverständlicher(er) Bestandteil unternehmerischen Tuns? Ist der Sprung von Menschen von einer Disziplin zur nächsten dort akzeptierter? Muss bei uns immer der volkswirtschaftliche Mehrwert messbar sein?

Konzerthaus Blaibach

Ein hochmodernes Konzerthaus belebt den verschlafenen Ortskern der Gemeinde Blaibach

Qmilk

Smarte Stoffe und virtuelle Mode: Fashiontech-Standort Deutschland

Botschaft von Uzupis

Max Haarich, Botschafter der Künstlergemeinde von Užupis, bei seiner Arbeit

Diese Fragen kann ich auch nach meiner Reise nicht abschließend beantworten. Ich kann mich aber der Antwort, was einen Ort der Zukunft ausmacht, annähern:

Es sind Orte, an denen eine Vision von Zukunft vermittelt wird, mit der wir uns vor unseren Enkel*innen nicht schämen müssen. Nachhaltiges Handeln interessiert fast alle Menschen mit Gestaltungswillen und das sowohl im klassischen Sinne des Wortes nachhaltig — auf Dauer — als auch in dem Sinne, wie das Wort heute in Bezug auf Umwelt-, Tier- und Ressourcenschonung verwendet wird. Es geht ihnen darum, die Welt für die nachfolgenden Generationen zu erhalten und im besten Falle besser zu machen. Orte der Zukunft sind handfeste Manifestationen von Ideen. Orte, an denen Menschen Handlungsbedarf erkannt haben — und dann auch gehandelt haben. Menschen mit Mut zum Risiko und oft sogar einer kleinen Portion Naivität und Wahnsinn.

Viele der besuchten Orte entstanden aus dem Nichts (das Öko-Dorf Sieben Linden zum Beispiel auf einem unberührten Stück Natur). In den meisten Fällen spielt Design eine Rolle (die Architektur der Innovation Community Hafven in Hannover, an der keiner schulterzuckend vorbei geht), zwar ohne einheitliche ästhetische Prinzipien, aber oft mit dem Menschen und seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt. An manchen Orten wird weiter gedacht und die Rolle des Menschen im Verbund mit der Natur hinterfragt, wie im Falle des digitalen Waldes („Sollte der Mensch zum Schutz des Waldes ausgeschlossen werden?“) oder des Öko-Dorfes Sieben Linden, wo alles Handeln der Maxime „Ich diene dem Leben“ untergeordnet wird.

Um Disziplinen — und vor allem um die Grenzen dazwischen — macht sich an Orten der Zukunft niemand Gedanken. Interdisziplinarität wird als befruchtend wahrgenommen, Wertschöpfung durch grenzüberschreitendes Matchmaking ist gewünscht. Dabei sind Kultur und Kreativität keine eigenständigen Disziplinen, sondern durchdringen alle Bereiche und Ebenen einer Organisation.

Wenn wir an Zukunft denken, dann denken wir meist auch an Digitalisierung. Und obwohl sie viele Visionen durchdringt, haben die meisten der Orte, die ich besucht habe, eines gemeinsam: sie befriedigen nach wie vor das Bedürfnis der Menschen, sich zu treffen und sich persönlich auszutauschen. Es werden Dialoge und Diskurse angestoßen — und so sind Orte der Zukunft weniger der Bestimmungsort einer Reise, sondern deren Anfang.

Das war unsere Route zu den Orten der Zukunft:

Station 1:
Konzerthaus Blaibach

Schon heute leben weltweit mehr Menschen in Städten als in ländlichen Gebieten. Um auch dort Perspektiven zu bieten, braucht es zukunftsfähige Ideen. Den Anfang macht deshalb die Gemeinde Blaibach (Bayern), wo ein hochmodernes Konzerthaus sowohl den Ortskern dieser ländlichen Region neu belebt hat als auch überregional Künstler*innen und Konzertliebhaber*innen anzieht. Damit ist das Konzerthaus ist ein Monument für vorausschauendes und visionäres Denken. >> zum Beitrag

Station 2:
Fashiontech-Standort Deutschland

Auch wenn die Textilindustrie in Deutschland noch nie unbedeutend war — unser Image in Sachen Mode verblasst im internationalen Vergleich. London steht für Individualität und ungehemmten Ideenreichtum, Mailand für die Vereinbarkeit von Kunst und Kommerz und Paris, nun, dort wurde die Mode ja irgendwie erfunden und ist seit Ludwig XIV das unangefochtene Zentrum der Modewelt. Es tut sich aber eine Nische für uns auf. >> zum Beitrag

Station 3:
Ökodorf Sieben Linden

Klimawandel, Wirtschaftskrisen, die Ausbeutung von Menschen und Ressourcen — das sind Themen, die schon lange aktuell sind, aber erst jetzt in das Bewusstsein vieler Menschen eindringen, weil sie immer mehr Brisanz entwickeln. Umso wichtiger erscheint es, diesen Entwicklungen positive Gesellschafts- und Wirtschaftsentwürfe entgegenzusetzen und einen produktiven Umgang mit den Ängsten der Gegenwart und den Erwartungen an die Zukunft zu finden. Vertreter*innen der Kultur- und Kreativwirtschaft tun sich mit eben dieser Fähigkeit, Zukunft anders und weniger angstbesetzt zu imaginieren, immer wieder hervor. So auch im Öko-Dorf Sieben Linden, in dem Gesellschaft und Wirtschaft neu und ganzheitlich gedacht werden. >> zum Beitrag

Station 4:
Der digitale Wald

Wenn wir Deutschen an Natur denken, dann meistens an den Wald. Er gilt als unberührter Sehnsuchtsort, aber die Realität ist eine andere. Der Wald sieht sich heute im Kreuzfeuer widersprüchlicher Anforderungen zwischen Kommerz und Naturschutz. Aber wie würde der Wald über sich entscheiden, wenn er sich selbst gehören würde? Und wie würde es aussehen, wenn er selbst unternehmerisch tätig wäre? Das Kunstprojekt terra0 spielt diesen Gedanken durch. Die Werkzeuge sind Smart Contracts und Künstliche Intelligenz. Der von Menschenhand unberührte digitale Wald — ein Ort der Zukunft? >> zum Beitrag

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Wie verändert sich unser Verhältnis zur Natur, wenn sie sich via Blockchain selbst verwaltet?

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In Nürnberg findet Stadtentwicklung in der U-Bahn statt

Station 5:
Münchner Botschaft von Užupis

Viele Entwicklungen, die mit der Digitalisierung unserer Welt einher gehen, sind für den Menschen zu abstrakt, um sie — geistig wie haptisch — in ihrer Komplexität zu erfassen. Vor allem die Vorstellung einer uns überlegenen Künstlichen Intelligenz schürt Ängste. Dem will Max Haarich, Botschafter der Künstlergemeinde von Užupis, entgegenwirken, zusammen mit dem humanoiden Roboter Roboy. >> zum Beitrag

Station 6:
Hafven in Hannover

Im Hafven in Hannover sind zwar auch Coworking und Maker Spaces zu finden, aber die eigentliche Wertschöpfung an diesem Ort findet über Matchmaking statt — das Verbinden von Unternehmen mit Talenten. Über einen architektonisch außergewöhnlich gestalteten Möglichkeitsraum, in dem klassische Formen der Unternehmensorganisation aufgebrochen und flexiblere Visionen gelebt werden. >> zum Beitrag

Station 7:
Stahlmedien (Berlin)

Die Route zu den Orten der Zukunft haben wir nicht allein festgelegt, immer wieder erreichten uns Vorschläge von Leser*innen und aus dem Netzwerk. Einen Tipp erhielten wir auch von Ekin Deligöz MdB. Mit ihr zusammen besuchten wir die Kommunikationsberatung Stahlmedien, die sich mit einem selbstbewussten demokratischen Diskurs, der Macht von Emotionen und Storytelling und der Frage, wie Narrative als Verstärker von Haltungen und Meinungen funktionieren können, beschäftigen. >> zum Beitrag

Station 8:
Mobilitätsstandort Aachen

Mobilität findet nie isoliert statt, sondern immer in einem System. Damit die Mobilitätskette in Zukunft reibungsloser, effizienter und umweltfreundlicher wird, braucht es den Blick über die eigene Fachlichkeit hinaus. Dies ermöglicht der RWTH Aachen Campus — einem einzigartigen Netzwerk aus Wissenschaft und Wirtschaft. >> zum Beitrag

Station 9:
Quartier U1 in Nürnberg

Um eine diverse Beteiligung von Bürger*innen an der Mitgestaltung ihrer Stadt zu erreichen, soll in Nürnberg die U-Bahnlinie U1 als Kommunikationsraum genutzt werden. Dreh- und Angelpunkt soll ein „Amt für Ideen“ sein. >> zum Beitrag

 

 


 

Was sind die Orte der Zukunft?

Überall im Bundesgebiet gibt es Orte, an denen sich Menschen mit Zukunftsgestaltung beschäftigen, neue Ideen testen und Lösungsansätze entwickeln. Um einen Überblick zu gewähren, wo solche Orte zu finden sind und eine Vorstellung zu vermitteln, bei welchen Themen die Kultur- und Kreativwirtschaft sinnvolle Impulse für die Zukunft liefern kann, schickten wir den freien Journalisten Björn Lüdtke genau dorthin – auf eine Reise durch Deutschland und die Zukunft. Die “Orte der Zukunft” sind Teil des Fiction Forums der Kultur- und Kreativwirtschaft.

Unsere Reise mit Björn Lüdtke geht nun zu Ende, doch wir sind weiterhin an Tipps interessiert! Kennen Sie auch einen Ort der Zukunft? Dann schreiben Sie uns: presse@kreativ-bund.de

Credits

Text: Björn Lüdtke & Wiebke Müller

Fotos: Konzerthaus Blaibach, Björn Lüdtke, Sebastian Schnellbögl, QMilk, terra0, André Wunstorf

Anstehende Veranstaltungen

Es gibt derzeit keine bevorstehenden Veranstaltungen.

Credits

Text: Björn Lüdtke & Wiebke Müller

Fotos: Konzerthaus Blaibach, Björn Lüdtke, Sebastian Schnellbögl, QMilk, terra0, André Wunstorf

Wie trägt Kultur- und Kreativwirtschaft zu mehr Kreislaufwirtschaft bei?

Prinzipien aus der Natur abzuschauen hat schon viele Erfindungen hervorgebracht. Insbesondere Kreislaufsysteme der Natur sind Vorbilder für ein nachhaltigeres Leben. Die Umgestaltung unserer Wirtschaft zu einem kreislaufwirtschaftlichen System stellt jedoch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar, die nur branchenübergreifend und ganzheitlich gelöst werden kann. Im Unterschied zum deutschen Begriff „Kreislaufwirtschaft“, der sich auf den Umgang mit Abfall fokussiert, ist der englische Begriff „Circular Economy“ (also „zirkuläres Wirtschaften“) bereits viel weiter gefasst und betrachtet das gesamte Produktsystem. Hier geht es um durchdachte Kreisläufe von Anfang an, die bereits beim Design von Produkten beginnt.

Innovative Ideen und praktische Ansätze für zirkuläres Wirtschaften finden sich schon seit Jahren in der Kultur- und Kreativwirtschaft, zum Beispiel in der Architektur, im Produkt- und Materialdesign, der Film- und Veranstaltungsindustrie sowie dem Modemarkt. Viele Beispiele werden Sie in diesem Magazinschwerpunkt kennenlernen können

In unserer Kurzreportage zur Kreislaufwirtschaft haben wir diesmal mit Architekt*innen Sandra Düsterhus (Point.Architektur) und Martin Haas (haascookzemmrich) über die Ansätze bei ihren Projekten in der Außen- und Innenarchitektur gesprochen und was der Fokus auf Kreislaufwirtschaft auch für die Gestaltung bedeutet.